Es
ist trauriger als man denkt. Die nahende Bundestagswahl reißt
die SPD jählings aus ihren
Lockerungsübungen für eine neue eigenständige Politik.
Mit Steinmeier und Müntefering stürmen zwei bewährte
Agenda-Politiker die Kommandobrücke, während
„Heckenschützen aus den eigenen Reihen“ - wie Andrea Nahles
es formulierte - Kapitän Kurt Beck aus dem Weg räumen. Dass
Franz Münteferings „Führungskunst“ plakativer daher
kommt, als die beharrlich-solide Kleinarbeit des weg gemobbten
Vorgängers, ist unbestritten. Doch über Erfolg oder
Misserfolg von Führung entscheidet seit jeher weniger die
Eleganz der Führungskunst an sich, als viel mehr die Richtung in
die geführt wird. Ein Umstand, der im Mutterland der
„Führerbewunderung“ und erst recht von dessen Medien nur
allzu gern ausgeblendet wird. Kaum am Ruder, verkündete
Müntefering dann auch markig „Da Capo Agenda“ und heimst
sogleich Applaus von Medien und Arbeitgeberverbänden ein.
Endlich - die SPD hat wieder einen
Vorsitzenden, der es versteht, diese Partei wirkungsvoll nach außen
darzustellen, mag kurzgedacht werden. Bei näherem Hinsehen ist
an diesem „Deja vu“ jedoch Etliches, was mächtig stört.
Erstens kommt der Applaus überwiegend von der „falschen“
Seite, zweitens bieten die Umstände des Kommandowechsels dem
politischen Gegner Angriffsfläche im Scheunentorformat. Drittens
ist Steinmeier nicht Schröder und viertens wäre erst einmal
zu klären, was Müntefering denn da in Wahrheit „darstellen“
möchte. Auf die Frage „Quo vadis, SPD?“
antwortete er bereits: „Über die Erfolge der Agenda...“
wolle er sprechen und dann mit Steinmeier einen furiosen Wahlkampf
hinlegen. „Mancher werde sich noch wundern über die SPD
...“, orakelte er hinzu. Nun - dieses Orakel ist wohlfeil, denn
ganz offensichtlich wundern sich beachtliche Wählerkontingente
bereits seit Längerem über die SPD...
Doch
Müntefering weiß aus Erfahrung, wie man Ruhe zumindest in
der eigenen Partei verbreitet - eben z.B. so: „Lasst uns über
die Erfolge der Agendapolitik sprechen...“. Schlagartig wird es
ruhig, denn da bleibt in der SPD nicht
mehr viel, worüber noch zu sprechen wäre. Die geschundene
Partei blickt auf einen ideelen und personellen Aderlass
sondergleichen zurück - eben wegen genau dieser Politik. Den
Reformern in der SPD kann man wahrhaft
nicht vorwerfen, sie hätten ihre Partei gehätschelt -
ebenso wenig wie die Auswirkungen der von ihnen praktizierten Politik
deren Stammwählerschaft. Diejenigen im Land allerdings, die von
Agendapolitik profitierten, gehören ganz überwiegend nicht
zur Letzeren. Und gewiss - gemessen am heute noch nicht verhallenden
Applaus muss diese Politik für diese Klientel richtig gut
gewesen sein.
Aber
da ist ja auch noch die Union. Die Verwendung des Begriffs „Partner“
durch deren Frontfrau Merkel hatte schon immer einen merkwürdigen
Beigeschmack, der vor allem in Verbindung mit dem Wort „Koalition“
hervortrat - also für den Koalitionspartner. Jedenfalls war sie
so sehr von der Agenda-Politik angetan, dass sie nicht ohne
Hinterlist deren Bestandteile entwenden und ohne großes Tam-Tam
auf die eigenen Fahnen flicken ließ. Manchem Beobachter mögen
sich allein hieraus schon Fingerzeige auf die bis heute weitgehend
ungeklärte Herkunft mancher Kernbestandteile der Agenda
erschließen.
So
ist Reformflügel der SPD - ob er es
nun wahrhaben will oder nicht - aktuell in folgender Lage: Er
verkörpert eine Politik, deren Auswirkungen man höchst
kontrovers beurteilt. Die meisten Reichen finden sie gut - und die
meisten Armen finden sie Asche. Damit stehen gleich zwei Tatsachen
unverrückbar im Raum - erstens die Stammwählerschaft der
SPD hatte von dieser Politik nichts als
Nachteile und zweitens ist alles und jedes, was Müntefering
jemals als Erfolg der Agendapolitik reklamieren könnte, von
Merkel längst einkassiert und wird bereits heute schon als
Erfolg von Unionspolitik verwurstet. Hier fügt es sich dann umso
vortrefflicher, dass die Profiteure dieser Politik eben fest im
schwarz-gelben Lager beheimatet sind.
So
nimmt diese Meuterei nun für den ehedem stolzen Clipper SPD
Züge eines titanicartigen Dramas an. Umgeben Riffen und Haien
versucht der neue alte Kapitän durch Blick übers Heck - wo
sich die Segel von Lafontaines Schaluppe bereits blähen - immer
noch angestrengt, einen anderen Weg ins freie Fahrwasser zu
entdecken, während sein erster Offizier noch mit dem Übersegler
herumfuchtelt. Und doch scheinen Beide fest entschlossen, Vollzeug
setzen zu lassen. Nicht zuletzt, weil Schiffe unter vollen Segeln bei
den Medien gut ankommen. Wozu in diesem Fall auch beitragen mag, dass
die absehbare Katastrophe den Medien Nachrichten-Strandgut ohne Ende
bescheren wird. Neu wäre das nicht - schließlich erfanden Strandpiraten schon
vor Jahrhunderten getürkte Leuchtfeuer...
Es
ist ja nun mal so: Einst segelte man zu Schröders Zeiten unter
vollen Segeln und bei strahlendem Sonnenschein in diese gefährlichen
Gewässer ein. Damals schien es, der Wind der Zukunft wehe aus
dem Neoliberalismus - und so musste der Kurs vielleicht so abgesteckt
werden, um eben auch vor diesem Wind soviel Fahrt wie nur möglich
zu machen. Ungeschickterweise setzte man unterwegs jenen Teil der
Crew aus, der nun mit dieser kleinen Schaluppe, auf der sie unter kamen,
auch recht flott unterwegs ist. Doch selbst Passatwinde sind nicht von
unbegrenzter Dauer - und das scheint an Müntefering und dem
Reformflügel in der SPD komplett
vorbei gegangen zu sein.
Schon
während Bildung der großen Koalition aber unterließ man
es, den Wind genau zu beobachten sowie Taue und Tuch auszubessern.
Man verkaufte sich unter Wert - und regierte danach förmlich
„selbstlos“ mit. Statt am Profil der eigenen Partei innerhalb der
Koaltion zu feilen, übte man sich in Wirklichkeitsverweigerung
bezüglich der Agenda. Es war grad so, als hoffe man durch
Polieren von Messing-Beschlägen würde das Schiff schon
wieder mehr Fahrt machen. Von anderen ließ man sich dann noch
einreden, die von hinten langsam aufschließende Schaluppe werde
dem Klipper noch den Wind wegnehmen - folglich schoss man sich auf sie ein und ließ sie
nicht mehr aus dem Auge. So entging wohl - selbst nach jahrelangem
unsäglichen Koalitions-Hick-Hack - wie der Wind, vor dem man da
segelte, das Schiff immer dichter vor die Riffe trieb.
Dabei
wäre schon 2005 ein geschicktes Aufkreuzen gegen diesen Wind das
Mittel der Wahl gewesen, um sich in freiem Fahrwasser zu halten. Das
macht auch schöne Segel - hält das Schiff gut in Fahrt und
macht vor allem manövrierfähig, was dem Einsatz eigener
Wahlkampfmunition überaus zugute kommt. Aber Kreuzen bedeutet
eben auch viel Arbeit für die Crew - und vor allem braucht man
da eine Crew, die sich mehr aufs Segeln versteht und nicht nur aufs
Messingputzen. Über Vorgänger Kapitän Beck mag sagen
was man will - aber das schien er verstanden zu haben. Wenn auch zum
Leidwesen all derer, die deswegen so gerne Messing putzen, weil man
sich hernach so schön darin spiegeln kann.
Kapitän
Münterfering sollte nun dringendst mal statt übers Heck
lieber genauer zu Kapitänin Merkel samt Schiff und Crew schauen.
In sicherern Gewässern jenseits der Riffe vollzieht ihre Fregatte
eine Pirouette nach der anderen, und wenn er genau hinschaut, wird er
erkennen, dass an deren Masten alle Agenda-Fahnen längst
gehisst sind. Nebenbei - der Zustand des Messingbeschläge dort
ist auf die Entfernung nicht einmal erkennbar. Eigentlich
allerhöchste Zeit - oder genauer die letzte Chance - das
Messingputzen nun endlich dranzugeben, die angestammte Flagge
hervorzukramen und gegen die ohnehin nachlassenden Winde
aufzukreuzen, damit man wenigstens aus dieser Bucht wieder in freies
Fahrwasser gelangt. Wird diese versäumt, blieben nur zwei
unrühmliche Folgen für Herbst 2009: entweder man zerschellt
an den Riffen oder aber man wird in der dann bevorstehenden Seeschlacht wegen Manövrierunfähigkeit hilflos vom Gegner
zusammengeschossen.
In
der veröffentlichten Meinung wird Kapitän Müntefering
hoffungslos überbewertet - er kann zwar gut Sprüche
klopfen, doch im Strategiekurs hat er offenbar geschwänzt. In
seiner Vizekanzlerzeit hat er nicht einmal mitgeschnitten, wie sehr
Kapitän Merkel ihn samt seiner Mitstreiter fortwährend
dupierte. Auch seine verbalerotischen Sprüche, die er wie kaum
ein anderer von sich zu geben weiß, nutzen da dann wenig. Denn
letztlich zählt, was bei alledem heraus kommt - und da war aus
Sicht der SPD-Klientel nun fürwahr wenig Prickelndes. Aber
solange man den Übersegler auch verkehrt herum hält, kann
eben ein vernünftiger Kurs auch nicht gefunden werden.
Dass
dies Kapitän Müntefering in letzter Minute noch dämmern
könnte, dachten sich auch ein paar Mediengrößen - und
zauberten sogleich eine Umfrage mit 4% Steigerung in der Zustimmung
zur SPD aus dem Schlapphut... kurze Zeit später ergab eine
andere, es habe sich nichts geändert. Ich denke, weitere
Umfragen brauchen wir da nicht - eigentlich braucht Umfragen sowieso
keiner, da sie nichts leisten, als Politiker nur auf dumme Gedanken
zu bringen. Wahlen sind die einzigen Umfragen von Gewicht - und da
werden wir bald in Bayern ja sehen, wie gut die Vorkommnisse auf dem Klipper ankommen...
Ob
wir bis Herbst 2009 noch die Segel der SPD zu sehen bekommen werden,
bleibt indes fraglich - und wenn, dann erhebt sich die Frage, in
welche Richtung wohl gesegelt werden mag, und unter welcher Flagge.
Derzeit schaut es sehr danach aus, man wolle unter Agenda-Flagge
abermals vor dem Wind segeln - vielleicht auch in der Hoffnung, zwei
gleich beflaggte Schiffe würden sich nicht beschießen. Nur
müssen Kapitänin Merkel und ihr beleibig vielstimmiger
Ministerpräsidentenchor das nicht notwendigerweise genau so
sehen.
Die
Erfahrungen aus der großkoalitionären Kohabitation
jedenfalls legen eigentlich alles anderes nahe - demnach wäre
wahrscheinlicher, dass an Bord der Unions-Fregatte das
„Highländer-Syndrom“ ausgebrochen ist: „Es kann nur einen
geben...“. Und der Zeitpunkt zur Versenkung des lästigen Klippers SPD, der sich da in der Haifischbucht vernavigiert hat, wäre
günstig, wie selten zuvor...
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