Religion
hat in der realen Politik und in den internationalen Beziehungen
nichts verloren. Und das ist gut so - denn heutige Gesellschaften
beherbergen zumeist eine Vielzahl von Religionen, deren
Unversöhnlichkeit untereinander möglichst keine Pforte in die
Realität mehr zu öffnen ist. Die jüngste Kritik des Zentralrat der
Juden in Deutschland an Schröders Besuch im Iran gibt hier ein
leuchtendes Beispiel ab. Nur religiös vernebelten Hirnen ist
plausibel zu machen, wieso der Besuch eines Ex-Kanzlers in einem der
fortgeschritteneren muslimischen Staaten dem Ansehen Deutschlands
Schaden zufügen soll. Es kann nichts Falsches daran sein, wenn
angesichts der hochbrisanten Lage in der Region alle maßgeblichen
Mächte in Gespräche eingebunden werden. Daran gibt es nichts aber
auch gar nichts zu kritisieren - insbesondere dann nicht, wenn man
selbst keinerlei zivilisationskonforme Vorschläge vorzuweisen hat.
Gespräche bedeuten weder die Aufwertung der Holocaust-Leugnung durch
Ahmadinedschad noch der rückwärtsgewandten Vermengung von Religion
und Politik, die in der islamischen Republik Iran - aber durchaus
auch in Israel - anzutreffen ist. Gespräche bedeuten zunächst
einmal keine Toten, sondern lediglich die Akzeptanz der Realitäten. Im
Gegensatz zu jedweder Militäraktionen bergen sie zumindest ein
Quentchen Chance, in der Entschärfung dieses Dauerbrenners unter den
Weltkonflikten zur Abwechslung vielleicht einen winzigen Schritt
voran zu kommen.
Aus
Sicht der zivilisierten Welt ist der Iran ein vergleichsweise hoch
entwickeltes Land mit einer relativ niedrigen Analphabetenquote und
einer zumindest erkennbaren wirtschaftlichen Zukunft. Real betrachtet
verhält sich der Staat Iran vergleichsweise friedlich - ganz im
Gegensatz zu Israel, welches das bisschen vorhandene internationale
Recht quasi gewohnheitsmäßig mit Füßen tritt - und offenbar ein
Vorrecht zu dessen Deformation für sich beansprucht. Auch gibt es
einen Unterschied zwischen dem verbalen Bestreiten des Existenzrechts
eines Staates und dem Eindreschen von Militärmaschinerien auf eine
praktisch wehrlose Bevölkerung. Worte lassen sich wandeln oder gar
zurück nehmen - Tote hingegen nicht.
Dies
wurde leider Anfang 2009 mal wieder deutlich - wo ausgerechnet jener
Staat Israel, dessen Volk selbst einmal unter unbeschreiblicher
Verfolgung zu leiden hatte, sich im Gazastreifen keineswegs
zivilisierter als jedes beliebige Hottentotten-Regime aufführte.
Sicher - Ahmadinedschad hat sich mit etlichen Aussagen selbst weit
fernab jedes möglichen Konsenses gestellt. Doch dies bezieht sich
bislang eher auf seine Aussagen, nicht aber auf das konkrete Handeln
des Staates Iran, dessen Regierungschef er nun leider mal ist. Das
ramponierte Ansehen Israels bei breiten Bevölkerungsschichten in
muslimischen Staaten ist ein Produkt seines eigenen Handelns und
Verbesserungen werden sich hier niemals herbeibomben lassen. Fakt
bleibt außerdem, dass es da ein Land und ein Volk von 75 Millionen
Iranern gibt, das man nicht einfach von der Landkarte auslöschen
können wird - ergo gibt es zum Weg der Koexistenz keine Alternative.
Der internationale Druck auf Iran ist groß - lange Zeit stand zu
befürchten, dass die USA unter dem Bush-Regime auch noch die
grandiose Dummheit begehen würde, dem Sündenfall Irak einen
weiteren, noch größeren, Fall Iran hinzuzufügen.
Doch
worum geht es bei diesem Druck? Vordergründig um die Befürchtung,
der Iran könne sich über die Zeit in den Besitz von Atomwaffen
bringen. Hierzu ist paradoxerweise festzustellen, dass Israels
bereits seit Langem als inoffizielle Atommacht gilt. Wo ist der Druck
auf Israel und seine dem religiösen Wahn keineswegs weniger
zugetanen Eiferer? Es mag sein, dass man sich diese Frage hier kaum
stellt - wichtig für Frieden aber ist, dass man sich diese in
Kreisen arabischer Bevölkerungen sehr wohl stellt. Geben die
konkreten Ereignisse der jüngeren Geschichte überhaupt irgendeine
Handhabe, Israel einen vernünftigeren Umgang damit zuzutrauen, als
etwa dem Iran? Im Gegensatz zum Iran ist Israel nicht einmal dem
Atomwaffensperrvertrag beigetreten und belügt die Weltöffentlichkeit
seit Langem in Punkto Atomwaffen. Wieso eigentlich sollte eine
israelische Atomwaffe „besser“ als eine (vorläufig
hypothetische) iranische sein? Was - ja was bloß würde die
iraelische Propaganda nur tun, wenn der Iran sein Verhalten an dem
Israels orientierte - d.h. zwar andere Worte benutzen und in der
Sache aber das Gleiche betreiben?
Hinter
all dem historischen Unrat, der sich in Jahrzehnten ansammelte, wird
deutlich, wie sehr dem Staat Israel eigentlich eine akzeptable Vision
für seine eigene Zukunft fehlt. Es ist an der Zeit, dass auch der
Judenstaat einmal begreift, dass Schwerter niemals Frieden sondern
nichts als Leid und Elend säen. Sicher - für die idiotische Gestalt
seines Staatsgebietes kann Israel wenig. Dieses territoriale Merkmal
zwang den Staat in der Logik der Kriegsführung häufiger dazu, seine
Kriege außerhalb seiner Grenzen auszutragen. Doch sollte der Staat
Israel seine eigenen Wurzeln nicht ganz verdrängen. Wie hier
nachzulesen, bildete er sich doch selbst aufgrund massiven Unrechts
gegenüber der seinerzeit dort ansässigen Bevölkerung. Und hier -
und nicht bei Ahmadinedschad - liegt die Wurzel des ewigen
Bürgerkrieges zwischen Juden und Arabern. Millionen von
Palästinensern wurden vertrieben und können nun mit nicht weniger
Recht als die Juden auf ihre „Heimat“ pochen. Wer diesen Konflikt
auflösen will, muss den schwierigen Weg zur Koexistenz und einem
echten Ausgleich der beidersetigen Interessen suchen. Eine echte
realpolitische Bedrohung des Existenzrechts Israels indes gibt es
inzwischen nicht mehr. Die Mehrzahl der überwiegend muslimischen
Nachbarstaaten strebt längst nach friedlicher Koexistenz - aber ohne
eine beiderseitig akzeptable Lösung der Palästinenser-Problematik
wird sie nicht zu haben sein.
Der
Judenstaat hat sich in allen Kriegen sicher gut bewährt - doch
darüber scheint man zu vergessen, dass die wahre Bewährung einer
Gesellschaft nicht Krieg sondern Frieden lautet. Und diesbezüglich
ist die Situation weit verfahrener, als auf den ersten Blick
erkennbar wird. Der Ministaat Israel mit seinen gut 7 Mio Einwohnern
(wovon fast 20% ohnehin Muslime sind) ist umgeben von einer fast
uniform muslimisch geprägten Welt. Abschottung und Dissoziierung mit
den meist weitaus bevölkerungsreicheren Nachbarn wird hier keine
Dauerlösung werden können. Zudem stellen die für die Palästinenser
gehandelten Lösungsansätze mehr oder weniger einen Negativabdruck
israelischer Interessen dar - und sind damit aus deren Sicht ebenso
inakzeptabel wie sie es schon vor 50 Jahren waren.
Krieg
aber ist mit Gewissheit keine Dauerlösung - denn unvermeidlich wird
der Tag kommen, an dem der Nimbus der militärischen Unbesiegbarkeit
Israels untergehen wird. Diese Lektion könnte sich der Judenstaat
auf jedem Fall von seinem historisch größten Peiniger durchaus mal
bewusst zu Gemüte führen, zumal weltweit längst eine Entwicklung
weg von Staatskonflikten hin zu schweren innerstaatlichen sozialen
Spannungen im Gange ist. Und hier ist Israel keineswegs so rocksolide
aufgestellt wie im militärischen Bereich. Die teilweise empfindlich
benachteiligten Minderheiten im eigenen Land, das ungelöste
Palästinenserproblem und vor allem die auch in Israel rapide sich
öffnende Armutsschere dürften die gesellschaftlichen
Herausforderungen der Zukunft sein.
Und
diese werden sich weder mit Atomwaffen noch mit Panzern oder F16
bewältigen lassen. Die taumelnde Weltwirtschaft wird an Israel
ebenfalls nicht vorbei ziehen - und seine Politik wäre gut beraten,
den Fokus nicht auf Rassismus und militärisches Umsichschlagen zu
lenken, sondern sich der schwierigen Aufgabe zu stellen, eine
friedliche Zukunft des eigenen Staates in einem weltanschaulich und
inzwischen historisch völlig dissoziierten Umfeld zu entwickeln. Im
Interesse der Region, der Weltpolitik und nicht zuletzt im Interesse
Israels selbst ist zu hoffen, dass dies diesem Land mit seiner
multikulturellen Bevölkerung auch dann gelingt, wenn die
militaristische Klammer, von der es derzeit noch zusammengehalten
wird, an Bedeutung verlieren wird. Ob dies - wie auch sonst auf der
Welt - den gegenwärtig vorherrschenden Eliten überhaupt zugetraut
werden kann, sei mal dahin gestellt.
Im
Lichte all dessen wird fraglich, ob die Organisation der hiesigen
jüdischen Gemeinschaften sich und der Sache ihrer Menschen wirklich
einen guten Dienst damit erweist, stets weiter stur der überkommenen
Weltsicht von Spaltung und militärischer Dominanz offen
zuzuarbeiten. Zu Gesprächen und Verhandlungen auch mit Widersachern
gibt es eben keine humane Alternative - Humanität ala Gaza Anfang
2009 jedenfalls widert die Menschen weltweit an. Letztlich ist es in
Israel selbst nicht anders als im Iran oder sonstwo auf der Welt. Es
gibt Anteile von Spinnern und vernünftigen Menschen. Nirgendwo aber
- und auch in Israel nicht - gibt es weder eine politische noch eine
religiöse Strömung, die alles Recht für sich allein gepachtet
hätte. Und so kann Fortschritt hier zunächst einmal immer nur
bedeuten, dass man endlich damit aufhört, sich wegen derartig
irrtumsbehafteten Kokolores gegenseitig umzubringen. Zumal - wie
immer mehr Menschen weltweit klar wird - es in aller Regel eben nicht
um den behaupteten Firlefanz, sondern eher um dahinter verborgene
konkrete Interessen von Geld und Macht geht. Und hierfür wäre
eigentlich jeder Tote bereits ein Toter zu viel...
Dass
höher oder weiter entwickelte Gesellschaften mehr Weitsicht und
Toleranz aufzubringen haben, als weniger entwickelte, zählt zum
zivilisatorischen Preis eines jeden Fortschritts. Und gerade einem
derart gepeinigten Volk wie dem jüdischen stände es außerordentlich
gut zu Gesicht, sich hier an vorderster Front an der Entwicklung
neuer und besserer Zukunftsvisionen zu beteiligen. Wenn dies den in
Israel unter teilweise recht konkreter persönlicher Gefahr lebenden
Menschen etwas schwerer fallen mag, so sollte die Erkenntnis der
offensichtlichen Zusammenhänge zumindest jenen, die hier sicher und
behütet leben, dafür doch um so eher gelingen können - eigentlich.
Sicher
wäre es wünschenswert, dass es einen Iran ohne Geschichtsklitterung
eines Ahmadinedschads gäbe und Palästinenser ohne Kassam-Brigaden.
Aber nicht minder wünschenswert ist auch, dass es keine israelischen
Atomwaffen, keine machtvollen Schikanen oder rassistisch motivierte
Vertreibungsaktionen und erst recht keine militärischen Überfälle
auf geschundene Zivilbevölkerungen gibt. Wer die Hamas oder
Ahmadinedschad als Gesprächspartner nicht akzeptiert, muss sich
mangelnden Friedenswillen zurechnen lassen - und gerade die Israelis
selbst sollten wissen, dass man diesen Willen nicht mit Gewalt
herbeizwingen kann. Und so handelt die gegenwärtige Polit-Elite
Israels keineswegs verantwortungsvoller als etwa die im Iran oder die
der Palästinenser. Und erst recht vom Zentralrat der Juden in
Deutschland ist zu fordern, dass er nicht immer wieder nur durch neue
Parolen für kriegerische sondern endlich mal durch welche für
friedensbildende Alternativen auf sich aufmerksam macht.
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