Das politische Grotesk-Theater auf Deutschlands Bühne will kein Ende nehmen. Nach einem zwar kurzen, aber immerhin auf Position 2 gesetzten Beitrag bei Spiegel-Online scheint man es in der Union mal wieder für wichtiger zu halten, weiter auf Langzeitarbeitslose ein zu prügeln, anstatt sich an einer vernünftigen Lösung für unser Gesundheitswesen und die vielen anderen Probleme der Republik ernsthaft zu beteiligen. Das Quälen der Arbeitslosen findet mit solch schöner Regelmäßigkeit statt, dass man fast zu Überzeugung gelangt, es bestünde seitens der CDU eine Verpflichtung gegenüber den Arbeitgeberverbänden, alltäglich ein demütiges Glaubensbekenntnis an die von jenen in die Welt gesetzten Lügen abzulegen und blindest-möglichen Aktionismus zu geloben. Derweil wird bei der Gesundheitsreform feste am Kompromiss des Kompromisses des Kompromisses gefeilt. Zur Verdeutlichung der Größenordnung: beim Gesundheitsdrama geht es um rund 250 Mrd. €, ganz Hartz IV kostet gerade mal um 30 Mrd. €. ohne die Milliarden, die die von der Union gebetsmühlenartig geforderten noch schärferen Kontrollen kosten werden, so es denn dazu kommt. Viele Bürger sind (gottseidank) noch von diesem Schwachsinn nicht betroffen. Aber auch für sie lohnt es sich, näher hin zuschauen - denn schon morgen kann jeder von Ihnen, verehrte Leser, dazugehören, einfach nur weil in dem Unternehmen für das Sie arbeiten, eine Bilanz-Pressekonferenz ansteht oder - wesentlich wahrscheinlicher - einer der selber stets überreichlich abgesicherten Manager versagt. In der folgenden Geschichte gehen wir der Frage nach: Was also blüht Ihnen ein einem solchen Fall?
Zunächst einmal gilt schon Alarmstufe Rot, noch bevor es überhaupt richtig los geht - lassen Sie sich ja nicht auf irgendwelche Angebote Ihres Arbeitgebers ein, die auch nur den Hauch Ihrer verdeckten Zustimmung zur Kündigung erwecken könnten - denn sonst können Sie die ersten Monate nach dem Jobverlust gleich aus der Privat-Schatulle bestreiten. Gleichwohl machen Arbeitgeber solche Angebote sehr gerne und nicht selten auch mit verlockenden Dreingaben, da sie mit ihrer Zustimmung jegliche arbeitsrechtliche Position aufgeben. Sonst interessiert die Herrschaften nichts weiter. Ferner heißt es, sofort, möglichst noch Monate vor dem Bekanntwerden der Entlassung, zur Arbeitsagentur, denn sonst droht auch Sperrzeit. Nun - die Arbeitsagentur, sie wissen schon - das ist jene große Monsterbehörde mit um die 100.000 öffentlich Bediensteten in schicken modernen Gebäuden, die ungeheuer Wichtiges zu tun hat - denn sie verwaltet im Wesentlichen etliche Millionen fehlender sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze. Diese Aufgabe scheint so dermaßen schwer, dass die Agentur Dauerpatient bei der sozialen Speerspitze im Land, also namhafte Unternehmensberatungen wie Berger und McKinsey, ist. Keineswegs marginale Beträge des heute saurer denn je verdienten Geldes der Versicherten scheinen dafür gut angelegt - eine Investition in die Zukunft sozusagen, deren genaues Ziel man heute schon irgendwo auf den 500 und noch was Seiten des Programm-Sammelsuriums der FDP nachlesen kann: Abschaffen nämlich.
Im Zuge der Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz-Gesetze) wurden ganz wesentliche gesellschaftliche Funktionen bereits zu den ARGE "ausgelagert". Man solle sich in Arbeitsagentur nun voll auf den "ersten" Arbeitsmarkt konzentrieren, wobei die Frage erlaubt sein muss - was überwiegt? Die Anzahl der wirklich offenen Stellen oder die Anzahl der Mitarbeiter? Ein paar hundert Tausend Karteileichen an offenen Stellen nämlich sind Luftnummern - bewusst mit unerfüllbaren Qualifikationsanforderungen lanciert als Bestandteil der Guerilla-Taktik von Arbeitgeberverbänden gegen die hierzulande lästige Demokratie und Staatsvormundschaft.
Aber auf jeden Fall kommen Sie als frisch gebackener Arbeitsloser erstmal in ein hochmodernes, nicht unedel ausgestattetes Gebäude mit zumeist ebensolchen Mitarbeitern - die Arbeitsagentur also. Da kann sich sich unser Siemens-Ingenieur so richtig zu Hause fühlen. Denn Geld hat sie ja auch - die Agentur. Und das, weil die Beiträge der Versicherten nach der Ausgrenzung von Millionen von Langzeitarbeitslosen die Kosten für die wenigen übrig gebliebenen bei weitem überwiegen. Haben Sie den ersten Papierkrieg überstanden, kommen Sie in den Genuss einer Beratung in welcher Ihnen der Agentur-Mitarbeiter die schöne bunte Berufswelt hierzulande erklärt und Ihnen unterschwellig klar macht, dass es nicht einfach werden wird, Ihnen einen der fehlenden Arbeitsplätze anzubieten.
Fehlende Arbeitsplätze sind eigentlich etwas Schönes - man denke nur an die Entlastung der Arbeitsgerichte, die ja in einem solchen Fall niemals tätig werden müssen. Wie auch immer - einen Nachteil hat so ein fehlender Arbeitsplatz schon auch: er hält Sie in der Statistik der Arbeitslosen. Sie belasten also mit Ihrer Arbeitslosigkeit frecherweise das Image der Wirtschaft - ähm - beziehungsweise das der von ihr ins Amt manövrierten Regierung. Dies ist etwas, was man Hartz IV Beziehern lange schon ausgetrieben hat. Dort braucht man nur ein paar Euros für irgendeinen Verband springen zu lassen, und schon generiert dieser "Arbeitsgelegenheiten zur Feststellung der Arbeitswilligkeit" - zumeist um 1€ die Stunde - womit dieser Mensch dann statistisch bis auf weiteres unsichtbar wird. Na - keine Panik - soweit ist es ja noch nicht. Nein - nach einer schilda-artigen und für die meisten nicht nachvollziehbaren Umrechnung auf Tagelohn erhalten sie zunächst einmal 67% ihrer durchschnittlichen Bezüge und falls sie kinderlos sind 60%. Ok - zwar auch schon ein recht herber Einschnitt in das gewohnte Einkommen, aber mit ein paar Einschränkungen lässt sich bei ihrem Niveau damit zumindest leben - trotz der Kosten für die kürzlich erworbene Eigentumswohnung und der Autorate.
Doch ist der Druck natürlich schon groß genug. Sie - leider schon 44 - machen sich also viel Elan an Ihre Bewerbungen. Gewohnt an ein gewisses Niveau haben Sie leider das Pech, so mancher der zuvor beschriebenen Luftnummern auf zu sitzen. Ein Teil der Bewerbungen bringt nicht einmal eine Eingangsbestätigung, andere schreiben Ihnen mit mehr oder weniger gefühlvollen Worten eine Absage. Bei der einen Vorstellung, für die Sie sich extra noch einen neuen Anzug zulegten, rissen die Interviewer entsetzt die Augenbrauen hoch, als Sie unbefangen äußerten, Sie möchten mit Ihrer künftigen Arbeit in etwa das verdienen, was Sie zuvor verdient haben - und Sie ernteten danach ein Schreiben mit Schlussformel "...und wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft." Nach einigen Monaten beginnt das Ganze doch an Ihnen zu zehren - noch nicht an den Nerven, aber am Elan ihrer Bewerbungsaktivitäten. Doch da kommt Ihnen die x-te Beratung der Arbeitsagentur zur Hilfe. Man bringt Sie prompt in den Genuss eines Bewerbungstrainings - das Sie nach fortwährendem Ankampf gegen den Schlaf überstehen. Dass Sie nun so frisch trainiert sind, ändert indes leider nichts am Problem: immer noch scheint es keinen vorhandenen ordentlichen Arbeitsplatz für Sie zu geben. Der freundliche Angestellte der Verwalterin der fehlenden Arbeitsplätze rät Ihnen derweil "Sie sollten in Erwägung ziehen, sich auch auf niedriger qualifizierte Stellen zu bewerben, Herr (oder Frau) X....".
"Welch ein Geistesblitz! Ja - DAS ist die Lösung!..." sagen Sie sich. "Wieso bin ich nicht selber darauf gekommen?" fragen Sie sich - der Agentur dankbar für die Aussicht künftig die Hälfte zu verdienen. Zwar sind Sie ein hochspezialisierter Spezialist - also sowas, wie es scheinbar überall gesucht wird, aber eben mit nur 95%-iger statt 150%-iger Profil-Übereinstimmung. Die ein bis zwei Tage Einarbeitung in das Neue kann man dem Arbeitgeber im globalen Wettbewerb von heute ja nicht mehr zumuten - da importiert der doch schon lieber ein paar Inder. Ihren rebellierenden Verstand schlagen sie nieder - der wollte nicht einsehen wieso deren Anreise, Sprachkurs und Eingewöhnungszeit ihre potentielle Einarbeitungszeit nicht bei weitem aufwiegen sollte. Sie sind Ingenieur und kein Wirtschaftsfritze, die da schon wissen werden, was sie tun - also nichts wie ran an die niedriger qualifizierten Stellen.
Ein neues Universum tut sich auf (das alte schien Ihnen nach den Monaten ohnehin irgendwie "abgegrast") - Sie besitzen einen Führerschein, sie sind nicht in Insolvenz, sie haben ein unbeflecktes polizeiliches Führungszeugnis, können mit dem PC umgehen und ... und .. und. Der Tag müsste 48-Std haben beim Zusammentragen all der Jobs, für die Sie rein theoretisch in Frage kämen. Aber auch so wird der Haufen riesengroß - selbst nach dem Aussortieren jener Anzeigen, wo von "jungen, dynamischen Teams" die Rede ist, oder gar offen steht: "bis 35". Vor lauter Vorfreude endlich wieder Arbeiten dürfen zu können, fällt Ihnen erst mit Verspätung auf - "Moment - wenn alles gut geht und ich nur noch die Hälfte verdiene, kann ich ja meine Eigentumswohnung nicht halten, und der schicke BMW muss auch weg..." Sie versuchen, diesen Gedanken beiseite zu schieben - doch er will nicht weichen.
Vorübergehend geraten ihre Bewerbungsaktivitäten ins Hintertreffen - denn sie mühen sich redlich, den Verlust aus Verkauf der Wohnung und des Autos so gering wie möglich zu halten. Nach wochenlanger Rennerei haben sie es geschafft: der schicke BMW wich einem in die Jahre gekommenen Golf, die Hütte ist weg - und sie packen die Kisten für den Umzug in ihr neues Domizil - eine ganz nette 2-Zimmer-Wohnung mit nur 600 Euro Miete. Dies eröffnet nun Perspektiven - sie können locker für die Hälfte arbeiten, ohne dass es Ihnen wirklich viel schlechter ginge. Träume von dem gewonnenen Stück Unabhängigkeit beflügeln Ihre Umzugsarbeit - trotz eisernen Sparens bei der Einrichtung der neuen Bleibe hat das ganze Manöver ihre Ersparnisse mehr als halbiert - sie gebieten über nur noch knappe 20.000 Euronen.
Umzug ist vollbracht - und Sie konzentrieren sich nunmehr wieder voll auf Ihre Bewerbungen Inzwischen sind 10 Monate ins Land gegangen - die Termine bei der Agentur werden weniger, fast so, als scheine diese ihr Interesse an Ihrer Arbeitsvermittlung zu verlieren. Inzwischen haben Sie den dritten, oder war es nicht schon der vierte, Sachbearbeiter, der Ihnen zwar ab und an auch noch eine Stelle anbietet, aber Vertrieb war eben noch nie Ihr Ding. Und unter uns: wer will heute schon mit einem "leistungsabhängigen" Einkommen - das bedeutet heutzutage vor allem ein unbestimmtes, und bei mäßigem Erfolg oft nicht ausreichendes - leben? Jetzt erst - bei näherem Hinsehen - fällt Ihnen auf, dass der Geistesblitz der Agentur zwar die Anzahl Ihrer Bewerbungen drastisch hochgeschraubt hatte, was aber keinesfalls zu einer Verbesserung der Resonanz führte. Im Gegenteil - der Anteil von Bewerbungen, auf die sie überhaupt keine Antwort erhielten stieg ins Uferlose. So sehen Sie das Ende des zwölften Monats auf sich zu rollen und beschließen, nunmehr aggressiver vorzugehen. Jede Stellen-Ausschreibung mit einer Telefon-Nummer wird angerufen - und tatsächlich: einige von den wenigen Fällen, in denen Sie Verantwortliche erreichen, führen glatt zu Vorstellungen.
Doch die meisten endeten mit einem verhängnisvollen Urteilsspruch: "Seien sie doch vernünftig - Für diesen Job sind Sie doch restlos überqualifiziert. Wir dachten da eigentlich an jemandem mit einem etwas.. ähm.. naja... schlichteren Hintergrund." Das Kafkaeske daran erkennt man erst dann in seiner vollen Auswirkung, wenn man sich folgendes überlegt: Ein wenig qualifizierter Mensch hat meist immerhin noch die Möglichkeit, seine Qualifikation zu erhöhen - aber was bitteschön soll ein Überqualifizierter tun? Außer regelmäßigem Alkoholkonsum bis zu Besinnungslosigkeit, in der Hoffnung auf Dauer werden schon genügend Hirnzellen absterben, bleibt ihm praktisch keine Möglichkeit, kurzfristig etwas an seiner Überqualifikation zu ändern.
Endlich - seit Monaten mal wieder ein Lichtblick! Ein großes schickes Handy-Geschäft sucht einen Verkäufer und zu was, wenn nicht zu dem wären Sie wohl besser prädestiniert. Sie kennen und wissen alles über Handys. Und da stehen sie nun vor dem Geschäftsführer mit Migrations-Hintergrund. Die Verständigung scheint schwierig - denn dieser beherrscht Ihren Akademiker-Wortschatz offenbar nur unvollkommen, was Ihre Sympathie-Werte bei ihm sogleich ins Bodenlose sinken lässt. Außerdem: vier Wochen kostenloses Probearbeiten hatte der sich schon vorgestellt. Sie schlucken. "Und wann könnte ich anfangen...?" Gemurmel auf der Gegenseite ... "Also im Moment haben wir noch zwei, die Probe arbeiten - aber einer von denen ist in zwei Wochen fertig..." "Ja - ähm - ich werde mich melden.." entfährt es Ihnen und Sie sehen zu, die wenig angenehme Begegnung zu beenden. Nach dem ersten Entsetzen und nachfolgendem erneuten Niederprügeln Ihres rebellierenden Verstandes retten Sie sich ins Verdrängen: "Naja - Pech gehabt - sagen Sie sich....."
"Wir dachten eigentlich an jemanden mit mehr Branchenerfahrung ... " hören Sie bei der nächsten Gelegenheit, ein elegant-modernes Call-Center mit tollen auf Motivations-Plakaten bestens in Szene gesetzten Customer-Relationship-Management Aufgaben. Während Ihr Gesprächspartner in offenbar auswendig gelernten Worten die Vorzüge einer Arbeit in seinem Hause anpreist wie Sauerbier, schnappen Sie Fetzen eines laufenden Gesprächs auf. "...also bei diesem Abonnement sparen sie sogar 37,5% gegenüber dem Kauf am Kiosk UND sie erhalten die ersten drei Ausgaben GESCHENKT und damit nicht genug: Völlig kostenlos schicken wir Ihnen mit der ersten kostenlosen Ausgabe noch unseren hochwertigen kostenlosen Happy-Laune-Bär. Das wär doch was für sie. Es geht auf Weihnachten zu - ein tolles Geschenk für ihre Enkel... " Sie erblicken in der Ecke eine Kiste mit ausgesprochen hässlichen und billig wirkenden Stofftieren "Made in China" und die lange Liste namhafter Zeitschriften auf dem Tisch der mit angenehmer Stimme ins Headset säuselnden Frau. Vor Schreck überhören fast die von Ihrem Gegenüber inzwischen mehr gemurmelten Konditionen "...6 Monate befristet, 6 € die Stunde Grundlohn zuzüglich Provision. Sie sehen, man verdient bei uns gutes Geld... Und glauben sie mir, wir haben hier Mitarbeiter, die vervielfachen ihren Grundlohn mit Ihrer Provision - und bedenken sie, sie machen sich hier nirgendwo die Hände schmutzig - es ist eine leichte schöne Arbeit mit viel Kontakt zu Menschen." Nur mit Mühe unterdrücken Sie Ihre Emotionen und bringen auch dieses Gespräch zu einem schnellen Ende... Im Herausgehen bekommen Sie noch einen Temperamentsausbruch bei der eben noch säuselnden jungen Frau mit: "Ich hab wieder einen.... schon der zweite diese Woche!!!" Nun ja - denken Sie - es ist schließlich Freitag...
Wieder daheim öffnen Sie Ihren Postkasten, und finden einen Brief der Arbeitsagentur, in dem Ihnen mitgeteilt wird, dass in einigen Wochen Ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld erlischt - sie mögen sich gegebenenfalls bitte rechtzeitig um die Beantragung von laufenden Leistungen nach SBGII bemühen... Sie besorgen sich die Anträge, und stutzen. Wie - die wissen doch nun schon wirklich alles von mir, sogar meine Grundschulnoten - wieso muss ich nun jetzt alles auf viel zu knapp bemessenen Formblättern erneut eintragen - und dazu handschriftlich weil diese offenbar selbstgestrickten Formulare in schmutzigem Behördengrau sich in keiner Weise zum Ausfüllen per PC eignen? Doch was hilft's - in der Folgezeit füllen Sie diese aus und beschaffen die notwendigen Nachweise. Zwischendurch haben Sie hier und da noch einmal einen Vorstellungstermin, aber wohl nicht zuletzt Ihre depressive Grundstimmung scheint Ihnen den Erfolg zu versagen. Wie der Rotor eines Helikopters pflügt der im Schreiben genannte Termin durch Ihren Kopf bei fast allem was sie tun... Nun also doch - Hartz IV. Wenige Tage vor dem Termin haben Sie es vollbracht - Antrag, sauber ausgefüllt und alle Nachweise fein säuberlich zugeordnet. Sie machen sich mit Ihrem Werk auf den Weg zur ARGE.
"Habbe sie eine Termin?..." tönt es Ihnen in gebrochenem Deutsch von einer hinter dem Schalter sitzenden Dame mit Migrationshintergrund entgegen. "Nein - ich möchte hier doch nur meinen Antrag auf Arbeitslosengeld II abgeben - einen Beratungstermin kann ich dabei ja gleich mit ausmachen" - "Nain - so gäht das nikt. Sie müsse ers Termin mache, um Andrag abbzugebbe - sonst nix geht..." Aha - sagen Sie sich in Wahrnehmung beginnender Veränderung. Nach langer Telefoniererei haben Sie endlich Ihren Termin. Das Gespräch naht - eine geschlagene halbe Stunde nun schon wühlt Sie die ARGE-Mitarbeiterin vor Ihren Augen durch Ihre Unterlagen - murmelt, schaut in den PC, murmelt... zwischendurch ein mitleidiger Blick bei den kurzen wenigen Fragen, die sie stellt - und die allesamt ihre Vermögensangaben betreffen.
"Also Herr X - das sieht ja vorläufig gar nicht mal so gut aus für Sie... sie sollten sich doch nun wirklich intensiv um einen Arbeitsplatz bemühen...." Ihr Herz beginnt zu pochen - vor Wut "Was denkt die blöde Kuh wohl, was ich die letzten Monate gemacht habe...." Wieder eine Frage - diesmal mit stechendem Blick - "War beim Verkauf der Wohnung denn nicht mehr drin, das erscheint doch ein bisschen wenig... sie werden doch nicht..." Wie nach einem Dolchstoß steigt Schmerz in Ihnen hoch - es war so schwer, sich von dieser schönen Wohnung zu trennen, nach der Sie solange suchten... und das zu diesem Schweinepreis. "Es war unglaublich schwierig, überhaupt einen Käufer zu finden..." verteidigen Sie sich. "Also ihre Kapitalversicherung müsste müsste schon rund 5.000 € bringen, beim Rückkauf... ", trifft Sie der nächste Schlag. Ihnen bricht der Schweiß aus... Die Dame gegenüber - in einem Anflug von Menschlichkeit - versucht einen Scherz um sie aufzuheitern: "Na - Herr X. und was machen denn ihre Konten in der Schweiz und in Liechtenstein und wie geht’s eigentlich Ihrem Erbonkel?" So recht finden Sie in diesem Moment aber die Stelle zum Lachen nicht und knurren "Sowas habe ich nicht...". Die Dame gegenüber werkelt munter weiter...
"Sind Ihnen in den letzten 10 Jahren Schenkungen zugeflossen?" fragt sie beiläufig. "Mir schenkt keiner was..." entgegnen Sie im Brustton der Überzeugung und versuchen Gegenwehr: "Aber wollte man denn nicht Arbeitslosen den Erhalt einer zusätzlichen Altersversorgung erleichtern?" fragen Sie. "Hmm - ja schon. Aber das trifft in diesem Fall nicht zu - ihre Kapitalversicherung wird schon in 15 Jahren fällig und fällt damit nicht unter diese Bestimmung. Zudem sollten Sie sich überlegen, ob Sie - da Sie ja nun vorerst von Ihrem Ersparten leben müssen, weiter die ja nicht geringen Beiträge aufbringen wollen. Da wäre zwar noch die Option den Vertrag beitragsfrei zu stellen, aber da er noch nicht allzu lange besteht, bringt das nichts... Hätte Sie doch bloß rechtzeitig auf eine Riester-Rente umgestellt - die nämlich hätten Sie das zur Gänze behalten dürfen " nickt Ihnen die Dame wissend zu und rechnet weiter...
"Nun Herr X. - nach Abzug des Ihnen anzurechnenden Schonvermögens von 6600 € verfügen Sie nach Auflösung ihrer Lebensversicherung über ein Vermögen von 18.400 €, das erst aufgebraucht sein muss, bevor Sie überhaupt einen Anspruch auf Zahlungen von uns haben. Sie sollten sich aber dennoch unbedingt bei der Arbeitsagentur weiter arbeitssuchend melden..." Ihnen ist nicht gut - die Dame bemerkt dies, und sagt Ihnen deutlich leiser - quasi im Vertrauen.. "Einen Tipp noch - sprechen Sie mit Ihrem Versicherungsvertreter und versuchen Sie in den nächsten zwei Monaten den das Schonvermögen übersteigenden Teil ihres Geldes in eine vor Zugriff sichere Altersvorsorge zu überführen... Ach ja - und noch etwas... Sie sollten überlegen, ob Sie nicht in gesetzliche Krankenkasse zurückkehren - mehr als 140 € werden Sie nämlich von uns später nicht bekommen für die Aufrechterhaltung Ihrer privaten Krankenversicherung. Naja - und Ihre Wohnung, die ist zu groß und vor allem eindeutig zu teuer. Das sollten Sie ändern.... " und schaut inzwischen nervöser auf ihre Uhr. "Herr X., der nächste Kunde wartet schon eine ganze Weile... ich denke, alles Wesentliche ist geklärt."
Sie verabschieden sich und verlassen fast taumelnd den Raum. Wehmütig erinnern sie sich an das Gefühl, mal genügend auf alle Eventualitäten vorbereitet gewesen zu sein. "Ich muss mit meinem Versicherer sprechen" wirbelt es Ihnen durch den Kopf "Ich muss nachsehen, ob ich noch arbeitssuchend gemeldet bin", "Ich muss den Wechsel in die gesetzliche Krankenkasse angehen", "Ich muss mir eine neue noch kleinere noch billigere Wohnung suchen", "Ich muss schon wieder umziehen","Ich muss zusehen, das Auto loszuwerden".. Ich muss, ich muss, ich muss... und immer noch gibt es nur ein Ereignis, dass diesen Alptraum beenden könnte: ein neuer ordentlicher Arbeitsplatz - eigentlich müssten Sie eines ganz besonders: Sich um jeden Preis um einen Arbeitsplatz bemühen... Aber haben Sie nicht bereits darin versagt, sich einen von den vielen Millionen fehlenden hierzulande zu ergattern?
Wieder zu hause schauen Sie ins Internet und stoßen zufällig auf den eingangs erwähnten Beitrag. Die Union will Kürzungen und Bestrafungen - wenn jemand eine Arbeit ablehnt, sollen die Leistungen halbiert werden, fordert sie und nach der Zweiten Ablehnung gar ganz entfallen. Nur noch eine Frage der Zeit scheint es, bis Söldner für den Iran auf diese Weise gesucht werden. Das Beiwort "Zumutbar" - früher noch Hort von Berufsbild und sinnvoller Arbeitsteilung in der Gesellschaft ist längst zur leeren Hülle verkommen. Alles was nicht unmittelbar sittenwidrig oder kriminell ist, gilt inzwischen nämlich als zumutbar. Dazu zählt auch das windige Betrügen irgendwelcher Omas am Telefon - oder an der Wohnungstüre sowie das fronartige Ackern für Zeitarbeitsfirmen, die saftige Teile des eigentlich erarbeiteten Lohnes ohne jede Gegenleistung einstreichen. Ja - sogar der Urlaub soll Hartzlingen nun gestrichen werden. Als ob einer von denen Geld für Urlaub hätte...
Viel ist inzwischen geschehen - plötzlich haben Worte wie "Eigenverantwortung", "Fördern und Fordern", "aktivierender Arbeitsmarkt" für Sie ebenso eine völlig neue Bedeutung bekommen, wie auch "Recht" und "Unrecht". Vor den Scherben ihrer ehemaligen Existenz stehen Sie bereits - nicht viel mehr als das nackte Leben und die künftige totale Abhängigkeit von staatlichen Almosen werden Ihnen in einigen Monaten geblieben sein und ein bisschen vage Hoffnung auf noch vielleicht 10 Jahre Berufstätigkeit, damit sich dieser Zustand nicht bis an Ihr Lebensende fortsetzt. Doch gerade mal 16 Berufsjahre nennen Sie Ihr eigen - wovon einige auf die Billigjobs entfallen, mit denen Sie damals schon die Zeit überbrückten, bis Sie Ihre Anstellung bei Siemens fanden. Ihr bislang angesammelter Rentenanspruch spottet so denn auch jeder Beschreibung - da retten die inzwischen umgewandelten Rücklagen auch nicht viel. Ohne Job können Sie keine nennenswerten laufenden Zahlungen leisten.
Ihr ehemals ordentliches Selbstbewusstsein iss jener Aura des Versagers gewichen, von der Sie mehr ahnen als schon wissen, dass sich damit kaum noch ein ordentlicher Arbeitsplatz ergattern lässt. So etwas überträgt sich unmittelbar von Mensch zu Mensch. Ohne Worte, ohne schriftliche Fixierung "wittert" Ihr Gegenüber anlässlich der nur noch wenigen Vorstellungen, die Sie noch haben werden, die Bedrängnis, in der Sie stecken und entscheidet sich lieber für jemand anders, von den vielen Dutzenden, die sich auf nahezu jede freie Stelle melden. Mit der Zeit wird sich auch Ihre Kleidung und Ihr Pflegezustand den Merkmalen der neuen Klasse entsprechen, die zu schaffen man im Begriff ist. In unserer schönen neuen Welt ist kein Platz für Menschen mit Problemen oder schweren Schicksalen. Man hat ins Raster zu passen und zu funktionieren wie ein Automat - oder man ist und bleibt draußen. Ihre Berufsvita, werden Sie bald erfahren, passt inzwischen in kein Raster mehr, außer das des 1€-Jobs. Schriftliche Bewerbungen können ebenso gut unterbleiben - denn die werden fast überall nach diesem Raster gefiltert.
Was Sie noch nicht wissen: niemand - und schon gar nicht die große schicke Agentur für Arbeit - wird je auch nur einen Finger krumm machen, um einen zu Ihnen passenden Arbeitsplatz aufzutun. Einen, wo Sie ihre durchaus beachtlichen Kenntnisse und Erfahrungen einsetzen können, einen wo sich die Investition, die die Gesellschaft einst in Ihre Ausbildung leistete, wieder auszahlen könnte. Statt dessen lesen Sie in der Zeitung, die Sie sich nur noch kurze Zeit leisten können werden, immerzu Nachrichten vom Problem der "Geringqualifizierten" und von einem angeblichen "Ingenieursmangel" in Deutschland - und bekommen das Gefühl, Sie gibt es schon fast nicht mehr. Diese Gesellschaft funktioniert vollständig ohne Sie. Ihre bleibt nur noch eine Rolle - die des steuerfressenden Prügelknaben, den nach besten Kräften zu malträtieren zu einer Art Parteien-Sport geworden scheint.
Sie stehen vor der Bäckerei und überlegen sich, ob sie sich nun diese Brezel außer der Reihe leisten oder nicht. Sie sehen die Menschen durch die Straßen eilen. Lachende und freundliche Gesichter sind seltener geworden. Ganz hinten erkennen Sie den Parkplatz der Arbeitsagentur - ein Gebäude, dass Sie inzwischen schon über ein Jahr nicht mehr betreten haben und mit dem es auch lange schon keinen Schriftverkehr mehr gibt. Betriebsamkeit herrscht dort - es ist kurz vor Mittag, und der örtliche Teil der 100.000 strebt der verdienten Entspannung von der aufreibenden Tätigkeit zu, die das Verwalten von Millionen fehlender Arbeitsplätze beinhaltet. Willkommen im Land des Förderns und des Forderns... die einen werden gefördert und die andern werden gefordert.
CogitoSum
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