Viele
- auch ich - hätten auf die aktuellen Ereignisse des März 2011 in
Japan gut und gerne verzichten können. Wer hier jedoch glaubte,
nicht verzichten zu können oder zu wollen, war vor allem eine Seite:
Großkonzerne dachten nicht im Traum daran, die ihnen sicher
scheinenden Milliardengewinne sowie ihren dominierenden Einfluss auf
die existentiell wichtige Versorgung unserer Zivilisation mit Energie
aus ihren Klauen zu lassen. Letztlich setzte sich
dauerpropagandistisch in die Hirne von Menschen gespültes
Wunschdenken gegen die Realität durch. Vielerorts - auch in Japan -
fanden sich politische Mehrheiten zugunsten der nach wie vor höchst
fragwürdigen Kernkraft-Technologie. Zumindest solange, bis dieses
Wunschdenken am 12.03.2011 ab 07:36 von der vergewaltigten Realität
auf furchtbare Weise eingeholt wurde. Für die meisten, die sich mal
etwas näher mit der zugrunde liegenden Technologie beschäftigt
haben, war bereits spätestens seit der Explosion im Reaktorgebäude
des AKW-Blocks Fukushima I-1 am frühen Morgen des 11.3.2011 klar:
der Super-GAU hat begonnen. Schon der hohe Druckanstieg im Gebäude
belegte, dass es den Notmannschaften vor Ort offenbar nicht mehr
möglich war, noch irgendeine Form von Kontrolle über die
ablaufenden Prozesse auszuüben. Als dann vor der Explosion das
"Ablassen des Überdrucks" entschieden wurde (was zugleich
die Entscheidung für eine - vorerst noch überschaubare -
Umgebungs-Kontamination ist...), war bereits vorhersehbar - auch
dieser gewiss nicht leichtfertig vollzogene Schritt wird unter den gegebenen Umständen den Gang der
Ereignisse kaum aufhalten können.
Die
nunmehr vollkommen unkontrolliert ablaufenden und sich auf das
gesamte spaltbare Material ausweitenden Kettenreaktionen im nuklearen
Inventar sind kaum zu stoppen - wenn wegen Blackout die im
Normalbetrieb dafür vorgesehenen Prozeduren nicht mehr zur Anwendung
kommen können. Schnell bilden sich enorme Temperaturen, die bald
jedes bekannte Material einschließlich der Brennstab-Hüllen
verflüssigen oder gar verdampfen. Selbst ein vollständiger
Abschluss - bei Feuerbekämpfung immer eine Option - vermag
"Kernbrand" nicht zu stoppen. Im günstigsten Fall machte
er dessen Folgen etwas besser kontrollierbar (Auf- bzw. Abfangen der
entstehenden radioaktiven Gase...).
Der
sich rasch ausbreitenden Kettenreaktionen mit fortwährender
Freisetzung wachsender Mengen an Spaltprodukten steht nichts mehr im
Wege. Zwar gilt der Siedewasser-Reaktor Fukushima I-1 als
"unterkritisch" - d.h. eine Kernexplosion ist nicht zu
erwarten. Da Reaktorgebäude und wohl auch die Reaktorhülle
vermutlich bereits zerstört sind, stellen die zumeist in Gasform in
die Umgebung entweichenden Spaltprodukte schon für sich allein eine
schwere Bedrohung des Umlands dar. Die Metropolregion Tokio (mit 30
bis 35 Mio Menschen) ist lediglich 250 km von jenem Ort entfernt, an
dem sich derzeit das absolute Worst-Case-Szenario eines
Kernkraftwerks-GAU vollziehen könnte: eine vollständige
Kernschmelze bei offener Reaktorhülle. Aktuell kursieren zwar noch -
ich will es mal Beschwichtigungsformeln nennen - nach denen das
"Containment", als die innerste Reaktorhülle durch die
Explosion nicht geschädigt sei. Doch dies wäre - selbst wenn diese
widersprüchlichen Angaben stimmen - lediglich noch eine Frage der
Zeit.
Denn
die sich bei einsetzender Kernschmelze vollziehenden Prozesse sind
weder kontrolliert noch im Detail irgendwie vorhersehbar. Bei vielen Prozessen
bildet sich spontan Wasserstoff, der jederzeit zu weiteren
Explosionen führen kann. Die Flutung des havarierten Reaktorblock
durch Meerwasser, das mit Borsäure versetzt ist, wird hieran
voraussichtlich wenig ändern. Fest steht jedenfalls eines - sobald
die Tragstrukturen des nuklearen Inventars in größerem Ausmaß zu
schmelzen beginnen, ist der Super-GAU kaum noch aufzuhalten.
Mechanische Ein- und Ausfahrvorgänge sind ab da unmöglich -
abschmelzendes Struktur- und Brennmaterial wird sich am Reaktorboden
zu einer extrem heißen und hoch radioaktiven Masse versammeln.
Belastbare
Erfahrungen mit diesem Szenario sind rar. Dabei ist selbst bei
Tschernobyl nicht einmal sicher gewesen, dass es sich damals
tatsächlich um eine vollständige Kernschmelze gehandelt hat. Die
schwer bekämpfbaren Brände beim Tschernobyl-Vorfall gingen wohl
eher auf (auch kaum löschbaren) Graphitbrand zurück - solche sind
in Fukushima bauartbedingt nicht zu erwarten. Ein Anlass zu
Erleichterung ist dies jedoch keineswegs - denn die eigentliche
Gefahr sind nicht die Brände, sondern die unkontrollierten Prozesse
in der Kernschmelze selbst sowie deren Folgen. Wenn keinerlei
Kontrolle mehr besteht, erscheinen die aktuellen Behauptungen, Kernschmelze habe noch nicht eingesetzt, wenig glaubhaft - ist sie
doch eine nahezu zwangsläufige Folge des Kontrollverlusts.
Mit
was also wäre zu rechnen? Nach gängiger Auffassung werden die
enormen Temperaturen den schmelzenden Kern in den Boden absinken
lassen. Der betroffene Reaktorblock Fukushima I-1 stammt von 1971 -
zu dieser Zeit hatte man an Auffangschalen (sog. "Core-Chatcher")
für Kernschmelzen unter Reaktorblöcken nicht einmal entfernt
gedacht. Ihre Funktion soll sein, den schmelzenden Kern auf seinem
Weg in den Untergrund aufzuhalten. Ob Core-Catcher dies überhaupt
leisten können, darf indes bis heute als nicht zweifelsfrei
gesichert gelten. Wie auch immer - in Fukushima I gibt es derartiges
so oder so nicht. Davon, dass das in den 70ern gängige "Containment"
diese Funktion nicht leistet, darf ausgegangen werden.
Dies
bedeutet, der schmelzende Kern dürfte unter Verdampfung von
Fundament und Bodenmaterial nach und nach tiefer und tiefer sacken.
Sobald seine Ausläufer grundwasserführende Regionen erreichen, wird
sich neben den permanent bildenden Falloutwolken ein weiterer und besonders
heimtückischer Verbreitungsweg für Spaltprodukte eröffnen.
Unterirdische Wasserläufe können sie beliebig verteilen und von
dort sie können dann selbst nach Jahren noch irgendwo in höheren
Konzentrationen an die Oberfläche treten.
Das
zuverlässige Ende einer Kernschmelze ist wohl erst nach "Abbrand"
zu erwarten - d.h. der größte Anteil des nuklearen Inventars ist
durch Verteilung und/oder Zerfall soweit aufgezehrt, dass das
nukleare Feuer durch Mangel an noch spaltbaren Material zu erlöschen
beginnt. Wie lange das andauern könnte ist unklar - aber die
durchschnittlichen Kernbrennstab-Nutzungsdauer von rund 3 Jahren gibt
zumindest eine Idee von denkbaren Zeiträumen.
Beeinflussen
ließe sich das düstere Szenario nur durch Einschluss der gesamten
Kernschmelze in ein Moderator-Medium (wie auch die dem Meereswasser
zugesetzte Borsäure eines ist...) Dieses würde durch
Neutronen-Einfang die offen ablaufenden Kettenreaktionen
beeinträchtigen - und könnte (!) so zum vorzeitigen Erlöschen
eines "nuklearen Feuers" beitragen. Die schlechte (und den
meisten Kernkraft-Kritikern bekannte...) Nachricht hierbei: Wir
kennen bis heute nur Moderator-Prinzipien, die lediglich bei der
sorgfältig ausbalancierten Verteilung des Spaltmaterials (lange
dünne Brennstäbe mit reichlich umgebenden Freiraum für
Moderatoren) hinreichend wirksam sind.
Genau
diese Verteilung aber ist, was bei einer Kernschmelze als erstes
zerstört wird - die Kernbrennstäbe inkl. sämtlicher Vorrichtungen
zur ihrer Manipulation sowie schließlich das nukleare Arsenal selbst
wird sich infolge der hohen Temperaturen verflüssigen. Anders als
bei einem Feuer, dass als chemische Reaktion Oxydantien
benötigt, erhält sich dieser "nukleare Brand" allein
aufgrund der bei Kettenreaktionen freigesetzten Neutronen. Und so
könnte der Moderator bereits vor Erreichen eines kompakten
Schmelzkerns augenblicklich verdampfen - womöglich noch bevor er
überhaupt eine nennenswerte Wirkung auf den Kernbrand entfalten
könnte. Selbst bei kontrolliertem "Abklingen" benötigen
Brennstäbe einen Tag oder mehr, um in einen halbwegs sicheren
Zustand zu geraten. Bis dahin könnte sich die Kernschmelze längst
auf unüberschaubaren Wegen durch alle Hüllen und Fundamente in den
Boden gefressen haben.
Die
in gängigen Szenarien als Rettung gepriesene Versiegelung von
schmelzenden Kernen wird hierdurch erschwert oder gar verunmöglicht.
Die Rettung war immer nur der halbe Teil der Wahrheit, denn Fakt bleibt:
Hat Kernschmelze erst einmal in vollem Umfang eingesetzt, könnte sie
im Grenzfall solange anhalten, bis sie aus Mangel an spaltbarem
Material beginnt, von selbst abzuklingen.
So
wenig Gutes wie Fukushima I-1 allein schon den Menschen in Japan
verheißt - so eindringlich ist darauf zu hinzuweisen, dass es dabei
nicht einmal das einzige nukleartechnische Problem des Landes infolge
der schweren Naturkatastrophe ist. Inzwischen wurden auch ähnliche
Probleme für weitere Reaktoren sowie in einigen Nukleartechnischen
Anlagen des Landes bekannt.
Hiermit
stellt sich ebenso mahnend wie unausweichlich die Kernfrage: Ist
eine derart risikobehaftete Technologie als Grundpfeiler der
Energieversorgung unserer Zivilisation überhaupt geeignet?
Propagandistisch schien diese Frage längst beantwortet - gewaltigen PR-Kampagnen sei dank haftete an Kernenergie-Gegnern das
Image Bedenken tragender und ewig gestriger Fortschrittsverweigerer.
Doch
- wir leben nicht auf einem statischen Planeten, wie ihn die Mehrzahl
der Sicherheits-Analysen voraus setzen. Wir leben auf einem
dynamischen Planeten, der sich zudem einer Vielzahl völlig
unbeeinflussbarer Gefahren (Mega-Erdbeben, Sonnenstürme,
Asteroiden-Einschlag...) gegenüber sieht. Schon der Normalbetrieb
dieser Horror-Technologie stellt Sicherheitsansprüche an eine
Gesellschaft, die nur schwer mit Demokratie, Recht und Freiheit vereinbar
sind. Und sie bleibt untrennbar mit einer Vielzahl von Risiken verbunden, die
an vielen offensichtlichen und weniger offensichtlichen Stellen
lauern. Und dabei sind nicht einmal so grundlegende Fragen wie die
sichere Entsorgung des hochradioaktiven Abfalls gelöst.
Wie
dramatisch sich das unter schweren Störeinflüssen verschärfen kann,
erleben wir gerade in Japan. Die Botschaft hieraus ist klar und eindringlich: jeder
mögliche Nutzen der Kernenergie fällt um viele Längen hinter das
ihr inherente Risikopotential zurück. Die Dauerbehauptung der
einschlägigen Industrie - ein GAU sei "praktisch"
unmöglich - hat sich unter den auf diesem Planeten nun mal gültigen
Bedingungen als genau so falsch heraus gestellt, wie es von Kritikern
bereits seit Jahrzehnten behauptet wird.
An
der klaren Erkenntnis dieser Tatsache führt seit der Katastrophe in
Japan kein Weg vorbei. Derzeit oft zu hörende Beschwichtungen in der
Art "Für Deutschland ist das irrelevant - hier ist kein
Erdbebengebiet..." sind keinen Pfifferling wert. Denn auch ein
schwerer Sonnensturm oder andere exotische Naturphänomene können
jederzeit zu längeren Stromausfällen führen.
Vielmehr
ist jetzt frisch bewiesen, dass die Sicherheitsvorkehrungen bei AKW
unter extremen Randbedingungen keineswegs ausreichend sind. Und im
Falle Japans hat man es weder mit rückständiger Technik noch mit
technologisch unfähigen Gesellschaft zu tun - gleichwohl waren die
sich inzwischen mehrfach abzeichnenden Nuklearkatastrophen offenbar
nicht abzuwenden. Hieraus ergibt sich gravierender Zweifel auch an
all den anderen Behauptungen, mit denen die einschlägige Industrie
bislang unbeirrt versuchte, dieser für sie außerordentlich
einträglichen Technologie breite Akzeptanz zu verschaffen und zu
erhalten.
Für
Deutschland gehört hiermit ein - angesichts der angewandten Methoden
ohnehin - höchst fragwürdiger Schritt der schwarzgelben Koalition
sofort und schonungslos auf den Prüfstand: Erst im November 2010
kippte die Regierung den hiesigen Ausstiegs-Konsens aus der
Kernenergie, der hierzulande durch breite Mehrheiten längst
legitimiert war. Ihr konzern-willfähriger Ausstieg aus dem Ausstieg ist auf der Stelle zurück zu nehmen (was womöglich rein
rechtlich ohnehin schon zu erwarten steht...). Mit den Vorfällen in
Japan liegen nunmehr unabweisbare Hinweise darauf auf dem Tisch, dass
die zahlreichen Sicherheitsbeteuerungen der einschlägigen Industrie
wohl doch wesentlich mehr von den erhofften Einnahmen als von
sorgfältiger Analyse realer Störfall-Szenarien geprägt war. Auch
wenn es keine Technologie ohne Rest-Risiko geben mag - kaum eine
andere Technologie ist von derart gigantischen Risiken im
Versagensfall gekennzeichnet wie die Kernenergie.
Die
Zeit der Verharmlosung muss endlich ein Ende haben. Im Falle Japan
erleben wir ja gerade live und in Farbe den Anfang eines Szenarios,
dem durchaus das Potential inne wohnen könnte, die Volkswirtschaft
Nr. 4 des Planeten innerhalb von wenigen auf Jahre oder Jahrzehnte hinaus zu ruinieren.
Nimmt man noch all die bislang zerredeten Einwände gegen die Kernenergie wie ungeklärte
Endlagerung, verdeckte Betriebsrisiken, Unregelmäßigkeiten bei der
Störfallhandhabung, Proliferationsrisiko für Nuklear-Material
u.v.m. hinzu, so kann die Antwort auf diese Technologie logisch nur
noch lauten: Ausstieg!
Hier
liegt die Verantwortung, die Wähler auch hierzulande heute noch
haben und unbedingt nutzen sollten. Für die Menschen in Japan ist es
bereits zu spät. Für sie besteht keine Entscheidungsmöglichkeit
mehr - die Folgen des Desasters werden sie in voller Härte
auszubaden haben. Auch beim selbstverständlichen Wunsch, dass die
Bevölkerung Japans so glimpflich wie nur irgendmöglich davon kommen
möge - entziehen sich Auswirkungen, Folgen und Spätfolgen der
aktuellen Katastrophen im dichtbesiedelten Japan mit seinen über 50
AKW in jeder Hinsicht auf der Skala von menschlich bis wirtschaftlich vollständig
jeglicher Vorstellungskraft.
Nach
Hiroshima und Nagasaki könnte Japan so womöglich erneut als Warnung
an unsere Welt in die Geschichte eingehen. Lassen sie uns gemeinsam
hoffen, dass dies Vernunft und Nutzen stiftet und vor allem, dass sich die
Erkenntnis, Profit sei keineswegs das wichtigste im Leben der
Menschheit, sich auf ewig nicht mehr aus den Herzen und Hirnen
von Menschen vertreiben lässt.
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