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Gefühlte Inflation ist Realität für Menschen - Statistik nicht... Nun - könnte man sagen, was soll all die Nörgelei - nach Ansicht des Herrn Müntefering soll ja ohnehin nur essen, wer auch arbeitet. Was mit jenen die es nicht können oder keine Chance dazu haben, geschehen soll, hat der kluge SPD-Vordenker und Vizekanzler allerdings offengelassen. Er wird dabei doch wohl nicht an das "Verhungern auf freier Wildbahn" in einem der reichsten Länder der Welt gedacht haben?
Alarmierenderweise aber will selbst auf schon vorhandenem sozialen Minimal-Niveau kein wirklicher Friede einkehren und wir kehren zurück zu den Nachrichten über Preisstabilität und angeblich sinkenden Lebensmittelpreisen. Entgegen der offiziell verkündeten Entwicklung nämlich scheinen in jüngerer Zeit auf breiter Front vermehrt saftige Preisaufschläge grade bei jenen Billigst-Produkten zu grassieren, die vielen prekären Haushalten hier erlauben, grade noch so eben um die Runden zu kommen. Hier zu die folgende Tabelle:
Preisanstieg für ausgewählte Billig-Lebensmittel |
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| 3. Quartal 06 | alter Preis | neuer Preis | Anstieg | Kochschinken, Pack, 200 gr | 1,99 € | 2,09 € | 5,0% | Röstbratwürstchen, Packung | 1,65 € | 1,75 € | 6,1% | 2 Fertig-Baguette, TK | 0,55 € | 0,59 € | 7,3% | Leberwurst, 125 gr | 0,55 € | 0,59 € | 7,3% | Eintopf-/Fertiggericht, Dose 850 ml | 0,79 € | 0,85 € | 7,6% | 15 Fischstäbchen, TK | 1,29 € | 1,39 € | 7,8% | Fertigschnitzel, Schwein 250 gr | 1,99 € | 2,15 € | 8,0% | Yoghurt, einfach, 125gr | 0,12 € | 0,13 € | 8,3% | Salami, am Stück, 650 gr | 2,99 € | 3,29 € | 10,0% | Salami, abgepackt, 200 gr | 0,75 € | 0,85 € | 13,3% | Hackfleisch, gemischt,TK, 500 gr | 1,39 € | 1,59 € | 14,4% | Mais, Dose, 370 ml | 0,39 € | 0,45 € | 15,4% | Schokolade, 100 gr | 0,29 € | 0,35 € | 20,7% | Knorr-Fertigsaucen, Doppelpack | 0,65 € | 0,79 € | 21,5% | Thunfisch in Öl, 125gr | 0,45 € | 0,55 € | 22,2% | Durchschnitt | 1,06 € | 1,16 € | 9,9% |
Fast reibt man sich die Augen - kann das sein? Ist es in einer - angeblich so freien - Marktwirtschaft möglich, dass die ganze Anbieterschar - selbstverständlich völlig unabhängig voneinander - zur gleichen Zeit zu exakt den gleichen Preiserhöhungen in exakt dem gleichen Produktsegmenten kommt? Was auf den ersten Blick für manchen harmlos aussehen mag, ist so harmlos nicht. Denn noch steht die Mehrwertsteuer-Erhöhung vor der Tür und liegt nicht etwa hinter uns. Diese hat zwar der Theorie nach keinen Einfluss auf Lebensmittelpreise (denn die werden weiter unverändert mit 7% umsatzbesteuert) doch ist zu so gut wie sicher zu erwarten, dass der eine oder andere Mitnahmeeffekt auch bis in diesen Bereich vordringen wird. Bloß gut für unseren Bundeshaushalt, dass das ALGII in sich nicht anpassenden Absolutbeträgen festgesetzt und die offizielle Preissteigerungsrate wegen billiger gewordener Unterhaltungselektronik (für unsere Beispielmenschen vollkommen irrelevant) phasenweise gar negativ ist. So lässt es sich doch herrlich argumentieren und sparen - weiter auf dem Rücken Arbeitsloser und Rentner - was bequemerweise auch keinen wirklichen Gegenwind heute relevanter gesellschaftlicher Kräfte hervorruft.
Schlimmer noch aber als der zusätzliche Verzicht auf das eine oder andere muss hier für die betroffenen Menschen doch der Umstand wirken, dass offizielle Statistik-Ämter und die nach plappernden Medien genau das Gegenteil von dem verkünden, was diese ohnehin von allen Seiten bedrängten Menschen in ihrem alltäglichen Leben wahrnehmen. Eindrucksvoller kann ihnen nicht demonstriert werden, dass sie nicht mehr dazu gehören - sie keine Rolle mehr spielen und es am besten wäre, sie wären gar nicht da. Dabei ist man in diesem Land als Kleinrentner (deren Anteil weiter rapide steigen dürfte) oder ALG2-Empfänger sowieso schon mit geradezu perfekter Präzision ausgegrenzt von allem, was man so gemeinhin als gesellschaftliches Leben betrachtet.
Ausgehen mit Freunden und Bekannten? Nicht drin. Kultur? Nicht drin. Buch kaufen? Nicht drin. CD/DVD kaufen? Nicht drin. Kino? Nicht drin. Nicht einmal das regelmäßige Lesen einer Tageszeitung ist möglich - denn die hierfür fälligen etwa 30 Euro im Monat sind jenseits jeden Budgets. Etwas, worauf z.B. die fortschrittlich angehauchte TAZ schon reagiert hat - ihren Bezug bietet sie "Normalos" für 37 Euro - und "Armen" für 21,50 im Monat an - immerhin! Wie muss ein Mensch in dieser Lage sich durch derartige "Produkte", wie z.B. das Hartz-IV-Kochbuch u.a. mit Tipps zum Einsammeln von Löwenzahn-Blättern sorry - verarscht und verspottet - vorkommen, wo ihm schon der Erwerb dieses Buches schwer fiele.
Dabei ist unsere Politik eigentlich seit langem schon höchstrichterlich aufgefordert, ein sogenanntes soziokulturelles Existenzminimum für die Menschen im Lande zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Sollten sich jene Richtungen in der jetzigen Politiker-Kaste durchsetzen, die nicht ruhen, polarisierende Lügen über das Leben auf Armutsniveau in diesem Land in die Welt zu setzen, dürften sich die heute schon gegebenen Verhältnisse schneller zu einem nackten Existenzkampf wandeln, als wir alle gucken können.
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