Niemand
konnte erwarten, dass sich in Absurdistan im Verlauf des Osterfest
irgendetwas - womöglich sogar zum Guten - ändern würde.
Unsere Tornados beginnen damit, Taliban in Grund und Boden zu
"fotografieren" (zumindest solange sie sich von Bergen
fernhalten); wir dürfen leistungsfreie Mrd. Jahreseinkommen der
"Leistungsträger" hier
bewundern; in Russland werden "Unruhen" herbeigeredet; ein
weiterer - bislang weitgehend unbekannter - Harvard-Verwirrter unter
unseren "Weisen" tut auch mal was für seine Publicity
und fordert Löhne auch unter 3€; Royale's Niederlage in
Frankreich scheint bereits eine Woche vor dem ersten Wahlgang
fest zu stehen (hoffentlich nehmen die Franzosen sich das zu Herzen...); die Destatis-Monatszahlen für Februar 2007 sind noch immer nicht vollständig
- und noch Vieles mehr... Das alles ist aber noch vergleichsweise
harmlos gegen die Ereignisse am 11.4.2007 im Freiburger Münster
anlässlich der Trauerfeierlichkeiten für den am 1.4.2007
verstorbenen Ex-Marinerichter und Ex-Ministerpräsidenten Hans
Filbinger.
Und
tatsächlich - Günter Oettinger, aktueller
CDU-Ministerpräsident in Baden-Württemberg, hat mal etwas
verbockt. Dabei begann es wie "Business as usual" - diese
Meldung hier
vom 3.4.2007 konnte jeder so lesen und in ähnlicher Form auch sehen oder hören, ohne dass sich
zunächst viel geregt hätte. Schließlich machte
Filbinger sich nach seinem unter öffentlichem Druck erzwungenen
Rücktritt als Ministerpräsident weiterhin außerordentlich
"verdient" - eben nur unauffälliger. 1979 gründete
er zusammen "mit Freunden" das erzkonservative
Studienzentrum Weikersheim, das er bis 1997 selbst leitete und zu dessen Ehrenpräsident er dann wurde. Ohnehin war verdächtig viel der "Ehren"... Auch die Diskussionen um die
Berufung Filbingers zum Wahlmann für die Wahl des
Bundespräsidenten 2004 ritten die Herrenreiter der
baden-württembergischen CDU locker ab, zumal man sich daran,
dass dieser seit Jahr und Tag (genauer seit 1979) "Ehrenvorsitzender"
der CDU in Baden-Württemberg war, ohnehin längst - wenn mancher
auch widerwillig - hatte gewöhnen müssen. Alles in allem
eben ein Stück Normalität im Absurdistan dieser Zeiten.
Doch dann...
In
einer schwurmeligen Trauerede für Filbinger vor rund 700
Trauergästen im Freiburger Münster am 11.4.2007
strapaziert Oettinger das Durchhaltevermögen der Trauergemeinde
und treibt die Filbinger-Ehren auf die Spitze, indem er es nebenbei fertig bringt, den Verstorbenen gar fast zum veritablen
Widerstandskämpfer hoch zu stilisieren. Die Rede können Sie
im Wortlauf am Ende dieses Artikel nachlesen, wir haben sie dort in
einer dem Anlass angemessenen Farbe - einem sanften Braun - noch
einmal angeführt.
Die
sofortige Entrüstung nach Bekanntwerden der Rede ist zwar
verständlich - es erhebt sich allerdings eher die Frage, ob es
noch wirklich berechtigt ist, nach mehr als nun schon 25 Jahren
Eiertanz um die Widersprüchlichkeit des Verstorbenen nur über
Günter Oettinger allein plötzlich das große Jauche-Fass
aufzumachen. Oettingers Rede - entstanden aus dem Dunstkreis eines
anderen "großen und hochverdienten" Bundesdeutschen
dieser Tage, nämlich Prof. Dr. Günter Rohrmoser, verfehlt
das Thema Hans Filbinger - mal abgesehen von den persönlichen
Beileidsbekundungen - in vielerlei Hinsicht.
Zunächst
einmal wäre es - im Gegensatz zu dieser skandalösen Rede -
Mindestanforderung an den Stil gewesen, den politischen Alltag heraus
zu halten. Es muss doch selbst eingefleischten Anhängern des politischen
Katholizismus deplaziert vorkommen, wenn eine Trauerveranstaltung zu
einer Art Wahlkampfveranstaltung "umfunktioniert" wird. Was
bitte haben mit gutem Recht in der Gesellschaft strittige
Politik-Themen wie Gesamtschulen, Neoliberalismus etc. in einer
Trauerrede überhaupt zu suchen? Ist nicht einmal das Ableben
eines Menschen mehr Anlass genug, die allgegenwärtige Streiterei
wenigstens für einen Moment mal beiseite zu legen?
Doch
nun zum Kern: Der Vorwurf an Hans Filbinger war eben im Wesentlichen
ja eher weniger, dass er als Marinerichter eine ganz sicher nicht
vernachlässigbare aktive Position im Nazi-Regime einnahm. Das
ging vielen anderen Offizieren und hohen Beamten auch so, wie die
Rede noch mit Recht feststellt. Nur - Filbinger war auch Rechtsgelehrter.
Und als solcher musste er eigentlich - wie viele seiner
Justiz-Kollegen im Übrigen auch - durchaus einen guten Überblick
über die dem Regime innewohnende Perversion, und insbesondere
jener des Rechtssystems, gehabt haben.
Und
genau dieser Umstand ist es auch, der er so bedenklich macht, wenn so
einer sich - nach dem Ende des schaurigen Theaters mit Vorwürfen
konfrontiert - zu diesem denkwürdigen Ausspruch versteigt: "
Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein!“
Dies zeigt doch deutlicher, als all des Geschwurmel der Trauerrede,
mit wem man es hier zu tun hat. Es ist schade, dass ein Mensch, der
sich in seiner Nachkriegsaktivität vielleicht manchen Verdienst
erworben haben mag, es trotz seiner langen Lebensspanne nie fertig
brachte, sich wenigstens hiervon zu distanzieren. Aber wie traurig
ist es da erst, dass seine Kollegen in einer großen angeblichen
"Volkspartei" den Uneinsichtigen seit Jahr und Tag vor sich her tragen wie eine Monstranz?
Hans
Filbinger hat sich selbst zu zu schreiben, dass sein Gedenken von
seinem Spruch "Was
damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein!“
für immer geprägt bleiben wird und weniger von manch
vielleicht auch Gutem, welches er vollbracht haben mag. Der Vorwurf
bleibt: denn im Gegensatz zur fraglichen Zeit, stand er nämlich
1978 unter keinerlei Druck, musste nicht um Leib und Leben fürchten
- und hätte so doch um so leichter seinem
Widerstandskämpfer-Herzen Luft machen können - wenn es da
denn eines gegeben hätte.
Ein
genaueres Studium der Rede indes macht sie fast zu einer
geschichtlichen Quelle - denn hier wird erschreckend wie kaum
anderswo deutlich, wie manche jener Strömungen, die einst dem
National-Sozialismus bewusst oder unbewusst zuarbeiteten, sich unter
Oberfläche bis in die heutige Zeit zu tradieren vermochten. Sie
werden am Leben gehalten unter anderem auch von Menschen, wie diesen
Redenschreiber und dessen Hinterleuten, die sich bis heute jeder
näheren Erkenntnis über die wahren Ursachen jener epochalen
Entgleisung Deutscher Kultur standhaft verweigern.
Baden-Württemberg
muss ohnehin ein besonderes Bundesland sein - hier wie in keinem
sonst scheint es Ministerpräsidenten seit Langem nicht vergönnt,
ihre Amtsperioden ohne größere Querelen zu beenden.
Oettinger selbst ist es inzwischen, der hier - wenn er weiter seinem
großen Vorbild nacheifert - schneller unter die Räder der
mangelhaften Vergangenheitsbewältigung geraten könnte, als
er sich vermutlich je träumen ließ... Und doch würde
selbst sein Rücktritt kaum mehr als nur ein Bauernopfer sein:
Ausgetauscht wird lediglich eine Figur - und die wahren Ursachen für
die inzwischen im ganzen Land mehr und mehr zutage tretenden
Verwerfungen indes würden hiermit nur ein aberes Mal unter den Teppich gekehrt.
Bei
allem Gezeter über den Missgriff Günter Oettingers droht
Eines nämlich übersehen zu werden: Diese Rede - zumal im
aufmüpfigen Freiburg - ist vor allem auch eine erste blanke
Machtdemonstration des längst wieder erstarkten Ungeistes in unserem Land.
Dies unterstreicht besonders deutlich das Verhalten des Vorsitzenden der baden-württembergischen CDU-Landesgruppe im Bundestag, Georg Brunnhuber, der - wie hier nachzulesen - es gar an der Zeit für Warnungen an den Zentralrat der Juden hält und zum Vorfall absondert..." er stehe inhaltlich voll hinter Oettinger. Der Ministerpräsident habe eine gesetzte, wohlformulierte Trauerrede gehalten und Oettingers Rede habe eine große Wirkung auf die christlich-konservative Seele gehabt. "...Für unsere Anhängerschaft hat er einen ganz, ganz großen Schritt getan. Er hat ein Tor aufgestoßen: Das wird ein Großer..."
"Österreich-Experte" und scheinbarer Zwerggeist (solche drängts bekanntlich gern nach purer Größe..) Brunnhuber wird hier doch nicht etwa jene Art Größe meinen, zu der es ein Österreich-Import namens Alois Schicklgruber hierzulande schon einmal brachte? Dann nämlich wäre es für die "Filbinger-Erben-Gemeinschaft" so langsam doch mal an der Zeit, in den Ermittlungsfokus des Verfassungsschutzes zu rücken... auch wenn dieser chronisch an einer Sehschwäche auf dem rechten Auge leidet.
Oettinger Flucht nach Vorn-Rechts jedenfalls scheint gleich die zweite Dummheit nach der ersten... und senkt damit die Anzahl der Alternativen zu seinem Rücktritt beträchtlich. Doch selbst dann kann die Zivilgesellschaft hierzlande diesen durch Stumpf- und Starrsinn zum Eklat eskalierenden Vorfall nicht mehr so einfach auf sich beruhen lassen - offensichtlich muss man "Volksvertretern" und so manch dubioser "Stiftung" doch mal etwas näher auf die Fingerchen schauen. Wer hier erst zu schürfen beginnt, wird sehr
schnell feststellen, dass es mit den Austausch des einen Oettingers
gegen einen anderen nicht getan sein kann. Was dem ganzen Land - und
Baden-Württemberg besonders - fehlt, ist die bundesweite
Auflehnung gegen die zahllosen im Hintergrund unermüdlich werkelnden "Eliten", die
es von Tag zu Tag immer noch ein Stück absurder werden lassen...
ARTIKELENDE
CogitoSum
- Beitragskritik:
Politik
- Hintergründe:
DIE
REDE
Verehrte
liebe Frau Filbinger, liebe Familie Filbinger, ich grüße
die fünf Kinder, 14 Enkelkinder, zwei Urenkel, und alle
Angehörige, Herr Landtagspräsident, Herr Bundesminister,
lieber Lothar Späth, lieber Erwin Teufel, verehrte Vertreter der
Regierung und von Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen, verehrte
aktive und ehemalige Mitglieder der Landesregierung
Baden-Württembergs, des Deutschen Bundestages und des Landtags
von Baden-Württemberg, Herr Oberbürgermeister, Herr
Weihbischof Klug, verehrte Vertreter der Kirchen, liebe Freunde und
Weggefährten von Hans Filbinger, verehrte Trauergemeinde,
Tief
bewegt nehmen wir Abschied von Hans Karl Filbinger.
In
Trauer, aber auch voller Respekt und Hochachtung verneigen wir uns
vor einer großen Persönlichkeit, einem herausragenden
Politiker und vor seinem Lebenswerk. Unser Mitgefühl und unsere
aufrichtige Anteilnahme gilt Ihnen, liebe Frau Filbinger und gilt den
Kindern, den Enkeln und den Angehörigen. In christlicher
Verbundenheit teilen wir Ihre Trauer, auch wenn wir wissen, dass
Worte und Gesten über den schweren Verlust nicht hinweghelfen
können. Die Nachricht vom Tode Hans Filbingers hat uns alle tief
bewegt.
Viele
sind heute hier, die Hans Filbinger nahestanden: Persönlichkeiten
des öffentlichen Lebens, Weggefährten, Mitarbeiter von
einst und Freunde. Aus Günterstal, aus Freiburg, aus Südbaden,
aus Baden-Württemberg und weit darüber hinaus.
Auch
viele Bürger im Land denken in diesen Tagen an Hans Filbinger.
Die Reaktionen zeigen, welcher Respekt, welche Bewunderung, ja
Zuneigung ihm zuteil geworden ist. Nichts macht augenfälliger,
was er für unser Land war: ein großer und verdienter
Demokrat. Eine öffentliche Autorität, erwachsen aus einem
Lebenswerk, das für die hervorragende Entwicklung unseres Landes
steht. Mit Hans Filbinger geht einer der Letzten, der den Aufbau
unseres Landes nicht nur miterlebt, sondern auch entscheidend
mitgestaltet hat.
Ich
maße mir nicht an, sein Leben und Wirken in wenigen Sätzen
zusammenfassen zu können. Aber klar ist: Hans Filbinger war mehr
als nur ein großer Politiker. Seine Person steht für
beinahe 100 Jahre deutscher Zeitgeschichte! So blicken wir heute mit
großem Respekt auf einen Mann, der alle Höhen und Tiefen
des letzten Jahrhunderts selbst erlebt hat.
Auf
einen Mann,
- -
der noch im Kaiserreich in Mannheim geboren wurde, und der fünf
Jahre alt war, als der Erste Weltkrieg zu Ende ging.
- -
der in der Weimarer Republik heranwuchs und Zeuge des Untergangs der
ersten Demokratie auf deutschem Boden war.
- -
der 20 Jahre alt war, als Hitler die Macht ergriff und 32 Jahre alt,
als der furchtbare Krieg sein Ende fand.
Anders
als in einigen Nachrufen zu lesen, gilt es festzuhalten: Hans
Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner
des NS-Regimes. Allerdings konnte er sich den Zwängen des
Regimes ebenso wenig entziehen wie Millionen Andere. Wenn wir als
Nachgeborene über Soldaten von damals urteilen, dann dürfen
wir nie vergessen: Die Menschen lebten damals unter einer brutalen
und schlimmen Diktatur!
Hans
Filbinger wurde - gegen seinen Willen - zum Ende des Krieges als
Marinerichter nach Norwegen abkommandiert. Er musste sich wegen
seiner Beteiligung an Verfahren der Militärjustiz immer wieder
gegen Anschuldigungen erwehren. Es bleibt festzuhalten: Es gibt kein
Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren
hätte. Und bei den Urteilen, die ihm angelastet werden, hatte er
entweder nicht die Entscheidungsmacht oder aber nicht die
Entscheidungsfreiheit, die viele ihm unterstellen.
Hans
Filbinger hat mindestens zwei Soldaten das Leben gerettet: Einer von
ihnen, Guido Forstmeier, weilt noch heute unter uns und kann
bezeugen, dass sich Filbinger dabei großer Gefahr ausgesetzt
hat.
Manfred
Rommel hat dieser Tage bekräftigt, dass er Filbingers Rücktritt
vom Amt des Regierungschefs nach wie vor nicht für erforderlich
gehalten hat. Wie viele andere Menschen, die das Dritte Reich erlebt
haben, sei er schicksalhaft in Situationen hineingeraten, die den
Menschen heute zum Glück erspart bleiben.
Hans
Filbinger hat also die schreckliche erste Hälfte des letzten
Jahrhunderts nicht nur erlebt, er hat sie auch erlitten. Jahrzehnte
später wurde ihm seine Mitwirkung während der letzten
Kriegswochen vorgehalten. Viele waren befremdet. Er war betroffen und
gekränkt. Mit seinem Rücktritt zog er eine weitreichende
Konsequenz.
Für
mich und meine Generation ist es leicht, die Kriegszeit zu
beurteilen. Vielleicht aber in Wahrheit schwer oder auch unmöglich,
weil wir sie nicht erleben mussten. Und wir nicht ermessen können,
wie brutal und diktatorisch die Umstände damals gewesen sind.
Hans Filbinger hat vor allem viel dazu beigetragen, dass die zweite
Hälfte des letzten Jahrhunderts in unserem Land einen ganz
anderen, einen guten Verlauf genommen hat. Er war ein Mann der ersten
Stunde. Es gibt nur wenige, die von Beginn an und bis heute um das
Wohl unseres Landes so besorgt und so erfolgreich tätig waren
wie er. Unser Land, Baden-Württemberg, stünde heute nicht
so gut da, wenn er nicht seine ganze Kraft, seine Ideen und Ideale,
seine geschichtliche Erfahrung und sein Können eingebracht
hätte.
Hans
Filbinger war bereits in jungen Jahren von jenem Denken getragen, das
später den Aufbau Baden-Württembergs, aber auch Deutschland
im Ganzen ermöglicht hat.
Welches
Denken meine ich dabei?
Er
kam bereits in den Jahren der Weimarer Zeit zu der Überzeugung,
dass der Totalitarismus von rechts und auch von links nur verhindert
oder überwunden werden kann, wenn sich die Deutschen wieder auf
die Traditionen der christlich-bürgerlichen Kultur besinnen.
Er hat aus der Erfahrung von Weimar gelernt, dass eine Demokratie nur
dann erfolgreich sein kann, wenn die Bürger zu rechtsstaatlichem
Bewusstsein und zu humanen Werten erzogen, und wenn sie mit einer
freiheitlichen Wirtschafts- und Sozialordnung vertraut gemacht
werden.
Filbinger
hat deshalb den Nationalsozialismus immer verachtet. Die
Weltanschauung war für jemanden wie ihn, der aus einem
katholischen Elternhaus stammte und der sich als gläubiger
Christ verstand, schlichtweg unerträglich. Hans Filbinger hat
aus diesem Glauben heraus gehandelt und in der Zeit des
Nationalsozialismus großen Mut bewiesen:
- -
er hat im katholischen Schülerbund "Neudeutschland"
mitgewirkt;
- -
er hat als Leiter des Bezirks Nordbaden die Gleichschaltung mit der
Hitlerjugend bekämpft;
- -
er hat seine Kommilitonen zur Standhaftigkeit gegen die NS-Vertreter
aufgerufen;
- -
er wurde dafür von den Nazis auf die schwarze Liste der
Regimegegner gesetzt.
Der
Jugendbund, dem er angehörte, wurde schließlich im Jahre
1939 durch die Gestapo verboten und die Begegnungsstätte als
"staatsfeindliches Vermögen" beschlagnahmt.
Schon
zwei Jahre vor dem Krieg ging Hans Filbinger in den Kreis um den
berühmten katholischen Publizisten Karl Färber und den
Dichter Reinhold Schneider, die sich in erklärter Gegnerschaft
zum Regime befanden. Freunden und Verwandten hat er oft erzählt,
wie prägend dieser Freiburger Kreis für ihn gewesen ist und
wie viel er ihm verdanke.
Er
wirkte darüber hinaus in einem weiteren Kreis mit, der für
die Entwicklung der freiheitlichen Bundesrepublik von größter
Bedeutung gewesen ist. Ich meine den Kreis um Walter Eucken und Franz
Böhm, jenen Begründern der "Freiburger Schule",
die bereits während des Krieges das Konzept des
Ordoliberalismus entwickelt hat, woraus später die Soziale
Marktwirtschaft entstand.
All
dies zeigt: Hans Filbinger war bereits in jungen Jahren von einem
christlich-freiheitlichen Geist geprägt. Und er ist diesem
Geist, dem Geist von Freiburg, sein Leben lang treu geblieben! Hans
Filbinger hat später in allen Funktionen - als
Wirtschaftsanwalt, als Stadtrat, als Staatsrat, als Abgeordneter, als
Innenminister und auch als Regierungschef - vor allem als
Regierungschef - wesentlich daran mitgewirkt, dass diese Ordnung der
Freiheit nicht Theorie blieb, sondern Wirklichkeit geworden ist.
Viele
werden es nicht wissen: Aber Hans Filbinger hat nicht als Politiker,
sondern als Wissenschaftler begonnen. Es war kein Geringerer als
Walter Eucken, der den Studenten Filbinger an der hiesigen Hochschule
im Jahre 1934 an das Seminar für "Recht der
Wirtschaftsordnung" berufen hat. Seine wissenschaftliche Arbeit
in Euckens Seminar war von der Absicht getragen, die Macht der großen
Wirtschaftskonglomerate, die sich in Weimar so unheilvoll auswirkte,
zu brechen und den Aufbau einer mittelständisch geprägten
Wirtschaft zu befördern. Auch war es sein Ziel, dass der
Grundsatz von Treu und Glauben in der Wirtschaft wieder Einzug hält
und das Verhalten der Unternehmer durch ein Ethos getragen wird.
Nach
dem Krieg war Hans Filbinger gerade dabei, sich als Wissenschaftler
und als Wirtschaftsanwalt einen Namen zu machen, als seine berufliche
Entwicklung eine Wendung nahm. 1952 bot ihm der Freiburger
Abgeordnete der CDU, Dr. Kopf, an, ein Mandat als Stadtrat von
Freiburg anzustreben. Hans Filbinger musste sich entscheiden. Und er
hat sich entschieden. Herausforderungen ist er niemals ausgewichen.
Er hat sich ihnen gestellt. Ja, er hat sie sogar gesucht.
Und
Herausforderungen gab es damals mehr als genug. Das Land war
zerstört. Viele Städte, so auch Freiburg, waren dem
Erdboden gleichgemacht. Es fehlte schlichtweg an allem. Straßen
waren zerstört, Krankenhäuser zerbombt, Schulen
geschlossen. Die Not war unbeschreiblich. Man musste anpacken. Und
Hans Filbinger hat angepackt. Er hat es sich als Stadtrat von
Freiburg zur Aufgabe gemacht, die schreiende Wohnungsnot zu
überwinden. Und die Darlehen des Marshallplans machten es
möglich, die großen Pläne auch in die Tat umzusetzen.
Filbingers Wohnungsbauprogramm war ein voller Erfolg. Es war daher
kaum verwunderlich, dass er sich für höhere Aufgaben ins
Gespräch brachte. Und so nahm seine Karriere ihren Lauf.
Am
Anfang stand das Amt des Staatsrats von Südbaden. Es war ein
schwieriges, ein heikles Amt. Hans Filbinger sollte die besonderen
Interessen Südbadens gegenüber der Landesregierung in
Stuttgart geltend machen.
Er
fühlte sich als Badener, sogar als Altbadener. Aber sein
Verstand sagte ihm, dass die Zukunft Badens - auch wenn es viele noch
nicht wahrhaben wollten - in einem vereinten Südweststaat liegen
würde. So war er ein Mann, der früh die Chancen eines
vereinten Baden-Württemberg erkannte. Er wollte die Einheit des
Landes, denn er war überzeugt, dass Kleinstaaterei in der
modernen Zeit keine Berechtigung und keine Perspektive mehr bieten
kann. Rückblickend können wir sagen: Hans Filbinger hat
sich - vielleicht mehr als jeder andere - um das Zusammenwachsen, die
Einheit in Vielfalt, die Integration unseres Landes Baden-Württemberg
verdient gemacht. In seiner Zeit als Regierungschef wurde die
Badenfrage endgültig entschieden. Der Volksentscheid von 1970
mit über 80 Prozent der Stimmen für das Land
Baden-Württemberg wurde zum ersten Höhepunkt seiner
politischen Laufbahn.
Hans
Filbinger hat sich damit nicht begnügt. Sein Anliegen zielte auf
den staatlichen Charakter der Länder. Er wollte ein
baden-württembergisches Staatsbewusstsein schaffen.
Von
Walter Eucken hatte er gelernt, was einen modernen Staat ausmacht:
- -
starke Kommunen als Fundament,
- -
eine einheitliche, klar strukturierte, leistungsfähige
Verwaltung,
- -
immer das übergeordnete Wohl der ganzen Bürgerschaft im
Auge behaltend, Führung durch eine Regierung, der er zwanzig
Jahre lang angehörte.
Ausgestattet
mit dieser Idee eines schlanken, aber handlungsfähigen Staates,
hat sich Hans Filbinger ans Werk gemacht. Er hat die Verwaltung
reformiert, er hat Dienstleistung in den Behörden angestrebt, er
hat wenig effiziente Strukturen verschlankt. Die Krankenhäuser
im Lande sind als Beispiel genannt. Und er war von großem Mut
und von großem Fleiß. Hans Filbinger hat später
immer wieder erzählt, dass er als Staatsrat früh morgens um
4 Uhr aufbrechen musste, um nach mühseliger, fünfstündiger
Fahrt auf maroden Straßen und nach langen Wartezeiten vor
passierenden Güterzügen pünktlich zum Kabinett zu
kommen.
Erfahrungen
dieser Art haben dazu beigetragen, dass er zum Vater des
Landesentwicklungsplans geworden ist: damit wurde die
Verkehrsinfrastruktur des Landes gründlich gestärkt. Es
wurden Förderprogramme für die ländlichen,
benachteiligten Regionen aufgelegt Es wurde ein
Mittelstandsförderprogramm zur Gründung und zum Erhalt von
kleinen Unternehmen ermöglicht.
Und
mit Hilfe dieser Strukturpolitik ist es gelungen, dass die damals
besorgniserregende Abwanderung aus den ländlichen Gebieten
Baden-Württembergs gestoppt, ja umgekehrt worden ist. Wenn es
heute in Baden-Württemberg - im eigentlichen Sinne - keine
Provinzen und keine strukturschwachen Räume mehr haben, dann
verdanken wir das nicht zuletzt der Politik unter Hans Filbinger und
seiner Generation. Die wirtschaftliche Prosperität, das Wachstum
unseres Landes, unser guter Arbeitsmarkt, der soziale Wohlstand der
Menschen, alle haben ihr Fundament in den Jahren dieser
Gründergeneration, deren Grundlage bis heute für uns
erfolgreich und wichtig sind.
Der
Entwicklungsplan war damals nur ein Anfang. Er bildete den Auftakt
für das wichtigste Reformwerk der Ära Filbinger: die große
Gemeindegebiets- und Kreisgebietsreform.
Es
gab damals viele kleine Gemeinden, die gerade einmal den
Bürgermeister und wenige Mitarbeiter bezahlen konnten; die kein
Geld für Straßen, für Schulen und Kindergärten
zur Verfügung hatten. Ganz zu schweigen von den fehlenden Hilfen
für Industrieansiedlung und Arbeitsplätze.
Die
Gebietsreform war also überfällig. Aber es bedurfte eines
Kämpfers, eines mutigen Mannes, eines Ordnungspolitikers, wie
Hans Filbinger einer war, damit sie auch konkret in Angriff genommen
und in die Tat umgesetzt worden ist. Hans Filbinger hat, gemeinsam
mit dem großen Sozialdemokraten Walter Krause mit der Gemeinde-
und Kreisreform ein Riesenwerk für Baden-Württemberg
vollbracht. Ein Werk, das noch heute unseren Respekt verdient.
Respekt auch vor den Leistungen der Großen Koalition unter
seiner Führung, die Strukturen halten bis heute leistungsfähig
an. Es brauchte damals viel Steh- und Überzeugungsvermögen,
um die Gemeinde und Gebietsreform gegen Widerstände und
Vorbehalte auch im Parlament durchsetzbar und mehrheitsfähig zu
machen. Hans Filbinger und Walter Krause und die Parlamentarier
dieser Generation hatten diese Gaben. Und so schufen sie jene
leistungsfähigen Städte, Gemeinden und Landkreise, die
heute in der richtigen Größenordnung sind.
Auch
sonst hat er in seiner Amtszeit eine Vielzahl von Entscheidungen in
Schule und Hochschule, im Städtebau und in der Inneren
Sicherheit getroffen, die wegweisend waren und die sich bis heute als
richtig erwiesen haben. Ich denke hier besonders an die
Bildungspolitik. Unter seiner Führung und mit Wilhelm Hahn
wurden damals Reformen im Schul- und Hochschulbereich durchgeführt,
deren Weitsichtigkeit und Bedeutung - erst recht im Lichte der
Pisa-Studien und Exzellenzinitiativen - heute offenkundig sind.
Ich
erinnere
- -
an die Absage an die Gesamtschule,
- -
an den flächendeckenden Ausbau von Hauptschulen, Realschulen und
Gymnasien,
- -
an den Ausbau der Fachhochschulen
- -
und an die Gründung der Berufsakademien, der erfolgreichsten
Bildungsinnovation unserer Nachkriegszeit.
Wenn
man ihn auf seine Regierungsjahre ansprach und als Jüngerer die
Gelegenheit hatte, auf seinen Rat zu hören, beschäftigte
ihn am meisten die Zeit der Terroranschläge, der Selbstmorde der
Haftanstalten von Stammheim, die Zeit als die Demokratie und der
Staat letztendlich nahe am Abgrund stand. Vor dreißig Jahren
starb Buback, fand die Entführung von Schleyer statt, war das
Land und war Deutschland auf das Äußerste angespannt. Er
war einer von den Männer und Frauen, die für eine wehrhafte
und nicht erpressbare Demokratie mit Nachdruck, Überzeugung und
letztendlich auch mit Erfolg eingestanden sind.
Zwanzig
Jahre war er in unserer Regierung als Staatsrat, als Innenminister
und zwölf Jahre als Ministerpräsident. Er war streng, er
war fürsorglich, er war vorbildlich, er war fleißig, er
war sachkundig, er war mutig und weitsichtig und er hat früh
Talente und Begabungen erkannt und gefördert. Seine Kabinette
waren bundesweit vorn. Ich nenne Roman Herzog, Annemarie Griesinger,
Gerhard Weiser, ich nenne die Weggefährten Lothar Späth und
Erwin Teufel. Ich nenne Wolfgang Schäuble aus Baden-Württemberg.
Er hat junge Männer und Frauen zum Staat geholt und ihnen
Aufgaben gegeben - Spitzenbeamte, Persönlichkeiten entstanden
daraus. Ich nenne Manfred Rommel, Gerhard Mayer-Vorfelder, Erwin
Vetter für viele andere. Wenn Baden-Württemberg in der
Bildung heute bundesweit vorne liegt und wenn unser Land in den 70-er
Jahren dem marxistischen Zeitgeist widerstanden hat, dann verdanken
wir dies vor allem Hans Filbinger.
Ihm
war es stets wichtig, dass Inhalte für Bildung nicht zu kurz
kamen. "Mut zur Erziehung" - so hat sein damaliges Wort
gelautet und "Mut zur Erziehung" ist heute aktuell wie
damals. Denken wir nur an das Buch von Bernhard Bueb, das soeben zum
Beststeller wurde. Hans Filbinger hat früh erkannt, dass die
dogmatisch antiautoritäre Erziehung, die an anderen Orten
gefordert worden ist, ein - wie er sagte - "ideologischer
Irrläufer" war. Er ist dafür von Manchen scharf
angegriffen worden. Aber er hat hier mit Sicherheit Recht behalten,
dies stellt sich heute mehr denn je heraus. Humanistische Bildung und
christliche Erziehung, Familie, Bürgertugenden, Patriotismus -
all das, wofür er sein Leben lang eintrat, erfährt heute
eine neue Wertschätzung.
Hans
Filbinger wollte ein fortschrittliches, ein modernes und ein
bewahrendes Baden-Württemberg. Und er wünschte sich, dass
sein Land tief in der Geschichte verwurzelt bleibt:
- -
Ein Baden-Württemberg, das sich - ich erinnere an die Große
Staufer-Ausstellung 1977 - um eine eigene Identität
erfolgreich
bemüht.
- -
Ein Baden-Württemberg, dem die europäische Einigung und die
Freundschaft mit Frankreich ein großes Anliegen ist.
- -
Und ein Baden-Württemberg, das sich dem
christlich-humanistischen Erbe verpflichtet weiß.
Fest
verankert in der christlich-abendländisch-europäischen
Kultur, und gleichzeitig der Zukunft zugewandt: das war sein
Lebensmotto. Es ist das Motto, dem sich unser Land seitdem
verpflichtet weiß. Und er war ein Landesvater im Besten Sinne
dieses großen Wortes.
Das
Land verliert mit Hans Filbinger eine prägende Persönlichkeit.
Wir, die Generationen nach ihm, verlieren mit ihm einen
zuverlässigen, kompetenten und aufrichtigen Mitbürger,
einen väterlichen Weggefährten und Ratgeber, dessen Rat uns
stets viel bedeutet hat.
Ich
erinnere mich gerne, wie er auch nach dem Ausscheiden aus der aktiven
Politik immer dabei war, wenn die Pflicht rief. Bei Parteitagen von
Land und Bund, bei Vorstandssitzungen und im Präsidium, bei
Versammlungen zur Wahl des Bundespräsidenten. Er hat sich nicht
zurückgezogen, sondern in dem Maße, wie wir seinen Rat
brauchen konnten, stand er für uns bereit. Nicht aufdringlich,
aber gewichtig. Die letzte Begegnung war Anfang des Jahres, als er
körperlich gebeugt, aber geistig völlig klar und am
aktuellen Geschehen interessiert in Stuttgart für ein
Kaffeegespräch mit Lothar Späth und Erwin Teufel zu Gast
war und damals in einem beeindruckenden Maße über unsere
Tagesordnung, über die aktuellen Geschehnissen informiert
gewesen ist.
Sein
Freund Dr. Friedmann hat mir dieser Tage einen Brief zugeleitet, nur
zwei Wochen alt, in dem Hans Filbinger seinem Freund, Dr. Friedmann,
zum Geburtstag gratulierte mit einer klaren Handschrift, seiner
markanten Unterschrift. Er war bis zuletzt ein Wegbegleiter für
uns und ein pflichtbewusster und aufrichtiger Mensch.
Wir
wünschen Ihnen, liebe Frau Filbinger, Kraft, Gesundheit und
Zuversicht, Ihnen und Ihrer Familie, Ihren Kindern, Ihren
Enkelkindern und Ihren Freunden. Denn seine Lebensleistung ist auch
Ihre. Und sein Lebenswerk ist auch Ihres. In tiefem Respekt vor dem
Menschen und seinem Lebenswerk verneigen wir uns in dieser Stunde vor
Hans Filbinger, dankbar ihn gekannt und erlebt zu haben. Wir spüren
und wir teilen den Schmerz seiner Familie, die er geliebt und die ihn
getragen hat. Und wir spüren die Lücke, die er für
unser Land und unsere Partei hinterlässt.
Bekanntlich
ist nur der wirklich tot und vergessen, der aus den Herzen und der
Erinnerung der Menschen verschwindet. Ich bin sicher: Hans Filbinger
wird weiterleben - in unseren Herzen, in unserer Erinnerung und mit
seinem politischen Lebenswerk für uns und die nächsten
Generationen.
"Die
Bahre ist die Wiege des Himmels", sagt Jean Paul. Und so ist
Hans Filbinger heimgekehrt in die Arme seines Herrn. Wir werden dem
Verstorbenen ein würdiges Andenken bewahren, möge er in
Gottes Frieden ruhen.
|