Manchmal
kann man der Financial Times Deutschland durchaus ordentlichen
Journalismus bescheinigen - etwas, was hierzulande
inzwischen schon direkt auffällt. Aber dann wieder leistet sich
das Blatt Beiträge wie diesen
hier. Es ist zwar "nur" ein Kommentar - jedoch grade dieser
hat es mal wieder in sich. Immerhin ist die Kommentierende, Dr.
Brigitte Marschall, keine Unbekannte. Sie leitet das Haupstadtbüro
der FTD und fiel uns in der Vergangenheit häufiger mit einer -
na nennen wir es mal - wohlwollenden Berichterstattung u.a. hinsichtlich der
Professoren Sinn und Raffelhüschen auf. Daneben ist sie
selbstverständllich gern und oft gesehener Gast in Talkrunden...
In
ihrem Kommentar indes langt Brigitte Marschall tief in die Trickkiste
neoliberaler Argumentation, um ihre Unsinnsaussage zu
rechtfertigen, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten.
Wenn Mindestlöhne etwas vernichten, dann vernichten sie die
krassesten Auswüchse von Ausbeutung in der Gesellschaft. Das ist
uneingeschränkt zu begrüßen und diese Aussage lässt
sich - entgegen der von Frau Marschall - sogar beweisen.
Würde
Birgit Marschalls These stimmen, müssten fast sämtliche
EU-Länder um uns herum sozusagen "auf dem Stock" gehen
- denn die haben zum Teil schon längere Zeit knallharte
gesetzliche Mindeslöhne. Die bewegen sich bei sämtlichen
wirtschaftlch mit uns vergleichbaren Staaten zwischen 8 und 9 €.
Selbst in USA gibt es einen solchen - allerdings liegt der bei nur
5,15$. (aber die USA ist ja auch keine moderne Gesellschaft....)
Es setzt sich fort mit der Tatsache, dass wir in unserem Beitrag
zur Rentenversicherung (siehe dort Tab.3-1) vorrechnen konnten, dass
unter den heutigen Verhältnissen hierzulande bereits ein
Stundenlohn von 7,57€ notwendig ist, um ein minimales Einkommen
sowie eine Mindestfinanzierung des Generationenvertrags überhaupt
zu erreichen. Alles was solche Löhne nicht ermöglicht,
macht im derzeitigen wirtschaftlichen Gefüge der Gesellschaft
schlicht keinen Sinn - auch wenn es der gleichnamige Professor anders
sieht.
Was
passiert nun volkswirtschaftlich bei einem Menschen, der für
weniger als unsere 7,57 € die Stunde arbeitet? Es ist ganz einfach:
alles darunter erzeugt Bedarf an durch Sozialsysteme (gleich welcher
Art übrigens) nicht abdeckbarer Transferleistung - entweder jetzt
oder eben später im Rentenalter. Nun ist es ja nicht so, dass
der Arbeitnehmer - z.B. die Friseurin für 3,50 € die Stunde
direkt am "Markt" teilnimmt - denn täte sie dies,
hätte sie nicht das geringste Problem mehr - 15-20 € sind für
eine Friseurbehandlung heute mindestens fällig - drei
Minimalbehandlungen die Stunde sind allemal drin. Aber nicht die
Friseurin nimmt am Markt teil, sondern ihr Arbeitgeber - der ein
Produkt oder eine Leistung zu ebengenannte Preisen auf dem Markt
anbietet.
Gut
- der hat natürlich auch alles an der Backe - Miete/Pacht,
Investionen, Marketing etc. und natürlich möchte der Chef
mit seiner Familie auch leben. Für die meisten Friseure muss die
Rechnung letztlich aufgehen - sonst gäbe es nicht so viele
davon. Ein Friseurarbeitsplatz dürfte heute die Stunde
mindestens 30 € in die Kassen des Chefs spülen - unproduktive
Wartezeiten bereits heraus gerechnet, die eigentlich zum Wagnis des
Unternehmers und nicht zu dem des Arbeitsnehmers gehören. Tut
ein Platz das nicht, wird es ihn nicht geben - und dies ist präzise
die Ursache dafür, dass Lohndrücken und Herumtrampeln auf
Arbeitslosen heute nicht mehr Arbeitsplätze bringen...
Warum
das so ist, sehen wir an unserem Beispiel - von den 30€ Einnahmen
zahlt der Chef dort gerade mal 3,50 € für denjenigen, der die
eigentliche Arbeit macht. Da er als Chef sich aus diesem Budget mit
Sicherheit mehr als 3,50 € Privatentnahme genehmigen wird, dürfte
selbst ein Prof. Sinn nicht bestreiten. Damit ist klar - sinkt die
"Produktivität" eines Friseurarbeitsplatzes allzu
kräftig unter die benannten 30 € - leiden auch die Einnahmen
des Chefs - und er wird seinen Laden stets so organisieren, dass
dieser Fall nicht eintritt - weitgehend unabhängig vom Lohn.
Hier
pendelt sich immer eine Art Gleichgewicht ein - dieses würde
genauso auch entstehen, wenn der Chef seiner Friseurin 10€ die
Stunde zahlt. Dieser Lohn würde derzeit ihm erlauben, nur die
besseren Friseurinnen zu beschäftigten, was den meisten Kunden
hier sicher ein paar Euro mehr wert ist - auf jeden Fall braucht es
nur eine Steigerung der Produktivität von 30,00€ auf 36,50 €
die Stunde - und schon wäre dieses kleine Wunder vollbracht.
Und
hier wird nun endgültig deutlich, wie sehr die Argumentation von
Brigitte Marschall hinkt - sie behauptet ihrem Idol Prof. Unsinn
folgend nämlich, arbeitslose Menschen würden einen
ordentlichen Lohn für ihre Arbeit nicht erwirtschaften können.
Dieses ist der Schwachsinn in Quadratur - wenn es an einem Ort nun 15
Friseurarbeitsplätze gibt und 30 Bewerberinnen da sind - da
können die übrigen 15 das Format von Starfriseuren mit dem
Zeug zum Prommi-Ondulieren haben... sie werden keinen Job bekommen -
und wenn sie die anderen verdrängen, dann sind eben die
arbeitslos - dabei könnten die dann immer noch um Längen
"besser" sein als die Friseure ein paar Orte weiter...
Spätestens
hier erhebt sich die Frage nach der realen Qualifikation der Frau
Marschall für ihren Job - wer solche Kommentare schreibt, sollte
wenigstens eine grobe Vorstellung davon haben, worüber er
schreibt. Dafür gibt sich Frau Marschall mit absoluter
Sicherheit eben nicht mit 3,50 €, auch nicht mit 30,00 € und
selbst auch nicht mit 50,00€ die Stunde zufrieden. Was immer sie
bekommt, sie erhält ihr Geld für dumpfe Argumentation
zugunsten eindeutiger Interessen, wie viele ihrer Kollegen auch.
Das
traurige an unserer heutigen Gesellschaft ist, dass diese Art
Menschen an vielen Stellen Schlüsselpositionen in den Medien
einnehmen und dort für die Propaganda, die sie produzieren,
weitaus fürstlicher entlohnt werden, als es ihrer realen
Leistung entspricht. Die fürstliche Entlohnung ist geradezu der
Beweis dafür, dass es Menschen geben muss, die an Frau
Marschalls Arbeit kräftig verdienen - bzw. sich derartiges davon
versprechen. Hiermit widerlegt Frau Marschall allerdings selbst die These des
geistigen Ziehvaters des Neoliberalismus in Gänze.
Der
gute alte Adam Smith hat nämlich die Idee erfunden, dass sich in
einer Gesellschaft, wenn man allen Individuen nur genügend
Freiheit zur Durchsetzung ihres individuellen Nutzen ließe,
sich von selbst das optimale Gleichgewicht einstellen würde (Die
unsichtbare Hand des Marktes). Diese These ist falsch - denn sie
basiert auf einem Ideal, dass real so gut wie nicht mehr gesichtet
wird. Sie setzt nämlich einen vollkommen freien Markt mit völlig
unabhängigen Marktteilnehmern voraus.
Doch
die Friseurinnen im Osten sind nicht frei - sie brauchen Geld zum
Leben - und mithin sind sie nicht mehr unabhängig. Wenn solche
Menschen einen solchen Lohn akzeptieren - dass ist das kein Zeichen
für ein Funktionieren des Marktes sondern eher ein Zeichen für
das Gegenteil davon.
Ein
Markt wird nämlich nicht unfrei nur durch staatliche Eingriffe -
ein Markt wird auch unfrei durch Anbieter- oder Abnehmerkartelle.
Dies ist heute eher die Regel als die Ausnahme - nicht zuletzt
aufgrund der heutigen "Wirtschaftsverfassung" zwangsläufig
eintretenden Konzentration - und damit kann man dann Adam Smith
Thesen in diesem Zusammenhang denn auch komplett in die Tonne hauen.
Märkte
sind von Machteinflüssen geprägt - viel wäre schon
gewonnen, wären es heute wenigstens noch nur "wirschaftliche"
Mächte, die sich da auswirken. Aber die Krake ist längst
viel weiter gewuchtert - die kommerziellen Medien hat sie ganz
übernommen und auch die Politik ist seit Jahren "überrannt".
Die
heute bereits Mächtigen (ersatzweise: die Reichen - denn Geld
ist heute nun mal die handlichste Art von Macht) nehmen
unlegitimierten Einfluss auf Meinungsbildung und sogar direkt auf die
Politik - wunderbar zu beobachten an der Schleimerei von Hundt und
Thumann zugunsten unserer Kanzlerin - von der vermutlich niemand in
diesem Lande wirklich weiß, was unter der neuerdings ansehlich
gestylen Haarpracht wirklich vorgeht (das wird doch nicht das Werk
einer 3,50 € - die-Stunde-Friseurin sein?). Na - gewiss nicht...
Leute
wie Marschall sollten sich zum Thema "Arbeit" eigentlich
bedeckt halten - denn dies ist etwas, was sie vermutlich ihr Leben
lang noch nicht wirklich kennengelernt haben. Der Fall dass jemand
"arbeitet" und nicht genug zum Leben verdient, KANN in
einer ordentlichen Gesellschaft gar nicht eintreten. Er arbeitet dann
schlimmstenfalls das Falsche...
Solange
unsere Gesellschaft Millionenjahresgehälter für Manager
hervorbringt, kann dieser falsche Fall sowieso gar nicht eintreten -
es sei denn, deformierte Machtkonstellationen ermöglichen diesen
Fall. DIES ist die unwiderlegbare Tatsache hinter all der
Nebelschießerei der - selbst stets bestens versorgten (wie
Prof. Sinn) - Propagandisten einer Sklavengesellschaft. Und Birgit
Marschall muss man wohl dazu zählen... was nicht nur wir ihr
anmerken - wie hier
und hier
ersichtlich.
CogitoSum
ist keine kommunistische Kampfsite - auch wir hier finden "freie
Märkte" eine durchaus elegante und sinnvolle Lösung -
NUR - sie müssen dann halt auch wirklich FREI sein. Die Struktur
unserer Gesellschaft sieht vor, dass die Tarifparteien ihre Belange
untereinander frei aushandeln - dies ist im "Normalfall"
auch in Ordnung. Wenn aber - wie beim Friseurhandwerk im Osten -
dabei Lösungen heraus kommen die gesellschaftlich nicht mehr
tragfähig sind, hat die Freiheit - und auch die Tariffreiheit -
ein Ende.
Freie
Märkte bedingen äußerer Eingriffe, weil freie Märkte
sich von selbst - exakt wegen Machtstrukturen - nicht einstellen.
Etwas womit sich unter anderem das Kartellrecht legitimiert. Die
verzerrende Wirkung "unfreier" Märkte indes sind
solange bekannt, wie Märkte selbst. Ein Rätsel bleibt nur,
wieso heute Viele so tun, als seien freie Märkte gerade erst
"erfunden" worden und man wisse nichts von ihren
begrenzenden Faktoren.
Hier
muss der Staat längst die Brandmauer einziehen, weil dies sonst
niemand geschafft hat - und die heißt: er befiehlt: 7,50 €
pro Stunde. Alles darunter ist kein Arbeitsplatz. Und der Staat hat
Recht damit - denn jeder Lohn darunter wird letztlich zu einer "Last"
für ihn... wo dann die Reichen und Mächtigen wieder
rumjammern, dass sie Abgaben leisten müssen. Ein kluger Staat
indes, würde derartiges regulatorisch zurück spiegeln in
die Wirtschaft selbst - indem er die Sozialabgaben nicht mehr an dem
Faktor Arbeit - sondern am Unternehmenserfolg festmacht. Damit lohnen
sich Arbeitsplatzabbau und Lohndrückerei nicht mehr so sehr -
und DAS ist genau das, was unserer Zeit fehlt.
Auf
lange Sicht lohnen die sich auch aus anderen Gründen nicht -
denn schließlich braucht es immer Menschen, die alles was die
Wirtschaft produziert auch kaufen können. Das Dumme an diesem
durchaus "marktgerechten" Regelkreis ist eine gewisse
Trägheit in seiner Auswirkung. Hiermit ist der staatliche
Eingriff Mindestlohn einer Vernunft geschuldet, die über den
Bilanzstichtag eines Unternehmens hinaus blickt - und nicht etwa
einer Vernichtung von Arbeitsplätzen, die de fakto eh keine
sind.
Die
Schwäche der neoliberalen Theorie - sozial ist was Arbeit
schafft - liegt darin, dass man zum Nulltarif unendlich viel Arbeit
schaffen kann - nur liegt das allein daran, dass diese "Arbeit"
- in unserem gültigen Wertesystem fast NICHTS wert ist. Da gäbs
dann tolle Chancen.... z.B. die Dienstleistung als hauptamtlicher
"Nase-Popler" - warum nicht, wenn es doch nichts kostet?
Ersatzweise kann man natürlich auch dem Prof. Sinn die Schühchen
polieren - womit der offenbar ein so gravierendes Problem hat. Ob man
DAS allerdings zu einem gesellschaftlichen Problem machen muss, ist
fraglich - andere Menschen schaffen es jedenfalls locker, ihre Schuhe
selbst zu polieren. Herr Sinn wird doch da etwa nicht ein
Leistungsdefizit aufweisen?
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