Hoffnung
auf Wandel. Gestern Nacht präsentierte die Bevölkerung der
Vereinigten Staaten den US-Konservativen und ihren Bewerbern die
Rechnung für acht Jahre G. W.Bush. Auch und gerade aus Sicht der
Amerikaner muss da wohl Einiges zusammengekommen sein, denn die
Bevölkerung entschied sich in einer solchen Eindeutigkeit für
einen Kandidaten und seine Partei, dass es Beobachtern im hiesigen
Politik- und Parteienestablishment kalt den Rücken herunter
laufen muss. Verstörend für sie muss sein, wie das Phänomen
Barack Obama selbst in europäischen Bevölkerungen auf eine
neue, nur schwer berechenbare Begeisterung gestoßen ist. Ab
heute kann sich dort niemand noch sicher sein, dass er nicht vom
seinem Stuhl gefegt würde, wenn er gegen einen solchen
Kandidaten anzutreten hätte. Obwohl anderer Hautfarbe, obwohl
multikultureller Herkunft und obwohl er nicht zu den engeren Zirkeln
des amerikanischen Establishments gehört, fuhr Barack Hussein
Obama jr., wie er mit vollem Namen heißt, einen Erdrutschsieg
für die Demokraten der USA ein, der seines Gleichen sucht. Nicht
nur in der Präsidentschaftswahl ließ der
Verfassungsrechtler seinen Gegenspieler McCain um Längen hinter
sich - auch wird er sich sowohl im Kongress wie im Senat auf eine
komfortable Mehrheit stützen können.
Das
amerikanische Volk hat gesprochen - laut und vernehmlich. Nun feiert
es seine Demokratie, und das ist gut so. Von einer Wahlbeteiligung um
66% ist die Rede, womit der gewohnte Verweis auf das
Politikdesinteresse in den USA fürs Erste obsolet wurde. Dies
ist in USA die höchste Wahlbeteiligung seit 1908 und übertrifft
damit selbst jene 63,1%, die 1960 anlässlich der Wahl von John
F. Kennedy mobilisiert wurden. Der amerikanische Traum scheint
auferstanden, und hat den Alptraum der Bush-Administration beiseite
gefegt.
Bemerkenswert
solche Aussagen von Wählern, wie: „Ich möchte wieder in
die Welt reisen können, ohne überall als Bad Guy angesehen
zu werden...“. Kaufen kann man sich hierfür nichts, aber es
fallen Wahlentscheidungen auf solcher Basis, zumindest in USA noch.
Wie stark nimmt sich da der Kontrast aus zum trotzigen
„Victory“-Zeichen eines Ackermann im Mannesmannprozess. Wo es
sich darum drehte, dass Vorstände gegen üppiges Entgeld
50.000 Arbeitsplätze verscherbelten, nachdem zuvor ein
Widerstands-Scheingefecht gegen die Übernahme durch Vodaphone
inszeniert worden war. Dieser und ähnlichen Haltungen wird
künftig noch ein kräftiges Stück mehr an ihrer
öffentlichen Legitimierung fehlen.
Anders
als viele es vielleicht glauben, hatte Barack Obama es nicht leicht.
Zunächst musste er sich innerhalb der Demokraten gegen die
ebenfalls sehr ambitionierte Hillary Clinton durchsetzen, und dann
stand ihm in John McCain ein Kandidat gegenüber, der aus
amerikanischer Sicht verdienstvoll und durchaus nicht unpopulär
war. Doch der makellosen und besonnenen Kampagne des
Verfassungsrechtlers hatte dieser wenig entgegen zu setzen, was sich
im Abgleiten der McCain Kampagne mit dem Herannahen der Wahl sehr
deutlich zeigte. Allerdings wäre ohne McCain's Missgriff in Form
der „Hockeymom“ Sarah Palin als Kandidatin für das Amt des
Vizepräsidenten, und vor allem ohne die Finanzkrise und ihre
Folgen das Wahlergebnis wohl nicht derart überwältigend
ausgefallen.
Doch
es ändert nichts daran - die Zeit wäre auch so reif für
den Wechsel gewesen. Obamas größter Wahlhelfer waren
letztlich die acht langen Jahre George Walker Bush. Auch Bush hatte
das Land bereits einem nie hinreichend erklärten „Change“
unterworfen. Dieser aber nagte inzwischen derart den Wurzeln der
nationalen Selbstidentität, dass das Land sich nun mit einem
heftigen Befreiungsschlag zur Wehr setzte. Die Tatsache, dass Obama
zuletzt Verfassungsrecht an der University of Chicago lehrte, erklärt
sein entschlossenes Engagement vielleicht viel besser, als so manche
andere Mutmaßung. Denn auf diesem Gebiet ist in den USA seit
911 Ungeheuerliches geschehen. Dabei auch beruhigend: von einem wie
auch immer gearteten Bradley-Effekt
keine Spur. Das diesem skurrilen Konstrukt zugrunde liegende
Gedankengut indes war erst Montag anlässlich dieses armseligen
Schauspiels in Hessen zu sichten. Hier lieferte eine obskure Truppe
von SPD-Hinterbänklern den Beweis, dass in Deutschland, dem Land
des Verbands- und Parteienklüngels, seit heute zwar Grund zu ein
wenig Neid auf die USA, aber immer noch kaum Hoffnung auf Wandel hier
besteht.
Man
mag über das amerikanische Demokratiesystem denken, was man will
- eines hat es uns voraus: In ihm ist offenbar noch Platz für „Change“.
Dies schaut in Deutschland anders aus. Hier nennt sich sowas „Reform“
und die Mehrheit der Bevölkerung kann dieses Wort nicht mehr
hören - Reform dürfte seit 2000 zum meist geschändeten
Begriff im Lande geworden sein. Unsere Politik, gleich die welcher
Partei, hat Überblick und Bodenhaftung längst verloren. Wer
es in unserer stark zerklüfteten Gesellschaft noch wagt, an
große verbindende Gefühle, die auf Solidarisierung statt
Egomanie zielen, zu appellieren, gilt in Absurdistan als „Populist“.
Im
Land der Bedenkenträger klare Sachverhalte auch so zu benennen
wie sie sind, ist verpönt. Das KISS-Prinzip wird in Deutschland
- wenn überhaupt - bestenfalls als „Keep ist simple and
stupid“ (Halte es einfach und dumm...) verstanden - Obama führte
vor: Es kann auch „Keep it simple and smart“ bedeuten (Halte es
einfach und klug...). Ein deutscher Obama aber wäre hier derart
durch den Medienwolf gedreht worden, dass nicht ein gutes Haar an ihm
übrig wäre (was im Übrigen teilweise auch
erfolgte...). In den USA hingegen kann jemand allein mit dem
glaubwürdig und entschlossen vorgetragenen Versprechen, es
besser machen zu wollen, noch politische Entscheidungsmacht erringen.
Hierzulande
schlägt indes seit Jahr und Tag die Stunde der kleinkarierten
Interessen- und Klüngelverwalter. Kompromisse bei Differenzen im
politischen Prozess hierzulande bestehen zumeist im Ausgleich der
hinter den jeweiligen Kontrahenten stehenden Partialinteressen, nicht
aber in der Lösung des Problems oder wenigstens einem ernst
gemeinten Versuch hierzu. Wir können da von den Amerikanern -
wer hätte das gedacht - etwas lernen. Viele schwer reiche und
den Demokraten nahe stehende Amerikaner unterstützten Obama -
obwohl er ihnen mehr Steuern „versprach“. In den letzen Wochen
vor der Wahl liefen sogar große Teile der Medien zum ihm über.
Gemeinnutz überwindet Eigennutz. Hier undenkbar - das wäre
in etwa so, als würde Dieter Hundt Arbeitsminister Scholz
öffentlich zur Rücknahme der Rente 67 drängen, weil
ihm endlich mal aufgegangen ist, dass die Arbeitsplätze für
diesen Unfug weder da sind, noch auf absehbare Zeit je da sein
werden.
Gönnen
wir den Amerikanern aufrichtig ihre Freude an diesem epochalen
Aufbruchsignal, welches ein mit bewundernswerter Konsistenz und
Souveränität um seine visionären Ziele kämpfender
Barack Obama samt Millionen von Helfern auf die Beine gestellt haben.
Man ist bereit, kollektiv die Ärmel hochzukrempeln (wie Obama es
meist auf seinen Wahlkampfveranstaltungen auch tat...). Nun sind
nicht nur die Trümmer der Bush-Jahre beiseite zu räumen,
sondern Obama will die USA auch wieder konstruktiv in die Lösung
der großen Weltprobleme einbringen. Ab 20. Januar 2009 wird er
so als 44. Präsident der USA einen Job antreten, um den er nicht
zu beneiden ist.
Und
die Liste der Herausforderungen ist lang. Es wird keine ruhige Zeit
werden - die USA ist gesellschaftlich neu zu ordnen - für sich
allein schon eine gigantische Aufgabe in diesem großen Land.
Und das steht in enger Wechselwirkung zum gewiss nicht
kleineren internationalen Aufgabenpaket: Dort ist eine neue
Weltfinanzordnung zu schaffen, der globale Umweltschutz steht auf dem
Plan, der Kampf der Kulturen ist zu zivilisieren, und das Verhältnis
zu Europa ist zu erneuern sowie das zu Russland überhaupt erst
einmal ehrlich zu definieren.
Hierfür
erhielt Barack Obama ein Mandat, wie es überzeugender kaum noch
hätte ausfallen können. Dies verleiht ihm ein Maß an
Spielraum und Rückenfreiheit, dass er auch dringend brauchen
wird. Denn sein Weg wird von Sachzwängen und Widerständen
gepflastert sein. In der Restwelt sollten die Erwartungen nicht zu
hoch geschraubt werden, denn dieser Präsident hat erklärtermaßen
vor, das Wohl des Volkes seines Landes in den Vordergrund zu stellen.
Für andere Nationen wird er so weder ein einfacher noch ein
ausrechenbarer Partner sein können. Sollte er diesen Weg auch
beschreiten, wird eine Kollision mit vielen mächtigen Interessen
unausweichlich. Ob sich Länder finden, die bereit sind, sich
dann trotzdem seinem Ruf nach „Change“ international wie daheim
anzuschließen, wird sich zeigen... zu hoffen bleibt es für
uns alle und die Welt allemal.
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