Frankfurt. Einige Zeit ist ins Land gegangen, seit noch zu Zeiten Kanzler Kohls mit der Privatisierung der deutschen Strom- und Wasserversorgung begonnen wurde. Den meisten bewusst oder unbewusst bekannt (z.B. Strom- oder Gasrechnung) sind die inzwischen eingetretenen und eigentlich schon damals vorhersehbaren Folgen dieses Schrittes. Wegen allzu offensichtlicher Preistreiberei denkt selbst der derzeitige Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) laut darüber nach, wie man die Macht des entstandenen Oligopols in wieder geordnete Bahnen lenken könnte. Hoch interessant in diesem Zusammenhang eine Aussage von Klaus Rauscher, dem Vorstandsvorsitzenden von Vattenfall (drittgrößter Stromkonzern Deutschlands) in einem Interview der Frankfurter Rundschau. Im Falle staatlicher Eingriffe werde eben anderswo investiert, lautet dessen wohl als Drohung gemeinte Antwort auf die zunehmenden Angriffe vieler Politiker und das laute Denken des Wirtschaftsministers. Wie selten wird an diesem Beispiel deutlich, welche Risiken eine Privatisierungspolitik vor allem bei staatlichen Aufgaben mit sich bringt. Staatliche Aufgaben wurden deswegen zu staatlichen Aufgaben, weil ihre private Bewirtschaftung wegen nötiger demokratischer Kontrolle und anderer hoher Rechtsgüter einfach nicht in private Hände gehört. Dies gälte selbst dann noch, wenn ein Privatunternehmen wirklich etwas dauerhaft "billiger" leisten könnte, wofür mir allerdings nicht ein langfristiges Beispiel bekannt ist.
Kurze Rückblende. Seite Mitte der 90er Jahren privatisierten öffentlichen Hände die Strom- und Wasserversorgung in Deutschland. Ausschlaggebend für diesen Veräußerungstrieb der Politik waren vor allem die Zielvorgaben der neoliberalen Euro-Bürokraten (die selbst nicht einmal demokratisch gewählt oder kontrolliert sind), die sich hierbei wiederum auf das internationale GATS-Abkommen berufen, dem wir demnächst wegen seiner enormen - und überwiegend verheerenden - Auswirkungen eine eigene Dokumentation widmen wollen. Hier geht es uns darum, an diesem Beispiel die Handlungs- und Wirkungskette etwas zu durchleuchten, nach der auch hierzulande leider viel zu lange schon Politik gemacht wird. Zunächst wollen wir die vollmundigen Versprechungen der Wirtschaft ins Gedächtnis zurück rufen - viel zu ineffizient seien die Körperschaften öffentlichen Rechts in der Erbringung ihrer Versorgungsleistungen, hieß es allerorten. "Private Wirtschaftsunternehmen können dies billiger und besser" tönte vor allem die FDP land auf und land ab. Unsere Politik wäre auch seinerzeit schon vor allzu großer Leichtgläubigkeit gefeit gewesen, hätte man nur einen Blick auf Regionen gewagt, in denen Privatisierungsorgien schon eine Weile zurück liegen - z.B. in das von einem maroden Energieversorgungsnetz geplagte Kalifornien. Doch solches übersah die Politik bei damals schon klammen Staatskassen gerne - vor allem in Anbetracht der außerordentlichen Einnahmen die aus den anstehenden Verkäufen winkten (allein der Bayrische Freistaat nahm in wenigen Jahren rund 5 Mrd Euro durch Verkäufe ein). In der Tat sanken anfangs die Versorgungspreise während der länger anhaltenden Verkaufsphase - was sogleich als schlagender Erfolgsbeweis der Privatisierung gefeiert wurde. Überhört wurden damals schon warnende Stimmen, die darauf hinwiesen, dass diese Preisrückgänge vor allem auf drastischen Einschnitte der nun privaten Stromunternehmen in die Investitionen zurück zu führen seien.
Die Entwicklung setzte sich fort, und seit einigen Jahren ist nun ein kontinuierlicher Anstieg der Versorgungspreise zu verzeichnen. Allerdings hatte die Politik versucht, sich über Verkaufsauflagen und Regulierungsbehörde zumindest einen Resteinfluss auf diese wichtigen Versorgungsgüter zu erhalten. In diesem Lichte auch sind die Worte von Rauscher zu sehen - und legen von ihm vermutlich ungewollt die verheerenden Fehlkalkulationen der Politik offen.
Allein dieser Teil der Privatisierung hat tausende ordentlicher Arbeitsplätze in Deutschland gekostet. Die gepriesene preisdämpfende und leistungsfördernde Wirkung des Marktes blieb auf lange Sicht aus - vielmehr sprechen sich die wenigen Großanbieter hinter den Kulissen ab und versuchen soviel aus den "Märkten" heraus zu pressen wie nur geht. Hierbei legen sie - wie am Beispiel Erdgas (hier beruft man sich achselzuckend auf internationale Verträge) ersichtlich - beträchtliche Kreativität an den Tag und bescheren sich und den Eigentümern traumhafte Renditen. Investitionen spielen eine Nebenrolle, sind eher lästig und taugen wenn, dann bestenfalls als Druckmittel auf die Politik. Der harte Winter zu Jahresanfang legte offen, in welchem Ausmaß Wartung und Instandhaltung des eigentlich lebenswichtigen Leitungsnetzes inzwischen schon vernachlässigt wurde. Erstmals seit Jahrzehnten waren ganze Landstriche in Deutschland für längere Zeit ohne Versorgung. Das ist die schöne neue Welt, die wir von neoliberalen Versprechungen zu erwarten haben: horrende Vorstandsgehälter, Bestechung und Begünstigung der Politik, Arbeitsplatzabbau und Vernachlässigung der eigentlichen Unternehmensaufgaben - alles im Dienste des Shareholder-Values.
Dabei sind die Gegebenheiten relativ leicht durchschaubar. Die privatwirtschaftliche Organisation von Grundversorgungsleistungen muss einer staatlichen immer unterlegen sein. Dies bestimmen allein schon wirtschaftliche Aspekte - schließlich müssen private Unternehmen die Gewinnerwartungen ihrer Anteilseigner erfüllen, mindestens die Gewinne also sind im Vergleich zu staatlicher Leistung zusätzlich zu erwirtschaften. Doch im Bereich der Versorgung ist es noch schlimmer - Menschen sind auf diese Leistungen angewiesen, ja abhängig davon. Hierdurch wächst dem Anbieter Macht zu - eine Macht die im Falle einer Privatisierung keiner demokratischen Kontrolle mehr unterliegt. Genau dies macht derartige Aufgaben für die Unsummen vagabundierenden Kapitals so interessant - denn sie bedeuten vor allem Eines: Garantierten Absatz. Zudem ist die zur Versorgung gehörende Infrastruktur bei staatlichem Management meist in gutem Zustand - genügend Raum also, um für einige Zeit durch Einsparung bei deren Erhaltung saftige Renditezusätze einzufahren - besonders wenn man dann noch das Personal auf mindestmögliche herunter fährt. All dies erfolgt ohne Berücksichtigung von Versorgungsqualität und -sicherheit, denn hier haben Privatunternehmen, bei garantiertem Absatz ganz besonders, keinen Auftrag. Ihr Auftrag lautet allein: Gewinnmaximierung.
Wenn denn einestages wieder größere Investitionen unumgänglich sein sollten, dann werden sie eben auf die Preise auf geschlagen. In vernetzten Branchen wie der Stromversorgung wird dies alle Anbieter mehr oder weniger gleich treffen - der Absatz bleibt aber ja so oder so garantiert - und dem Kunden bleibt nichts als zu blechen.
Nur oberflächlich neu ist die Tonart des Herrn Rauscher - seit geraumer Zeit schon üben Stromversorger großen Druck auf die Politik aus. Im Zentrum steht das nächste große Geschäft: der Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Kernenergie. Diesem - auf Basis der bisherigen Technologie wohl überwiegend vernünftigen politischen Schritt - möchte man seitens der Versorgungsunternehmen gerne entgegen wirken, bzw. ihn ganz aushebeln. Gelingt dies, so lassen sich die teilweise überalterten Atomkraftwerke ohne nennenswerte Investitionen auf Jahre hinaus weiter nutzen - ein Megageschäft für alle Beteiligten. Die Risiken hingegen werden, wie immer, der Bevölkerung aufgebrummt. Die entsprechende Propaganda-Welle rollt längst - kaum noch eine Erörterung der Klimakatastrophe hierzulande ohne den Hinweis darauf, wie umweltschonend diese Technologie doch sei. Dass dies nur eine Seite der Medaille ist, wird dabei regelmäßig verschwiegen. Von der weiterhin ungelösten Endlagerungsfrage bis hin zu Störfall-Vertuschungen bei den ohne jeden Zweifel nicht jünger werdenden AKW keine Rede - auch nicht von den zwingend steigenden Risiken einer Inbetriebhaltung altersschwacher Atomkraftwerke.
Die bei der Privatisierung der Strom- und Wasserversorgung feststellbare Entwicklung wird sich der Struktur nach bei allen sonstigen Privatisierungen staatlicher Aufgaben wiederholen. Dies schließt auch die Milliardengeschäfte Gesundheits- und Altersversorgung ein. Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen - Private Krankenversicherungen behaupten, sie arbeiteten wirtschaftlicher - dabei profitieren sie in Wahrheit von der nur ihnen möglichen positiven Risiko-Selektion. Bei der Alterssicherung nicht anders - mussten doch kürzlich Lebensversicherer höchstrichterlich aufgefordert werden, ihre Vertragsbestimmungen fairer zu gestalten, da die Selbstbedienung der Konzerne am Kunden im Falle von Vertragsauflösungen oder -umgestaltungen in eine Art Diebstahl aus zu ufern droht.
All dies sollte der Wähler heute im Hinterkopf behalten, wenn er den Versprechungen der FDP, anderer Politiker oder auch denen manches wild gewordenen Professors lauscht. Die Entscheidung über "Gut" und "Nicht gut" fällt dann gar nicht mehr so schwer. Privatisierung macht nur dort Sinn, wo es um Aufgaben geht, die sich für eine private Bewirtschaftung auch wirklich eignen. Viele, die heute Privatisierung noch feiern, sollten sich klar machen - Privatisierung bedeutet auch immer, dass deren Gegenstand auf Dauer demokratischer Kontrolle entzogen und der ohnehin schon übermächtigen Kapitalseite zugeschlagen werden soll. Dies mag z.B.für eine Beteiligung eines Bundeslandes an einem Auto-Hersteller noch hinnehmbar sein - für Leistungen der Grundversorgung indes ist derartiges völlig inakzeptabel.
Alles in allem könnte sich
schon bald erweisen, dass der Herr Rauscher vielleicht ein wenig
vorschnell den Mund so voll genommen hat - für allzu derbes
Umspringen mit dem Gemeinwohl nämlich hält unser
Grundgesetz die Artikel 14 und 15 bereit, die besonders in einem
solchen Bereich das Problem - entsprechenden politischen Willen und
Konstellation vorausgesetzt - recht nachhaltig aus der Welt schaffen
können. Spätestens dann würde vielleicht auch Herrn
Rauscher aufgehen, dass nicht Wirtschaftsverbände sondern das
Volk nach Recht und Gesetz der Souverän des Landes ist und sich
nicht nur die Politik sinnvollerweise aus der Wirtschaft weitgehend
heraushält, sondern auch die Wirtschaft schon wegen einfacher
Macht- und Legitimitäts-Überlegungen nicht wirklich etwas
in der Politik zu suchen hat.
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