Immer
wieder Thema bei CogitoSum: das Gesundheitswesen. Aber nicht nur bei
uns - kaum scheint nach einer unendlich schweren Geburt das aktuelle
Reförmchen eher durch Ermüdung der Kontrahenten als durch
überzeugende Gesamtkonzeption voran zu kommen, da zieht am
Horizont schon der nächste Konfliktstoff auf. Die nach
Medienberichten
aufziehende neuerliche Diskussion wird offenbar durch die Erkenntnis
transportiert, dass die gegenwärtige Reform zwar einige - nach
unserer Ansicht eher marginale - Strukturreformen zwar anpackt, nicht
aber insgesamt mehr Geld in die öffentlichen Kassen spült.
Nach der langen ebenso erhitzten wie unsinnigen Diskussion um solche
Selbstverständlichkeiten wie den Ausgleich zwischen
wirtschaftlich unterschiedlich starken Bundesländern, scheint
den Reformern dieses Detail aus dem Fokus geraten...
Dabei
ist es beileibe kein Detail - man hat sich auf Steuermittel zur
Schließung sich auf tuender Finanzdefizite verständigt.
Dies könnte sich unversehends als eine schweren Hypothek für
den zur Zeit relativ erfolgreichen Konsolidierungskurs der
Staatsfinanzen herausstellen - denn trotz Leistungsverunstaltung,
trotz epochalem Anstieg der Eigenbeteiligung von Leistungsempfängern
und trotz historischer Tiefstände der Krankmeldungen: die Kosten
im Gesundheitswesen steigen unbeirrt weiter, woran der tobende
Bürokratiewahn dort sicher auch seinen Anteil hat.
Und
schon werden Rufe nach Steuererhöhungen laut, um wenigstens
einen Teil des Risikos abzufangen. Im Prinzip ist zwar richtig, die
in Deutschland insgesamt zu niedrigen Steuern anzuheben - doch
bleiben erhebliche Zweifel, ob denn hiermit das Problem gelöst
wird. Nur mehr Geld in ein unbestreitbar marodes und entgleistes
System zu pumpen löst die Probleme jedenfalls nicht wirklich,
sondern führt bestenfalls zur deren weiteren Verstetigung. Was
aber sonst tun? Handlungsspielraum besteht kaum noch und sämtliche
Stellschrauben sind ausgeleiert.
Inzwischen
sind Verhältnisse erreicht, wo es Kleinrentnern und
Langzeitarbeitslosen immer weniger möglich ist,
Gesundheitsleistungen überhaupt noch in Anspruch zu nehmen -
die teilweise saftigen Zuzahlungen übersteigen deren Budgets
längst und selbst wenn sie dem Gesetze nach Anspruch auf
Erstattung hätten, verfügen sie oft nicht über die
Mittel zur Zwischenfinanzierung. Am Leistungskatalog lässt sich
wohl auch nicht mehr viel drehen, will man die Bezeichnung
"Gesundheitswesen" nicht ad absurdum führen.
Guter
Rat scheint teuer - denn hier rächt sich nun über
Jahrzehnte angesammelte Vogelstrauß-Politik. Das gesamte System
mit seinen über 200 Krankenkassen, unzähligen Verbänden
und Profiteuren scheint immer unfinanzierbarer zu werden. Hier nun
eine noch stärkere Vermengung zwischen Beitrags- und
Steuerfinanzierung herbeizuführen wird diese Tatsache neuerlich
für einige Zeit unter den Teppich kehren, mag vielleicht die
nächste Wahl retten - das für Millionen Menschen im Lande
existenziell wichtige staatliche Gesundheitswesen indes wird weiter
der Verwahrlosung ausgeliefert.
Es
ist ein Trauerspiel historischen Ausmaßes, dass die derzeitige
große Koalition sich der Aufgabe einer grundlegenden
Struktur-Reform im Gesundheitswesen verweigert. Nur eine solch starke
Regierung nämlich wäre nämlich in der Lage, diese
Aufgabe überhaupt zu bewältigen. Es mag sein, dass die CDU
in der Regierungskoalition wirklich nachhaltige Schritte in diese
Richtung behindert - doch das enthebt die SPD nicht des Vorwurfs,
dass nicht wenigstens sie den Mut aufbrachte, endlich mal eine
vernunftgemäße Zielprojektion für das
Gesundheitswesen des nächsten Jahrhundert in die öffentliche
Debatte zu werfen.
Deren
Grundzüge sind logisch klar: Gesetzliche Versicherungspflicht
für alle, Straffung und Minimierung des Verwaltungsaufwandes,
Abschaffung der Selbstverwaltung - der grandioses Versagen zu
bescheinigen ist, Abschaffung der unsinnigen
Beitragsbemessungsgrenzen, Umstellung des Arbeitgeber-Anteils von der
Lohnabhängigkeit auf unternehmenserfolgsabhängige Erhebung.
Kontrollrecht für Versicherte über die für sie
abgerechneten Leistungen.
Alle
- aber auch ausnahmslos alle bisherigen Versuche endeten in der
Sackgasse - die Kosten steigen unablässig weiter während
sich die Basis für die - inzwischen als schwachsinnig
anzusehende - Finanzierung allein über Lohnzusatzkosten
beständig verringert - und in den nächsten Jahrzehnten
vorhersehbar weiter verringern wird. Es wird Zeit, dass Kopfgeburten
wie die eines Wettbewerb zwischen Krankenkassen und der aktuell kaum
noch erträgliche Bürokratiewust komplett in der Rundablage
landen.
Nicht
genug gewarnt werden kann indes vor einer Liebäugelei mit
privaten Lösungen. Unternehmen sind schon prinzipiell nicht in
der Lage, soziale Aufgaben in einer Weise zu lösen, die für
eine gerechte und solidarische Gesellschaft erträglich wäre.
Wie viel weniger erst werden sie diese Aufgabe in der Praxis leisten
können - der Rückzug auf solche Lösungen beinhaltet
nichts weiter, als die Abschaffung des Gesundheitssystems überhaupt.
DAS sollten die Herren und Damen von der Union und FDP eigentlich
gleich dabei sagen, wenn sie Forderungen in diese Richtung erheben.
Ein
solidarisches Gesundheitssystem aber braucht es - denn der Anteil der
Gesellschaft, der auf dieses angewiesen sein wird, wird nicht
geringer sondern steigen. Schon heute stehen wir an der Grenze dazu,
dass arme Menschen sich hierzulande keine ordentliche
Gesundheitsvorsorge mehr leisten können. Und dies trotz
gesetzlicher Versicherung - wie bitteschön soll dies erst
ausschauen, wenn man das alles privatisiert?
Die
Arithmetik privater Versicherungen nämlich ist für
gesellschaftliche Aufgaben schlicht unanwendbar - wie man sehr schön
am Problem der Privatversicherungen mit der Versorgung von Rentnern
erkennt. Zum Beweis: das gegenwärtige Reförmchen zwingt die
privaten Krankenkassen immerhin, ihre Raubzüge hinsichtlich der
Altersrückstellungen unter den Versicherten einzustellen - und
schon sind saftige Beitragserhöhungen im Gespräch. Private
können immer nur Reiche und Gesunde gut versorgen - damit allein
aber ist kein Staat zu machen.
Wenn
sich bezüglich der Gesundheitsproblematik nicht bald etwas
Entscheidendes in der großen Koalition tut, dürfte die
Politik hierzulande insgesamt ihre epochale Chance zur Rückgewinnung
einer zukunftsgestaltenden Initiative endgültig verspielt haben
- niemand der noch bei Vernunft ist, wird erwarten können, dass
diese Regierung in 2008 oder 2009 mit zahllosen Wahlen aller Art zu
etwas Vernünftigerem fähig sein könnte als derzeit.
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