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Geschrieben von Jürgen Scheffler   
Donnerstag, 12. Oktober 2006

Karlsruhe. Vor dem Zweiten Senat unseres Bundesverfassungsgerichtes wurde gestern verhandelt. Beteiligt waren höchst prominente Kontrahenten: Deutscher Bundestag und Bundestagspräsident versus neun Abgeordnete des 16. Deutschen Bundestages. Delikater Gegenstand des Verfahrens: Die neun Abgeordneten klagen gegen die am 18. Oktober 2005 in Kraft getretenen Neuregelungen des Abgeordnetengesetzes über die Handhabung von neben dem Mandat ausgeübten Tätigkeiten und daraus erzielten Einkünften - im Volksmund: Nebentätigkeiten. Näheres zum Verfahrensgegenstand finden Sie hier. In der Folge einer ganzen Kette von Skandalen war 2005 die Novellierung des Abgeordnetengesetzes nach langem Gezerre aus der Wiege gehoben worden und wurde Anfang des Jahres von Bundestagspräsident Lammert (CDU) in Reaktion auf die anhängige Klage sogleich wieder "auf Eis" gelegt. Dem Verhandlungstag gestern ließ sich nach übereinstimmender Medienberichterstattung kein Hinweis auf das in etwa drei Monaten zu erwartende Urteil der Verfassungsrichter entnehmen.

Die Diskussion um die materielle Unabhängigkeit der Abgeordneten indes ist alles andere als neu. Allein schon die Einmütigkeit, mit der sich unsere Parlamentarier ihre Bezüge erhöhen, löst regelmäßig hoch emotionale Diskussionen in der Öffentlichkeit aus. So blecht unser klammer Staat inzwischen für jeden Abgeordneten unseres Bundestages Monat für Monat 7.009 € Grundvergütung zuzüglich einer "Pauschale" von 3.647 €. Gut angelegtes Geld zur Erhaltung der Entscheidungsfreiheit unserer Volksvertreter will man meinen, denn schließlich ist es ja wünschenswert, dass hier ohne Fremdeinflüsse und gar Bestechung vernünftige Entscheidungen im Sinne des Volkes zustande kommen. Genau dieses ist dann regelmäßig auch das Haupt-Argument in der Diskussion um die jeweils anstehende Diäten-Erhöhung.


Die die "armen" Abgeordneten nach Ansicht der Verfassungskläger in ihren Grundrechten beeinträchtigende Offenlegungspflicht selbst müsste eigentlich so oder so aufhorchen lassen: bis 1.000 € pro Monat nämlich tritt eine Meldepflicht erst gar nicht ein. Des weiteren sind lediglich drei Kategorien vorgesehen: 1.000-3.500 €, 3.500-7.000 € und über 7.000 €. In diesen Kategorien aber solle jeder Bürger die Nebeneinkünfte von Abgeordneten künftig einsehen können, verlangt die Gesetzesnovelle. Um es zu verdeutlichen: Angenommen, ein Abgeordneter hätte einen Sponsor, der dessen "Entscheidungsfreiheit" mit monatlich 100.000 € unterstützt, so würde dies in dieser Liste weit weniger anrüchig als Nebeneinkunft der höchsten Kategorie "über 7.000 €" zutage treten. Also allzu weit scheint es mit der Transparenz nun wahrlich nicht her bei der Offenlegungspflicht.


Doch unsere neun Abgeordneten indes bekämpfen nicht nur diese Minimal-Offenlegungspflicht - mit der Mittelpunktsregelung stellen sie jene Regelung des Gesetzes in Frage, nach der die Mandatsausübung des Abgeordneten im Mittelpunkt seiner Tätigkeit zu stehen habe. Ein Freizeitparlament also scheint nach Ansicht von Friedrich Merz (CDU) wohl die adäquate Antwort auf die schwerwiegenden Probleme der sich wandelnden Gesellschaft unserer Tage - 10.500€ im Monat und etliche weitere Privilegien rechtfertigen in seinen Augen offenbar bestenfalls noch einen "Nebenjob". Wäre ja schon interessant, zu erfahren, von welchen 11 Geldgebern Herr Merz welche Beträge denn nun wirklich auf seinem Konto verbucht, dass er diese und wie wir noch sehen werden, auch einige andere abwegige Meinungen so offensiv vertritt.


Um der Komplexität des Themas gerecht zu werden, ist es unvermeidlich eine weitere Diskussionsebene einzuführen - was nämlich geschieht mit einem Abgeordneten, wenn er denn eines Tages nicht mehr Abgeordneter ist? Also eine Wiederwahl muss jener schon schaffen. Dann nämlich - nach 8 Jahren - hat er bereits Anspruch auf ein Ruhegehalt in Höhe von 24% seiner Diäten. Pro Legislaturperiode steigt dieser Anspruch um satte 12% bis zu einer Höchstgrenze von 69% (erreicht nach insgesamt 23 Jahren im Dienste des Volkes), was ihm dann ab Erreichen des 65. Lebensjahres (in Ausnahmefällen auch schon ab dem 55.) einen im Vergleich zu 800 € Renten recht satten Geldsegen beschert. Auch wenn ein Abgeordneter die 8 Jahre nicht erreicht, fällt er keineswegs ins Bodenlose - üppige Übergangsbeihilfen federn seinen Wechsel ab. Für knapp die Hälfte in deutschen Parlamenten besteht ohnehin wenig Bedarf an "Abfederung", denn sie sitzen als Angehörige öffentlicher Dienste oder Beamte ihre Parlamentssessel platt und solchen ist die Rückkehr an ihre ehemaligen Arbeitsplätze garantiert. Viele weitere sind Funktionäre diverser Verbände - z.B. Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände, denen ebenfalls keine besonderen Härten blühen - auf knapp 20% bringen es dann noch Selbstständige und Freiberufler, womit man unserem Parlament denn endgültig alles mögliche, nur nicht eine Zusammensetzung bescheinigen kann, die auch nur entfernt die Bevölkerungsstruktur widerspiegelte.


Nun - irgendwie ist ja klar, dass unsere Parlamente keine Ansammlung der letzten Analphabeten im Lande sein können - schließlich stellt parlamentarische Arbeit schon gewisse Anforderungen an Intellekt und Bildung der sie Ausführenden. Gleichwohl scheint Friedrich Merz die Vision zu plagen, einestages könne man einem "Parlament von Studienabbrechern" ausgeliefert sein - weil die wirklichen Leistungsträger der Gesellschaft (für deren Speerspitze er sich offenbar hält) die Abgeordnetentätigkeit ob ihrer Transparenz verschmähen. Wo dieser Mensch wirklich Leistungsträger ist, erschließt sich indes nicht so recht - denn ihm scheint nicht einmal der simple Zusammenhang zwischen der Macht eines Mandats und den nun mal bei jedem Menschen mehr oder weniger ausgeprägten Schwächen klar zu sein. Statt dessen plappert er munter den von einschlägig bekannten Interessengruppen in die Welt gesetzten Blödsinn von "Neiddebatte" und "Generalverdacht" nach.


Wer sich heute als ALGII-Bezieher fragt, wie die ehemals respektable demokratische Gesellschaft hierzulande derart verkommen konnte, dürfte im Vorangegangenen bereits auf einige Aspekte zur Beantwortung der Frage gestoßen sein. Es sind letzlich eben jene - in Wahrheit außerordentlichen privilegierten - Parlamentarier, die arme Menschen in diesem Land in ihren Grundrechten beschneiden und sie einer nicht enden wollenden Verfolgung aussetzen. So nimmt es denn auch nicht Wunder, dass Figuren wie Merz sich auch als besonders stramme Befürworter von immer noch mehr Druck auf Arbeitslose zur Annahme nicht verfügbarer Arbeitsplätze hervor tun. Hier wird die Schere im Merz'schen und in ähnlich gelagerten Köpfen deutlich wie selten. Wie sich diese Haltung nämlich mit jenem Grundrecht eines Abgeordneten zur freien Berufswahl vertragen soll, welches die Kläger in ihrer Klage so demonstrativ vor sich her tragen, erscheint fraglich. Offenbar haben Arbeitslose oder Studienabbrecher in Augen solcher Menschen irgendwie anders geartete Grundrechte.


Schließlich erhält der ALGII-Bezieher ja Geld vom Staat - könnte Herr Merz vielleicht noch argumentieren, doch sind die Monat für Monat 10.500 € für den Abgeordneten denn kein Geld vom Staat? Für dieses Geld möchte Leistungsträger Merz anscheinend auch noch so wenig wie nur möglich leisten - ist doch er persönlich Haupt-Initiator speziell im Kampf gegen die Mittelpunktsregelung. Hat der Staat angesichts üppiger Vergütung und beachtlicher sonstiger Privilegien denn nicht das Recht oder genau genommen sogar die Pflicht, Ansprüche an jene Menschen zu stellen, die für all dies nur EINES zu leisten haben - nämlich nach bestem Wissen und Gewissen die Interessen des Volkes und der Gesellschaft zu vertreten? Irgendwelche Interessen einer Berufsgruppe, einer Gewerkschaft, einer Krankenkasse oder einer der vielen Arbeitgeberverbände - ja nicht einmal die von Parteien - haben hier überhaupt eine Rolle zu spielen.


Aber Leistungsträger Merz wird sicherlich auch bestreiten, dass angesichts weitgehend leistungsloser monatlicher Zahlungen von z.B. von ein paar Tausend zusätzlichen € ein Abgeordneter in Konflikt zwischen den Interessen von Volk und Gesellschaft und den zumeist diametral Entgegengesetzten seiner Sponsoren geraten könnte. Auch wenn die Lebenserfahrung seit Jahrtausenden eindeutig das Gegenteil lehrt, identifiziert die Propaganda von Leistungsträger Merz und Arbeitgebern solche Gedanken zuverlässig als schlimme Auswüchse von "Neiddebatten" und "Generalverdachten" und rufen sogleich lauthals nach dem Grundgesetz. Indes liegt angesichts der Gesetzgebungsakte der letzten Jahre eigentlich klar auf der Hand, wer hier Leistungen mit wem austauscht und auch ist klar, wer in diesem Austausch keinen Platz hat: das Volk nämlich. Kein Volk der Welt braucht selbst ernannte Leistungsträger solcher Art - hätten wir nicht so viele von solchen, würden in unseren Parlamenten vermutlich heute noch vernünftigere Gesetze gemacht.


Es mag gute Gründe geben, Abgeordneten keine völlige Freiheit von Nebentätigkeiten aufzuerlegen, könnte dies doch tatsächlich eine gesellschaftliche Gruppe von ihrer parlamentarischen Mitwirkung fernhalten. Wo aber sind denn all die Armen, Geringverdiener, Arbeitslosen und Kleinrentner (und Studienabbrecher) in den Parlamenten? Jene Menschen, denen man Recht und Lebensinteresse inzwischen bereits offen und unverhohlen mit Füßen tritt, eben weil niemand für sie mehr eintritt in unseren Parlamenten. Typen wie Merz schämen sich nicht, ihren Schwachsinn abzusondern, obwohl kaum mehr als die Hälfte der Menschen im Lande überhaupt noch zu Wahlen geht, obwohl jeder Zweite Politikern Selbstbedienung unterstellt und obwohl das Ansehen unserer Demokratie sich längst auf einem epochalen Tiefpunkt befindet.


Sehr wohl haben die Bürger und vor allem die Wähler ein Recht, genauestens zu erfahren, wer unter den gewählten Parlamentariern in welchem Ausmaß welchen Interessen dient. Nur Derartiges nämlich dürfte Sponsoren verlocken, auf Dauer ihre Portokassen anzuzapfen. Niemand möchte solchen Abgeordneten Vorschriften machen - aber es besteht ein unkropromittierbarer Anspruch der Gesellschaft genauestens zu erfahren, an wen da jeweils kollektive Macht verliehen wird oder verliehen werden soll. Wer sich dem nicht unterziehen möchte, dem steht es jederzeit frei, sich von Mandaten fern zu halten. Sich hingegen aber wie Merz, gar zu dem Postulat zu versteigen, hierzu seien Staat und Gesellschaft nicht legitimiert, offenbart bestenfalls ein erschreckendes Ausmaß an fundamentaler Ignoranz gegenüber sattsam bekannten Zusammenhängen in Demokratie und Gesellschaft.


Es gibt kein Naturgesetz, wonach nur Kommunisten willens und fähig seien, Staatsapparate zu unterwandern. Hier schuf man seinerzeit haarsträubende Gesetze (u.a. Berufsverbote), um unsere Demokratie gegen eine damals mehr befürchtete als real stattfindende Unterwanderung zu verteidigen. Dennoch erschien es den Meisten rechtens, weil nach unserem Grundgesetz jederzeit sicher zu stellen ist, dass alle Staatsgewalt vom Volke auszugehen hat - und nicht etwa von Grüppchen und Clübchen gleich welcher Prägung. Und folglich muss dies heute vor allem auch für Arbeitgeberverbände und dergleichen gelten, deren Forderungen längst den sozialen Frieden im Lande gefährden und inzwischen nicht selten auf erheblichem Kriegsfuß mit unserer Verfassung stehen.


Zusammenfassend wäre die exakte Offenlegung der Nebeneinkünfte unserer Parlamentarier, wie es dies in vielen anderen Ländern bereits gibt, ein überaus wichtiger und lange schon überfälliger Schritt. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass nur wenige Abgeordnete die Merz'sche Sicht der Dinge teilen - begrüßenswerterweise legen viele von ihnen bereits seit Längerem ihre sonstigen Einkünfte freiwillig offen. Letztlich - und das kann man nicht genug hervorheben - ist es aber der Wähler, der bestimmt wer wo für welches Mandat kandidiert und gewählt wird. Es ist höchste Zeit, dass sich die vielen Demokratieverweigerer im Land daran erinnern und wieder Gebrauch von ihrem bisschen demokratischer Macht bei Wahlen sowie in Parteien machen, um Merz'schem Winkeladvokatismus die verdiente rote Karte zu zeigen.

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