Das sich seinem Ende
zuneigende Sommerloch treibt bisweilen merkwürdige Blüten.
Eine an Absurdität schwer zu übertreffende ist diese hier:
Link.
Bevor wir uns dem Thema inhaltlich zu wenden, einige wichtige
Anmerkungen: Erstens -
dieser unterirdische Beitrag ging mit dazu passender Garnitur über
Reuters und die anderen Presseagenturen - wohlweislich freilich, ohne
einen Link zum zitierten Papier auszuweisen. Dem kann abgeholfen
werden: hier
der Link zur Zusammenfassung des Streitobjekts. Zweitens:
die Meldung steht im Kontext zu einer anderen, interessanten
Veröffentlichung des statistischen Bundesamtes - wonach Ende
2006 rund 5,3 Mio Menschen in Deutschland ALG2 bezogen - was im
Umkehrschluss bedeutet - 5,3 Mio Arbeitslose zuzüglich
derjenigen, die im Bezug von ALG1 stehen - zuzüglich jener, die
momentan ihr „ungeschontes“ Vermögen aufbrauchen. Huch
- wo sind denn all die so grandiosen „Arbeitsmarkterfolge“
der Agenda 2010 auf einmal abgeblieben? Natürlich -
eigentlich müssten wir es nicht extra erwähnen - aber die
Studie wurde in der „Zeitschrift für
Wirtschaftspolitik“ des IWP Köln veröffentlicht,
das für seine außerordentliche Nähe zum
Arbeitgeberlager bekannt ist. Ich kann Lesern nur empfehlen, sich -
falls es die Zeit zulässt - auch mal die Beiträge im Forum
zu diesem Spiegelartikel ein wenig anzusehen. Die Annahme, die
Mehrheit unserer Mitbürger sei noch mit Vernunft ausgestattet,
wird hier bisweilen auf eine harte Probe gestellt. Doch nun zum Thema
selbst...
Auch
wenn die - vermutlich eilends dazu geflickte - Präambel der
Zusammenfassung es zu kaschieren versucht - die Kernaussage der
Studie bleibt mehr von ihren Inhalten, als von ihrem Tatsachengehalt
her höchst brisant - und es werden sehr wohl Schlüsse
gezogen. Zum Beispiel jener...
„Viel zu hoch...“,
sei er also, der dem ALG2 als Regelsatz zugrundegelegte Betrag für
den Lebensunterhalt eines Menschen INKLUSIVE soziokultureller
Teilnahme. Die Wirtschaftswissen-schafter (bezeichnenderweise...)
Friedrich Theißen und Christian Fischer von der TU Dresden
ermittelten mal flugs, dass im Grenzfall auch 132
€ statt
der damaligen 331 €
ausgereicht hätten, um - wie sie formulieren - die
Ziele der „sozialen Mindestsicherung“ zu erreichen.
Wie immer - wenn man
selbst nicht betroffen ist - rechnet es sich sehr leicht und
unbefangen mit anderer Leute Lebensumstände. Zudem kann man von
Wirtschaftswissenschaftlern wohl wirklich nicht erwarten, dass sie
auch nur im Ansatz etwas davon verstehen, wie Gesellschaften
funktionieren und wie sich eine Mindestsicherung nach ihren bizarren
Vorstellungen für Menschen in der Realität „anfühlt“.
Hier bietet sich die einfache Frage an, zu
welchen Ergebnissen die beiden wohl gekommen wären, würden
sie selbst betroffen sein.
Doch
schauen wir kurz genauer hin - diese Zahlen kann man so ja
keinesfalls stehen lassen. Für die außerordentliche
Abweichung muss es Erklärungen geben - und die gibt es auch. Die
beiden „Fachleute“ setzten in ihrem „Minimalszenario“
immerhin satte 3 €
(!) im Monat für die soziokulturelle Teilnahme
des Menschen an. Wenn man nach sieht, wie sich soziokulturelle
Teilnahme nach Theißen/Fischer definiert, so erfahren wir -
Zitat:
1
€ für Kommunikation:
„Pauschale
für schriftliche Kommunikation. Radio- TV-Anschluss sowie 20
Min./Tag Internet in Stadtbibliothek“ (Na,
wenn da mal nicht kräftig aufgerundet wurde...)
2
€ für
Freizeit und Unterhaltung:
„Pauschale für Stadtbibliothek. Ermöglicht Zugang zu
Internet, Zeitungen, Zeitschriften und Büchern. Unterstellt wird
darüber hinaus eine Freizeitgestaltung
in Form von Gesprächen, Spaziergängen, Nutzung von Parks,
Teilnahme an öffentlichen Festen (!) etc...
Tja
- dumm gelaufen, wenn man auf dem Lande lebt, wo es weder einen
brauchbaren ÖPNV noch eine leistungsfähige Stadtbibliothek
gibt. Noch dümmer - wenn man seinen Antrag zur Befreiuung von
GEZ-Gebühren einen Tag zu spät abschickte (dies allein
verbraucht die üppige Kommunikations- pauschale eines Monats
bereits zu 55%...). Die dann nämlich fälligen 17 € sind
nicht nur nicht
im Regelbetrag der Herren Theißen/Fischer enthalten - unser
Bedürftiger müsste für dieses kleine Malheur
schlichtweg eine knappe Woche „hungern“, weil das Budget nichts
anders mehr zuließe.
Auch
erhebt sich die Frage, ob denn all die sinnvollen „Maßnahmen“,
die die ARGEN ihren „Kunden“ so angedeihen lassen, sich wirklich
vollumfänglich an den Öffnungszeiten der Stadtbibliotheken
inkl. der An- und Abfahrtswege orientieren. Außerdem soll man
sich ja auch noch permanent bewerben - wofür aber lediglich 260
€ pro Jahr
je ALG2-Bezieher als Kostenerstattung gegen Nachweis vorgesehen sind
- und das für sämtliche Bewerbungskosten zusammen. Wie das
mit 20 Minuten pro Tag in der Stadtbibliothek allein zu machen sein
soll, lassen unsere Propagandisten offen. Es gibt Regionen - auch im
Westen - die haben Arbeitslosenquoten von fast 20%. Ob die
Stadtbibliotheken von Dortmund oder Duisburg diesem Ansturm wirklich
gewachsen wären?
Was
ist, wenn unser ehedem „mobiler“ Arbeitnehmer nach einer
beruflichen „Odysee“ fernab von all seinen Lieben zum
Bedürftigkeitsfall wird? Also mal einen Brief schreiben oder gar
telefonieren - von Reisen reden wir lieber erst gar nicht - ist nach
Ansicht der „Wissenschaftler“ offenbar kein Bestandteil eines
menschenwürdigen Lebens - auch nicht zu Geburtstagen,
Feiertagen, Todesfällen usw. Bewerben ohne Telefon ist übrigens
auch eine spannende Angelegenheit... Doch es steht des dem
Bedürftigen natürlich frei, auf verschüttete Methoden
wie Trommeln oder Rauchzeichen zurückzugreifen...
Ich
denke - die ganze Lächerlichkeit dieser Studie ist bereits
deutlich. Als Kommentar spende ich eine kostenlose Idee für
Bertelsmann/ZDF/RTL/Sat1: lassen sie uns einen „Theißen/Fischer-Cup“
stiften - eine quartalsweise live gesendete Casting-Show nach dem
Motto: „Mit
wie wenig Euronen kann man einen Monat um die Runden kommen...“
- Teilnahmeberechtigt: HartzIV-Empfänger... und der Gewinner
darf dann seine karge Wohnung in sozialgerichtlich festgestellter
Größe bis zur nächsten Sendung mit dem schicken
Wanderpokal verschönern...
Lächerlichkeit
hin oder her - auf jeden Fall sind wir den
ersten rund 60 Euro Differenz schon mal auf die Schliche gekommen.
Die zweiten ergeben sich gänzlich „zwanglos“ - denn nach
Theißen/Fischer ist es ja nur zum Wohle des Bedürftigen,
wenn dieser mit Antragsabgabe seinen Tabak- und Alkoholkonsum
schlagartig einstellt. Schließlich verlängert dies
nebenbei auch seine Nutzungsdauer als Druckgenerator für den
Arbeitsmarkt...
Für
den Wahnsinnsbetrag von
68 € im Monat erhält
unser Bedürftiger nach Theißen/Fischer bereits eine
„Ausreichende
gesunde abwechslungsreiche Kost
(Essen und Getränke...) nach Empfehlungen der WHO...“.
Gab es ähnliche Sprüche nicht schon einmal zu anderen
Zeiten? Gab es dort zeitgleich im Verborgenen nicht völlig unähnlich
widerliche „Berechnungen“ - wieviel Reichsmark die „Entsorgung
von Menschen“ pro Kopf kosten würde - und welches wohl der
billigste Weg dazu sei?
Auf
jeden Fall aber gilt - das in der Studie zugrunde gelegte Preisniveau
war 2005!
Heute
kosten z.B. Billignudeln statt damals 29
Cent pro Pfund 55 Cent
- und überhaupt haben sich hier Billiglebensmittel mit Raten
weit
über der allgemeinen Preissteigerung
verteuert. Ich
behaupte - einen solchen Korb bekämen die Herren Theißen/Fischer
heute mit absoluter Sicherheit nicht mehr zustande.
Nicht
schlimm - es gibt ja noch die „Tafeln“
mag man entgegnen... Ich möchte die Tafeln des Landes mal sehen,
wenn da 5,3 Mio ALG2 Bezieher regelmäßig vorstellig
werden... Und abermals - was ist in abgelegenen Regionen, wo es
vieles der städtischen Infrastruktur schlicht nicht gibt? Und
schon haben wir die
Ursache
für weitere rund 60 € Differenz geklärt.
Der
Rest rekrutiert sich aus ein einigen Peanuts, wie - wieso braucht ein
Hartzling eigentlich einen Regenschirm? Shampoo
einpacken - und Wasser sparen
scheint da offenbar die
fortschrittlichere Variante nach Theißen/Fischer. Und dann doch
- den Herrschaften ist ein kleiner, aber wie könnt's anders sein
- gemeiner
- Fehler unterlaufen.
Denn
sie vergleichen ihre Mondzahlen zwar mit dem vollen Regelsatz,
behaupten aber,
dieser sei ohne Wohnungs-, Strom- und Heizkosten.
Dies ist die Unwahrheit -
denn ein ALG2-Bezieher hat die Stromkosten aus seinem Regelsatz zu
finanzieren - womit wir denn die Abweichung zu annähernd
100% aufgeklärt hätten
- und ALG2-Bezieher in der Theißen/Fischer-Welt eben gänzlich
stromlos da stehen...
Fazit
zur Rechnung: nicht
einmal den Papierberg ist sie wert, auf dem sie angerichtet wurde.
Eine sachliche Begründung warum und wieso die Autoren von seit
langen Jahren praktizierten Methoden zur Errechnung solcher Beträge
abweichen, fehlt - außer dem Hinweis: diese sei
„intransparent“. Vielleicht hätten Theißen/Fischer das
einfach auch nur denjenigen überlassen sollen, die etwas von der
Materie verstehen?
Ihr
Hinweis z.B., es gäbe bundesweit überall
Billigmarktfilialen ist weder stichhaltig nachgewiesen, noch ist er
hinreichend für den von der Studie immerhin erhobenen Anspruch
auf gar bundesweite
Gültigkeit.
An die Stelle des - zumindest
in Augen der Autoren offenbar intransparenten -
Verfahrens setzen sie sodann flugs ihre eigene irrtums-
und fehlannahmenbehaftete
Rechnung und erzielen damit (...
wer hätte das je gedacht...)
Einsparungen!
Viel
mehr als hier nun Cent-Fuchserei zu betreiben, finde ich die gemäß
der Präambel ja nicht existenten Schlüsse von Interesse,
die sehr wohl gezogen werden - Zitat:
„...Dies
bedeutet: Der Regelsatz ist nicht zu niedrig. Er liegt vielmehr
oberhalb der Beträge, die in enger und weiter Interpretation aus
den formulierten Zielen der sozialen Mindestsicherung ableitbar
sind.“
Mutige
Aussage - und falsch dazu. Wie oben gezeigt, ergibt sich schon
theoretisch für bestimmte Konstellationen ein durchaus höherer
Bedarf und die Methodik weist ohnehin gravierende Mängel auf.
Das von ihnen verwendete Wort „Ableitbar...“
suggeriert aber, ein höherer Bedarf kann nicht gegeben sein.
Zudem
verkennen Theißen/Fischer hierbei, dass der Regelbetrag immer
auch einen verwaltungs- technischen Hintergrund
haben wird, schließlich soll und muss er für ALLE
Konstellationen einigermaßen hinreichend sein. Wollte man
hiervon abweichen, müsste die Verwaltung tatsächlich
allerorts verschiedene Beträge auszahlen - was wiederum mit
erheblichen Mehrkosten sowie schweren Rechtsproblemen verbunden wäre.
Doch
weiter mit den Schlussfolgerungen - Zitat:
„...Ebenso
wird das formulierte Ziel, in Würde zu leben, nicht erreicht.
Ein Leben in Würde hängt weniger von Geldleistungen ab als
von der Möglichkeit, zu arbeiten, sich einzusetzen, die Chance
zu bekommen, etwas leisten zu können, um anerkannt zu werden.
Eine auf Geldzahlungen beschränkte Hilfe wird diesem Ziel nicht
gerecht. In einer unübersichtlicher werdenden Welt, in der viele
den Arbeitsmarkt nicht mehr verstehen und sich nicht einbringen
können,
kann aus dem formulierten und aus dem Grundgesetz abgeleiteten Ziel,
den Menschen Würde zu verschaffen, ein Anspruch auf Arbeit
abgeleitet werden. Arbeit würde automatisch das Einkommen der
Menschen anheben...“
Unsere
„Wissenschaftler“ habe es anscheinend eher weniger mit Logik.
Menschenwürde mag zwar weniger von Geldleistung abhängen -
diese Abhängigkeit aber wächst natürlich in dem Maße
an, wie die Geldleistung sich dem physischen Existenzminimum
annähert.
Noch
bevor wir uns der Arbeit als „Quell
von Menschenwürde...“
zuwenden - zunächst mal eines. Wenn dem Unglücksraben in
seiner Arbeitslosigkeit jede - aber auch jede eigenständige
persönliche Entscheidung „abgenommen“ wird (man kann dazu
auch sagen: ihm wird etwas „aufgezwungen“...) - so beeinträchtigt
dies seine Menschenwürde doch wohl in noch viel grundlegenderer
Weise, als es durch die bloße Abwesenheit von Arbeit ohnehin
schon der Fall ist.
Genau
dies ist die reale Konsequenz aus den Milchmädchen-Rechnungen
von Theißen/Fischer. Hier geht ein Mensch überhaupt nicht
mehr mit Geld um - jeglicher persönlicher Gestaltungsraum ist
ihm genommen. Zum Beispiel kann er nicht mehr entscheiden, ob er in
seiner Wohnung bliebt, obwohl sie eventuell (was ja vorkommen
soll....) 20 € paarwas über dem kostet, was Ämter als
sozialgerichtlich festgestellte Wohnungskosten ansehen. Vielmehr
müsste er wegen ein paar Euro - die sich beim aktuellen
Regelbetrag vielleicht noch hin und her schieben lassen, sein
gewohntes Lebensumfeld verlassen - will er nicht hungern oder barfuss
laufen.
Es
bleibt dabei eine Tatsache, dass es nicht genügend Wohnraum in
Absurdistan gibt, der den amtllich „als angemessen“ angenommenen
Unterkunftskosten entspricht. Des Weiteren - und das sollten selbst
Wirtschaftswissenschaftler nun wirklich wissen können - eine
Wohnung mit guter Anbindung an den ÖPNV und womöglich in
Reichweite der Stadtbibliothek erzielt auf dem Wohnungsmarkt genau
wegen solcher Eigenschaften höhere Mietpreise...
Doch
nun zum Thema „Arbeit“ in den Schlussfolgerungen von
Theißen/Fischer. Immerhin leiten sie aus der Menschenwürde
einen Anspruch des Menschen auf Arbeit ab. Doch Vorsicht - denn davor
heißt es: „...In
einer unübersichtlicher werdenden Welt, in der viele den
Arbeitsmarkt nicht mehr verstehen
und sich
nicht einbringen können...“.
Wieder
mal die alte Leier.... Professor
Unsinn lässt grüßen!
Die Arbeitslosen sind selbst schuld an ihrem Schicksal - entweder zu
faul oder zu blöd. Warum haben sie ihren Arbeitgeber auch nicht
längst aufgekauft? Eine logisch falsche und längst
überholte Sicht der Dinge - Arbeitslose können sich ihre
Arbeitsplätz in der modernen Wirtschaft nun mal nicht selber
schaffen... Neu ist lediglich, dass sich inzwischen auch die
Wirtschaft selbst damit immer schwerer tut - denn sie muss ja immer
astronomischere Renditeansprüche
erfüllen.
Selbst
für noch so piffige oder sinnvolle Ideen schwinden aber die
Märkte, wenn der Masse der Bevölkerung immer weniger Geld
zur „freien“ Verfügung bleibt. Genau dies ist aber ist eine
bereits eingetretene Folge aus der hirnlosen Anwendung neoliberaler
Prinzipien. Die inzwischen durch Schönheitsoperationen an der
Statistik weitgehend vernebelte Massenarbeitslosigkeit gehört
ebenso dazu - die frischen ALG2- Zahlen des statistischen Bundesamtes
zeigen es einmal mehr...
Doch
- ginge es nach Theißen/Fischer - käme es noch schlimmer.
Denn eine Absenkung von ALG2 gegenüber dem aktuellen untereren
Vergleichseinkommen, wie sie es indirekt postulieren, hätte auch
noch eine weitere Folge: es entstünde wieder neuer Spielraum bei
Niedriglöhnen - und zwar welcher nach „unten“. Dies bedeutet
- angesichts des Drucks auf dem Arbeitsmarkt wären vor allem
Menschen im Niedriglohnbereich hierzulande schnell gezwungen, für
abermals weniger zu arbeiten... Und so gelangte man binnen kurzer
Zeit wieder beim gleichen Verhältnis: soziale Mindestsicherung /
Unteres Vergleichseinkommen an - allerdings eben um eine Drehung an
der Abwärtsspirale „bereichert“...
Die
Annahme, dass in Zeiten höchster Produktivität und
anhaltend hoher Produktivitätszuwächse die willkürliche
Verbilligung des Faktors Arbeit quasi wie „von Geisterhand“ mehr
Arbeitsplätze schaffe, ist eben - wie inzwischen weltweit
bewiesen ist - nichts weiter als eine interessengeleitete Lüge.
Schlimmstenfalls schafft das mehr Armut... aber nichts sonst von
nachhaltiger Wirkung.
Wirtschaftswissenschaftler
halten so gerne den guten alten Adam Smith und seine unsichtbare Hand
der Märkte hoch - doch halt: Markt samt Hand sind an eine
wichtige Voraussetzung gebunden: nämlich an die Unabhängigkeit
der Marktteilnehmer! Menschen in HartzIV aber sind längst keine
unabhängigen Teilnehmer auf dem Arbeitsmarkt mehr. Sie müssen
- per Gesetz - auch solche Löhne akzeptieren, die sie nicht
einmal mehr aus ihrer Bedürftigkeit befreien. Wie nur soll sich
ein so vernünftiger „Preis“ von Arbeit bilden können,
wenn ein erheblicher Teil der „Verkäufer von Arbeit“ längst
unter Zwangsbewirtschaftung
steht?
Ganz
sicher jedoch ist eine sinnvolle untere Lohngrenze immer dort
erreicht, wo ein Mensch von seiner Arbeit kaum noch leben kann... und
sie ist bereits überschritten, wenn er trotz Arbeit zusätzlich
auf Sozialtransfers angewiesen bleibt. Derzeit ist dies für rund
1,2 Mio Niedriglöhner bereits der Fall.
Theißen/Fischer
unternehmen mit ihrer „Studie“ den widerlichen Versuch, in
unserem gewiss nicht armen Land das weitere Schleifen des soziale
Existenzminimums bis an die Grenze des physischen Existenzminimums
hoffähig zu machen. Mit beispiellosem Zynismus propagandieren
sie - Zitat:
„...Hartz-IV-Empfänger erhalten keine Notlagenunterstützung,
sondern, bekommen
einen Lebens- standard
finanziert, der dem der allgemeinen Bevölkerung
im unteren Einkommenssegment gleicht...“.
Auch
dieser Satz ist falsch - sogar nach ihrer eigenen Studie. Denn sie
setzen dort selbst das untere
Vergleichseinkommen (EVS) mit 476
€
an
- was nun doch, soviel Präzision muss einfach sein, um einiges
mehr als 331
€
sind. Die Studie und ihre Verarbeitung in den Medien täuscht
letztlich über einen Umstand: Der Skandal liegt nicht im zu hoch
bemessenen ALG2 - der eigentliche
Skandal ist die hiesige Lohnentwicklung des letzten Jahrzehnts.
Hierfür sind Hartzlinge nicht verantwortlich zu machen -
vielmehr sind sie nur die ersten der für genau diesen Zweck
missbrauchten Opfer.
Unter
die Hartz-Gesetze zu fallen, ist heute außerdem keine
nur vorübergehende Notlage
mehr, wie anno dazumal - sondern für viele Millionen die
vorläufig einzige Lebensperspektive, die ihnen in dieser kranken
Gesellschaft überhaupt noch bleibt...
In
ihren teilweise falschen Passagen zu Menschenrechten blenden
Theißen/Fischer etwas völlig aus: nämlich die
rechtliche Situation von Hartzlingen. „Normale“ Bürgerrechte
sind für diesen Personenkreis praktisch nicht mehr existent.
Wirtschaftlich sind sie zudem ohnehin längst marginalisiert
(enteignet
und ohne frei verfügbares Einkommen...).
Und dies zusammen kann in einer Gesellschaft im Wirtschaftswahn nur
eines bedeuten: diese Menschen werden aus Sicht der Wirtschaft immer
überflüssiger - sollten am besten gar nicht da sein...
Nach
Theißen/Fischer sollen diese dann auch bis heran an ihre
Überlebensgrenze
marginalisiert werden. Vergessen wollen wir dabei aber nicht - ihnen
würden sehr bald Millionen von Niedriglöhnern,
Armutsrentnern und andere Sozialfälle folgen... versuchen Sie
bitte einmal, sich den dazugehörigen „Binnenmarkt“
vorzustellen...
Jedenfalls
gebührt diesen Herren die fragwürdige Ehre, kräftig an
einem der letzten verbliebenen Funda- mente gesellschaftlichen
Konsenses zu rütteln, nämlich einem allerletzten Rudiment
gesellschaftlicher Solidarität. Nicht ohne Zynismus machen sie
das fest an den nach ihrer Ansicht „...formulierten
Zielen der sozialen Mindestsicherung...“
Hierzu
ist zu sagen: es kann im Gültigkeitsbereich unseres
Grundgesetzes kein egal wie formuliertes Ziel welcher Gesetze auch
immer geben, das im Widerspruch zu Artikel 1 steht. Da ist es völlig
wurscht was die Herren Theißen/Fischer von alldem nun
verstanden haben oder nicht (wobei
letzteres zu überwiegen scheint...).
Bemerkenswert indes bleibt, dass absurdistanische Presseagenturen,
der Spiegel und das IWP nichts Dümmeres zu tun haben, als dieses
Traktat auch noch in alle Winde zu verbreiten.
Vor
allem die Kernthese von Theißen/Fischer, Arbeit erst eröffne
ein Leben in Menschenwürde, stellt schon Etliches auf den Kopf.
War da nicht schon Münte mal auf dem Holzweg?
„Die Würde des Menschen ist unantastbar...“
heißt es in unserem Grundgesetz gleich im ersten
Artikel.
„Sie
zu achten und zu schützen, ist die Verpflichtung
aller staatlichen Gewalt.“
heißt es dort weiter. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Aber
das scheint den beiden während ihrer Beschäftigung mit
Bettelfuhren des Mittelalters
und bismarckscher
Sozialpolitik
etwas abhanden gekommen - ebenso wie der Umstand, dass das Wort
„Arbeit“ nicht einmal im weiteren Umfeld auftaucht. Von einer
irgendwie gearteten Abhängigkeit der Menschenwürde von
Arbeit gar
steht da weit und breit nichts....
Aber
es heißt in Artikel
3:
„Alle
Menschen sind vor dem Gesetz gleich...“.
So etwas schreibt man nicht aus Jux und Dollerei in Verfassungen -
sondern weil es der einzig mögliche Konsens ist, auf dem sich
eine friedliche Gesellschaft überhaupt errichten lässt. Ob
es für eine Wirtschaft wirklich auf Dauer lohnend kann, daran zu
rütteln?
Interessant
auch noch der Artikel
12, Absatz 2:
„...Niemand
darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im
Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen
öffentlichen Dienst- leistungspflicht“.
Die Hartz-Gesetze verletzen besonders diesen Artikel schon von Hause
aus - denn Hartz-Sanktionen entziehen den Betroffenen die
Lebensgrundlage - was nach Theißen/Fischer direkt in einen
Eingriff in die körperliche Unversehtheit münden würde.
Was - wenn nicht Zwang - ist es, wenn jemand unter Androhung
lebensbedrohlicher Sanktion zu einer bestimmten Arbeit gezwungen
wird?
Der
Hartz-Mechanismus richtet sich dabei im Kern noch nicht einmal gegen
die unter ihm Leidenden
- jene sind nur Mittel zum Zweck. Er ist ein vielmehr ein höchst
piffiger Mechanismus, um die „unsichtbare Hand“ des Arbeitsmarkts
in Ketten zu legen und denselben sodann nach von den Vorstellungen
einer gewissen Klientel um zu gestalten. Genau dies haben wir in den
letzten Jahren auch erlebt.
Hartz-Dasein
ist derart „luxuriös“, dass Arbeitnehmer landauf und landab
längst die blanke Angst vor dem Verlust ihres Jobs gepackt hat -
was erst die Basis für all die widersinnigen
Arbeitszeitverlängerungen und Lohnsenkungen schuf. Ein
hinterhältiges Schmierenspiel, wie es schäbiger kaum sein
könnte.
Wer
hier glaubt, dieser Prozess finde irgendwann einmal ein Ende - der
irrt. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: für jeden
Einkommensmillionär, der heute neu „entsteht“, müssen
am armen Ende der Gesellschaft gleich hunderte „marginalisiert“
werden. Und es entstehen fortwährend neue - so frisst sich der
Prozess von unten immer höher hinauf zu Gesellschaftsschichten,
die vor Jahren noch glaubten - dieses Phänomen werde sie nie
erreichen.
Unter
dem Strich aber bleibt: die Gesellschaft verliert rapide an Effizienz
und macht immer weniger einen optimalen Gebrauch von dem in ihr
versammelten Human-Kapital. Hoch- und Höchsteinkommen leisten in
Relation weit weniger Beiträge zur Gesellschaft, sowohl im
Hinblick auf Konsum wie auch in Punkto Abgaben. Angesichts der Studie
wäre noch zu ergänzen: Und
im Falle Theißen/Fischer scheint es auch mit der Leistung
nicht so arg weit her zu sein...
So
kann man den Diskutanten im Spiegel-Forum nur den einen Rat geben:
statt dem Nachplappern neoliberaler Propaganda und anderem Kinderkram
zu fröhnen, ist es allerhöchste Zeit, mal das eigene Hirn
einzuschalten. Der lange Weg ins Absurdistan von heute wurde nicht
zuletzt auch deswegen möglich, weil es hierzulande offenbar
immer noch allzu leicht fällt, Arme
gegen andere Arme,
Opfer gegen andere Opfer
aufzuhetzen und gegeneinander auszuspielen.
Natürlich
ist verständlich, dass jemand, der kaum mehr als Hartz IV
verdient, mit Argwohn auf Menschen blickt, die den lieben langen Tag
nichts tun - und trotzdem nicht viel weniger haben, als sie selbst.
Aber das täuscht nur allzu leicht über einen ganz
entscheidenden
Umstand hinweg: Weder bestimmt der Niedriglöhner seinen Lohn,
noch reißt sich der Hartzling um sein Schicksal...
Und
sogar - selbst wenn jemand mit dem „modernen Arbeitsmarkt“ nicht
klar kommt... Halten Sie es es wirklich für klug und sinnvoll,
wenn Sie ihre Zustimmung dazu geben, ihm auch noch das Überleben
streitig zu machen? Stellen Sie sich doch einfach mal ein paar ganz
naheliegende Fragen, wie z.B:
„Was
wird denn sein, wenn mein Job mal baden geht - und ich selbst in
diese Mühle geraten sollte? Wie wird es sich für mich
'anfühlen' - und für meine Familie?“
„Wieso
eigentlich haben so viele immer weniger - sowohl ich wie auch der
Hartz'ler von nebenan - wobei bei mir sogar noch hinzu kommt, dass
ich voll arbeite?“
„Habe
ich denn wirklich dadurch mehr Geld, wenn ich künftig wieder
besser auf den Nachbarn 'herabsehen' kann, weil er - zumindest für
kurze Zeit - wieder deutlich weniger haben wird, als ich?“
„Wem
wohl würden eventuelle Einsparungen nach Theißen/Fischer
letztlich zu Gute kommen - mir etwa, wo ich mir via Zustimmung
selbst neue Billig-Konkurrenz schaffe?“
„Warum
aber sacken auf der anderen Seite einige Wenige - nicht selten höchst
überschaubar talentierte Menschen - schon in nur einem Jahr ein
Vielfaches dessen ein, was ich und meine Vorfahren sich über
Generationen je erarbeiten könnten...?“
Es
kann so gar nicht schaden, sich mit solchen ganz einfachen Fragen mal
ohne die „Hilfe“ von BILD, Fernsehen, Experten, Professoren,
Verbänden und Politikern zu beschäftigen. Möglicherweise
fällt dem Einen oder Anderen dann ja doch etwas dabei auf...
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