In einem Essay
auf Spiegel-Online doziert Hans-Peter Bartels (SPD) über die
Politikverdrossenheit im Lande. Auch wenn wir wenig Übereinstimmung
in der Analyse der unstrittig traurigen Verhältnisse in Punkto
Politikverdrossenheit hierzulande ausmachen können, so gelangen
wir immerhin zu einer gleichen Konsequenz: Deutschland mangelt es
empfindlich an politischer Bildung seiner Staatsbürger. Es ist
dringend notwendig, dass politische - und bei CogitoSum wollen wir
ergänzen gesellschaftliche - Grundbildung wieder zu einem festen
Bestandteil aller Bildungssysteme von Hauptschule bis Universität
wird.
Zurecht sieht Bartels auf längere
Sicht die Demokratie in Gefahr, wenn man dies weiter so sträflich
vernachlässigt wie die letzten Jahre. Demokratie und ihre
Spielregeln vermitteln sich eben nicht über Gene oder
Muttermilch. Und auch was so mancher Jugendlicher in Punkto Politik
und Gesellschaft von daheim so mitbekommt, muss nicht
notwendigerweise als hilfreich gelten.
Bei allem Respekt für die
Freiheit des Individuums DARF eine Gesellschaft sich nicht darauf
verlassen, dass all ihre Jugendlichen aus Eigenantrieb sich
hinreichendes Grundlagenwissen über unser Gemeinwesen aneignen.
Das wäre in etwa so, als verzichtete man künftig darauf,
Kindern das Lesen beizubringen mit dem Argument, "... die werden
schon merken, dass das wichtig ist und es sich folglich selbst
aneignen ...".
So gar nicht zuzustimmen ist
Herrn Bartels in seiner Analyse über die konkreten Ursachen der
Politikverdrossenheit. Er sieht - ähnlich verbohrt wie
Ex-Kanzler Schröder bei seiner Agenda - die Ursachen für
Ablehnung vor allem in einer Ahnungslosigkeit der Verdrossenen. Dabei
negiert er den Umstand, dass sich gerade unter politischen Renegaten
ein nicht kleiner Anteil politisch durchaus gut gebildeter Menschen
befindet, die gerade wegen ihrer Kenntnis verdrossen sind. Zudem
braucht es praktisch NULL politische Bildung zu der Erkenntnis, dass
unser politisches System als Ganzes in einer tiefen Krise steckt.
Dass Bundestagsabgeordnete gegen
die Offenlegungspflicht ihrer Nebeneinkünfte klagen, dass ein
Friedrich Merz gar die Wahrnehmung des Abgeordnetenmandats als
Nebenjob durch drücken will, dass sich die politischen Eliten
von der Bevölkerung weg privilegiert haben, vermag man auch ohne
näheres Verständnis komplexer demokratischer Zusammenhänge
einzuordnen. Der allgegenwärtige Kotau der etablierten Politik
vor Prinzipien der Inszenierung und der manipulativen Propaganda
dürfte inzwischen nicht geringe Teile der Bevölkerung
anwidern.
Denn es geht hier nicht um völlig
überflüssige Belanglosigkeiten wie "Deutschland sucht
den Superstar" und den nachfolgenden Applaus - in der Politik
geht es sehr konkret um langfristige Lebensinteressen der Bevölkerung
und eine legitimierte Ausübung gesellschaftlich verliehener
Macht. Politiker sind somit nicht die Herren, sondern die Diener der
sie tragenden Gesellschaft. Und zu dieser Gesellschaft zählen
alle und nicht nur die Reichen und Schönen. Doch die Verletzung
dieses Prinzips ist immer deutlicher mit Händen zu greifen.
Politiker stehen natürlich
zwangsläufig immer in ständigem Konflikt mit sonstiger
gesellschaftlicher Macht - jedoch schien der Interessenausgleich
einst wenigstens noch an Gegenleistungen orientiert, die sowohl dem
Gemeinwohl wie dem Image der Politik nutzten. Über eine lange
Zeit fuhren alle und die Republik scheinbar ganz ordentlich damit -
wenn auch immer schon in eine nicht unbedingt richtige Richtung.
Doch diese Zeiten sind vorbei -
inzwischen vertritt die von jeher undemokratische Wirtschaft ebenso
radikal wie offen nur noch ihre ureigensten, unlegitimierten
Interessen. Vor allem die Arbeitslosigkeit manövrierte die
Wirtschaft in eine favorable Machtposition gegenüber der Politik
- und längst ist die gegenwärtige politische Struktur des
Landes derart von ihr unterwandert, dass man heute schon fast von
einer Wirtschaftsdiktatur sprechen kann.
Neben der Wirtschaft nehmen noch
einige andere durchweg finanzkräftige Interessen an dem Spiel
teil - allein dem verfassungsgemäßen Souverän des
Landes, dem Volk nämlich, scheint der Einfluss auf das gänzlich
abhanden zu kommen, was die Politik mit der von ihm verliehenen Macht
anstellt.
Hier kommen wir der Wahrheit über
die Politikverdrossenheit im Lande doch sehr viel näher. Und je
mehr Politiker wahrheitswidrig von Sachzwängen und
Alternativlosigkeit fabulieren, umso mehr werden sie diese
verstärken. Längst wurden vernunft- und sinnwidrige
Maßnahmen und Gesetze, zumeist hinter Lügengebirgen
manipulativer Kommunikationsstrategie verborgen, immer mehr zur Regel
als zur Ausnahme.
Doch es wird munter weiter
lamentiert und getäuscht - eklatantes Beispiel: in Reaktion auf
den Amoklauf in Emsdetten kann man auf der Mattscheibe Politiker
bewundern, die allen Ernstes suggerieren, ein Verbot sogenannter
"Killerspiele" wäre da auch nur zu irgend etwas
Brauchbarem Nutze. Erstens sind viele der grässlichsten Spiele
längst verboten und zweitens dürften Spiele, welcher Art
auch immer, um Längen weniger Einfluss auf die Verzweiflung
desorientierter Menschen haben als der längst schon offene
zutage tretende Verfall der Gesellschaft hierzulande.
Doch die offiziell zu Schau
gestellten Thesen der Politik ignorieren Derartiges wacker weiter -
und nehmen mindestens fahrlässig in Kauf, dass dieses Land mit
fortgesetzt unvernünftiger Politik immer weiter in Richtung
Absurdistan vorankommt. Die Verkennung der Realität geht gar so
weit, dass man inzwischen schon lieber mal das Institut Demokratie
zerredet als sich mit der Tatsache anzufreunden, dass die heutigen
Verwerfungen vor allem auch Folgen fehlorientierter Politik sind.
Schon die Hartgesetze und die Agenda wurden nicht wegen Unkenntnis
abgelehnt, sondern weil sie schlicht immer genau das waren, was sie
noch heute sind: falsche Politik.
Es gibt nur wenig, was hier
symptomatischer ist, als der SPD-Katechismus zur Hartz-Reform: man
habe die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger aus der
Isolation geholt, pflegen sich offenbar von Gewissensbissen geplagte
SPD'ler seit Jahren zu beruhigen. Tatsache indes ist - man hat hier
nicht Menschen aus der Isolation heraus geholt, sondern noch ein paar
Millionen zusätzlich dorthin geschoben. "Hartz macht Armut
sichtbar" lautet so eine andere Baldrianthese - Tatsache indes
ist, dass seit der Agenda die Arbeitslosenstatistik im Lande ganz
offen noch mehr geschönt wird als je zuvor. Längst sind
dies Fakten und keine Meinungsfragen mehr. Überhaupt scheint in
allen Parteien der Trend zu einer Politik des geringsten Widerstandes
längst dominant geworden.
Arbeitslose, Arme und Rentner
waren im politischen Alltag seit jeher nie besondere Machtfaktoren -
auch wenn sie zusammen annähernd die Hälfte des Volkes
ausmachen, war und ist leider immer noch wenig Widerstand von dort zu
erwarten. So wird politische Stärke denn auch vor allem hier
demonstriert - Armen-Mobbing scheint zum Trendsport unter den
Parteien geworden. Lediglich zu Wahlterminen muss man ihnen kurz mal
ein paar der üblichen Märchen auftischen und ansonsten kann
man sich dann gleich wieder mit den Mächtigen ins Bett legen.
Das nennt man dann - wahrheitswidrig - Konsenspolitik. Offen bleibt
indes die Frage - wie weit kann - wie weit darf - Konsens mit einer
zutiefst undemokratischen und neuerdings bisweilen kriminellen
Wirtschaft eigentlich überhaupt gehen?
Doch muss die Braut für
Politiker offenbar derart hübsch sein, dass sie darüber
völlig verpennt haben, wie sehr sich die immer mehr entgleisende
Wirtschaft von demokratischem und gesellschaftlichem Konsens aller
Art längst verabschiedet hat. Das "Demokratie-Modell"
USA scheint über Deutschland einzuschweben und zur Landung
anzusetzen - etwa die Hälfte der Bevölkerung beteiligt sich
noch an den Abstimmungen über die Show-Performance zweier großer
Parteien. Alles andere bleibt mehr oder weniger dem freien Spiel der
immer ungleicher verteilten Kräfte überlassen.
Dabei wäre der eigentliche
Auftrag an die heutige Politik schon seit einiger Zeit, ein
legitimiertes Machtgleichgewicht innerhalb der Gesellschaft überhaupt
erst einmal wieder herzustellen. Hierzu mag es viele Wege geben -
aber einen ganz gewiss nicht: dieses Ziel wird Hand in Hand mit den
durch die Fehlentwicklung übermächtig Gewordenen niemals zu
erreichen sein. Fatal wirkt sich derzeit vor allem der Einfluss der
käuflichen Medien aus - hier nämlich ergänzen sich die
Selbstsuggestion vorhandener Restmacht in der Politik mit exzellent
ausgearbeiteten Strategien der Mächtigen im Streben nach noch
mehr Macht zu einem verhängnisvollen Mix, der demokratische
Prinzipien längst auf breiter Front unter zu mangeln droht.
Vor allem arbeitet man in der
weiteren Aufrechterhaltung des eigentlich nicht mehr
Aufrechterhaltbaren nahtlos zusammen. Die anerzogene Sichtweise des
deutschen Wohlstandsbürgers auf Politik lautet nämlich:
"Was springt für mich dabei in Euro und Cent heraus?".
So funktionierte es jahrzehntelang recht ordentlich im Land. Doch
was wir nach dem langen Regime dieses Prinzips inzwischen vorfinden,
ist nicht weniger, als eine eindrucksvolle Widerlegung des
wirtschaftsliberalen Vordenkers Adam Smith mit seiner These von
der universellen Selbstregelungskraft der unsichtbaren Hand in
Bezug auf das Gemeinwohl.
So bedrückend die Situation
so hoffnungslos ein Blick in unsere derzeitige Parteienlandschaft.
Keine der etablierten Parteien lässt bislang auch nur den Hauch
eines Ansatzes zu ehrlich gemeinter Umkehr erkennen. "Immer
weiter so" scheint über jedem Parteitag zu prangen und
ansonsten doktert man gerne höchst entschlossen an irgendwelchen
Belanglosigkeiten herum - kaum ein Politiker oder gar eine Partei
indes wagt es, konsequent Hand an die verkrusteten und deformierten
Strukturen im Land zu legen.
Vielleicht sollten Politiker sich
mal wieder häufiger daran erinnern, dass sie ihre Legitimation
ALLEIN vom Volk beziehen und daher auch dessen Interessen und nichts
sonst wahr zu nehmen haben. Nur hierfür erhalten sie ihre Macht
und ihre gewiss nicht geringen Privilegien - Sponsoren und
Seilschaften haben hier nicht die allergeringste Rolle zu spielen.
Wer die Demokratie erhalten und fördern will, kann mit einem
undemokratischen Konstrukt wie dem Wirtschaftssystem in seiner
heutigen Form keinen dauerhaften Konsens finden - und dies umso
weniger, je mehr dieses System immer offensichtlicher nach immer noch
weiterem Ausbau seiner unlegitimierten Macht strebt.
Derartiges jedoch bewegt die
Politik bis heute bestenfalls hinter vorgehaltener Hand - hin und
wieder flackern zwar seit Neuerem kurzzeitig Impulse auf, die jedoch
sofort im Meinungsgewitter der käuflichen Medienwelt
niedergemangelt oder zerredet werden. Zutreffenderweise identifiziert
so auch Bartels unter Berufung auf den Parteikollegen Wolfgang
Thierse (SPD) die Medien als ein Kernbestandteil des Problems. Denn -
wenn Politik hier je irgendetwas zum Besseren wenden soll, so wird
sie nicht umhin kommen, dies nicht nur gegen die Interessen von
Wirtschaft und Verbänden, sondern auch gegen den von jenen in
ihren "gekauften" Medien entfachten Theaterdonner zu tun.
Schwierig wird es so oder so
allemal - und auch viele "Bürger" werden sich von der
alten "Konsenspolitik" mit ihren inzwischen immer länger
zurückliegenden schönen Tagen nur ungern verabschieden
wollen, bei der die Vermittlung hinreichenden Wissens um
Zusammenhänge in Politik und gesellschaftlicher Machtverteilung
stets systematisch vernachlässigt wurde. Doch mit ziemlicher
Sicherheit sind es wohl genau diese bequemen Zeiten für Wähler
und Politik gleichermaßen, deren Verabschiedung bevor steht.
Gültig bleibt allein das offene Geheimnis, dass eine Demokratie
immer nur so gut sein kann wie der Kenntnisstand ihrer Menschen über
deren wahre Notwendigkeiten und Zusammenhänge.
Leider steuert das Essay des
Herrn Bartels hier praktische nicht allzu viel Substanz bei. Dass
Politiker sich allgemein nicht gerne eine aufmüpfige Bevölkerung
heranziehen, kann man ja irgendwo auch verstehen - um so lieber
folgen wir hier seinem wohl ehrlich gemeinten Aufruf und werden uns
weiter einmischen...
CogitoSum - Beitragskritik:
Politik - Polit. System:
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