Angesichts
des grausigen Amoklaufs in Blacksburg ist europäische Arroganz
gegenüber der amerikanischen Gesellschaft sicher unangebracht -
schließlich nähern sich die hiesigen
Gesellschaftsverhältnisse in Vielem denen in USA schon seit
Längerem und in jüngerer Zeit beschleunigt an. Zu
behaupten, das merkwürdige Verfassungsrecht des Amerikaners auf
seine Waffe erfasse nun die Ursache für den Amoklauf, ist
kindisch. Natürlich ist dies nicht die Ursache für das
Ereignis. Diese wird - wie meist in solchen Fällen - vermutlich
nie wirklich aufgearbeitet werden. Und öffentlich schon gar
nicht. Als sicher aber kann angesehen werden, dass dieses verstaubte
Verfassungsrecht des Amerikaners dafür sorgte, dass es wiederum
viele - diesmal 33 - Tote gab. Wenn Waffen leicht zugänglich
sind, gehen individuelle Katastrophen, zu denen unter anderem auch
Amokläufe zählen, tendenziell eben eher so aus - so eine
Art Unterschied zwischen Erfurt und Emsdetten ist sozusagen, was sich
hier bemerkbar macht.
Da
dieses Recht in den USA sehr populär ist, nehmen die Anhänger
dieses Rechts die hohen Opferzahlen anscheinend in Kauf. Das ist im
Einzelfall zwar tragisch - vor allem für jene Opfer, die noch
leben könnten, hätten Cho Seung-Hui wie Sebastian B. nur
Vorderlader zur Verfügung gestanden. Doch dies ist eben - neben
der allgemeinen Unfallgefahr beim Hantieren mit Waffen - der Preis,
den dieses Recht verlangt und eine Mehrheit der amerikanischen
Gesellschaft will diesen Preis offenbar noch zahlen. An dieser
Entscheidung haben wir nichts zu kritisieren, denn letztlich ist sie
Sache der amerikanischen Gesellschaft - manche Reaktion der
Amerikaner auf das Gejaule aus Europa wird mithin zumindest
verständlich.
Natürlich
stellt sich die Frage nach dem Sinn dieses Rechts. Da kann die USA
immerhin auf das dortige hohe Ausmaß an Gewaltkrimalität
verweisen - eine Waffe kann da schon Sinn machen, wenn Bürger
genötigt sind, sich selbst zu schützen. Den Gedanken indes,
dass es zum sicheren Leben in einer modernen Gesellschaft nicht
generell einer Bewaffnung bedarf, sollten die US-Amerikaner
vielleicht mal in Erwägung ziehen - denn Beweise für diese
Sichtweise existieren weltweit zuhauf. "Unbewaffnete"
Gesellschaften haben generell deutlich weniger Gewaltkriminalität.
Der
Amoklauf spielt sowieso eine Sonderrolle; er ist schließlich
keine "normale" menschliche Verhaltensweise und es besteht
in Wahrheit - auch das gehört gesagt - praktisch kaum ein
Risiko, jemals zum Opfer eines Amoklaufs zu werden. Amok ist der
"Ausnahmezustand" - jeder befand sich sicher schon einmal
in einer Situation nicht mehr beherrschbarer Wut, eine Situation in
der man am liebsten "um sich schlagen" möchte, wo
einem "alles egal" ist. In eine solche Situation bringt
eine Waffe nun - ob Charlton Heston das in seinen Kram passt oder
nicht - eine besondere Dynamik ein. Denn - hat der Mensch im seinem
Ausnahmezustand die ersten unauslöschbare Fakten geschaffen,
sorgt zumeist schon der von ihm selbst registrierte Tabubruch für
einen Wegfall gleich sämtlicher Hemmschwellen mit der Folge
weiterer - meist wahllos betroffener - Opfer.
Dies
gilt selbst dann noch, wenn überhaupt keine Waffe im Spiel ist -
wie viele Familientragödien auch hierzulande immer wieder
deutlich machen. Eine
Waffe aber wirkt sich in einer solchen Situation dramatisch aus - sie
macht schlicht das Töten "einfach", auch und besonders
die bei solchen Akten meist anzutreffende finale Selbsttötung.
Der Ausnahmezustand indes ist kein "umgelegter" Schalter -
ein unbekannte Anzahl von ihnen mag auch mit einem ersten Angriff auf
andere Menschen enden. Denn dessen Folgen Schmerzensschreie, Blut
etc. sowie vor allem die Tatsache, dass das Töten eines Menschen
von Hand alles andere als einfach ist, beinhalten die Chance, dass
der Täter noch zur Vernunft kommen kann. Bei der Waffe indes
reicht das kurze Zucken des Zeigefingers - und subjektiv steht für
den Täter die unauslöschbare Folge fest, selbst wenn das
Opfer noch nicht tödlich getroffen ist. Darüber hinaus
verleiht die Waffe seiner Raserei einen bedeutend höhere Wirkung
und größeren Aktionsradius.
Hochgerechnet
auf die Gesellschaft hat diese Prozessstruktur zur Folge, dass in
einer bewaffneten Gesellschaft zwingend häufiger zu schweren
Amokläufen mit tendenziell höheren Opferzahlen kommen muss.
Generell darf man nicht übersehen, dass es keine Statistik über
"abgebrochene" Amokläufe geben kann, da dies schon für
Täter rückwirkend von "normaler" Gewalt kaum zu
unterscheiden ist. Die angesichts Blacksburg in USA laut gewordene
Mär - der Vorfall wäre glimpflicher verlaufen, wären
nur ALLE Studenten bewaffnet gewesen, indes ist an Blödheit nun
gar nicht mehr zu überbieten. Wenn man sich eine wild
umherballernde Meute in eine Raum von 50 oder mehr Personen
vorstellt, steht doch eher die Befürchtung noch höherer als
niedrigerer Opferzahlen im Raum.
Nun
erfasst die bisherige Analyse eines Amoklaufs das Täterprofil
eines Cho oder Sebastian B. natürlich nicht vollständig. Es
sind fast immer "Sonderlinge" die solche spektakulären
"Großtaten" vollbringen. Unzählige Male haben
sie sich zuvor in ihrer Phantasie die Inszenierung ihres "großen
Abgangs" ausgemalt, diesen oft akribisch vorbereitet. Sie
befinden sich sozusagen permanent im "Ausnahmezustand";
monate- und nicht selten jahrelang vor der Tat. Der verständliche
Wille der Gesellschaft derartiges verhindern zu wollen allerdings,
wandelt stets auf dem schmalen Grat, genau das Gegenteil von seiner
ursprünglichen Absicht hervorzurufen.
Denn
die Zahl der "Sonderlinge" ist mit Sicherheit um ein
Vieltausendfaches höher, als die jener, die letztlich Amok
laufen. Die auch hierzulande angepriesenen "Allheilmittel"
stärkere Observation, Denunziantentum etc. werden definitiv
nicht nur nichts nützen - sie werden im Gegenteil den Druck auf
die Sonderlingsgruppe und deren Ausgrenzung noch deutlich erhöhen.
Die vorhersehbare Folge: die "Konversionsrate" vom
Sonderling zum Amokläufer könnte sich mittelfristig
steigern.
Gerade
und besonders die USA müssen sich anrechnen lassen: Wer alles
unternimmt, um menschliche Gesellschaften zu Raubtiergesellschaften
zu verunstalten, sollte nicht rumjammern, wenn er beginnt damit
Erfolg zu haben. Das Betroffenheitsgeschwafel und die nächsten
Dutzende von "Expertenrunden" werden das Problem ganz
sicher wieder nicht lösen, ja nicht einmal in den Fokus
bekommen. Und selbst wenn dann auch noch Schäuble hierzulande
demnächst verlangt, jeder Bürger müsse ein Psychogramm
in seinem Ausweis tragen wird sich nicht auch nur ein Jota mehr
"Sicherheit" einstellen - zu befürchten steht eher das
Gegenteil.
Eine
menschliche Gesellschaft lässt sich nun mal eben nicht mit einem
"Null-Risiko" organisieren. Es wird immer Kriminalität
geben - es wird immer Amokläufe geben - und es wird immer
Terrorismus geben. Dies ist die eigentliche Botschaft all dieser
Phänomene und auch die von Columbine, Erfurt und nun Blacksburg.
Der Mensch ist kein Apparat - zwischen seiner Umwelt und seinem
Handeln sitzt seine Persönlichkeit, in der sein subjektives
Empfinden verarbeitet wird und die sein Verhalten letztlich steuert.
Jede
Gesellschaft ist nun mal gezwungen, bestimmte Normen zu setzen, ein
gewisses Verhaltensspektrum zuzulassen und einen gewissen Rest zu
"unterdrücken". So sehr schwierig ist der Zusammenhang
nicht: je mehr unterdrückt wird, umso mehr "Psychopathen"
werden herangezüchtet - Menschen, die mit dem was von ihnen
indirekt "verlangt" wird, nicht mehr zurecht kommen, die
sich selbst oder von anderen aus der Gesellschaft "ausgemustert"
werden. Und ein gewisser - mit dem Druck auf Sonderlinge und
Außenseiter einher gehender - Prozentsatz solcher Menschen
läuft irgendwann Amok.
Hieran
kann keine Gesellschaft - und wenn sie sich noch so auf den Kopf
stellt - etwas ändern. Worüber eine Gesellschaft aber sehr
wohl entscheiden kann, sind die Randbedingungen für solche der
menschlichen Natur nach unvermeidlichen Phänomene. Es ist die
älteste Lüge konservativer "Sicherheitsfanatiker",
mehr Kontrolle und Machtausübung brächte mehr Sicherheit.
Die Erfahrungen belegen eher das Gegenteil - selbst bei den Nazis war
die Kriminalität sogar extrem hoch - rechnet man all die Opfer
jener Menschenjagd hinzu, die sie entfacht haben. Konnte hier doch so
mancher "Sonderling", dem sonst eine kriminelle Karriere
vorgezeichnet gewesen wäre, sich ganz legal "austoben".
Die
zuverlässigste Präventionsmaßnahme gegen
Kriminalität, Amok und Terror bleibt eine in bestimmten
sinnvollen Grenzen tolerante und vor allem nachvollziehbar gerechte
Gesellschaft. Eine solche minimiert schon von vornherein das
Potential für tragische Vorfalle nach dem Blacksburg-Muster. Ein Weiteres könnte man vielleicht erreichen, wenn man in der
"Unterhaltung" der Menschen die unentwegte Wiederholung
blödsinniger Botschaften, wie Gewaltverherrlichung, Kriegshetze
und Heldenquatsch sowie die grandiose Flut ganz offensichtlicher
Lügen minimieren würde. Wenn man dann auch noch den
Menschen klar macht, dass es prinzipiell nicht einer Waffe bedarf, um
sein Leben in Ruhe und Frieden zugestalten, wäre schon - wohl
auch und besonders in USA - viel erreicht.
Solange
aber Unterhaltungskonzerne sich daran bereichern, vor allem
abgrundtiefen Schwachsinn in die Hirne von Menschen zu pflanzen,
solange unsere Strukturen die Machtausübung und Reichtum
zulasten Ohnmächtiger und Armer immer einseitiger begünstigen,
solange Menschen über die einfachsten Grundlagen menschlicher
Gesellschaft immer unerträglicher belogen werden, werden wir es
mit einem Mehr an Kriminalität, Amok und Terror zu tun bekommen
- und nicht mit einem Weniger, völlig gleich was man sonst auch
immer unternehmen mag.
ARTIKELENDE
CogitoSum
- Beitragskritik:
Gesellschaft
- Streitschriften:
|