Kaum
hat Bischoff Mixa mal wieder seinem Hobby gefrönt - nämlich
die Fortschritte von Humanismus und Aufklärung in Frage zu
stellen - legt hier
Kardinal Karl Lehmann, wenn auch spürbar diplomatischer, nach
und warnt angesichts der Pläne der Familienministerin vor
angeblich wachsendem Einfluss des Staates in der Kindererziehung.
Argumentiert wird auf Basis von "Heile-Welt"-Klischees, die
an der Lebensrealität der meisten in der sich beschleunigt in
arm und reich spaltenden Gesellschaft komplett vorbei gehen.
Schließlich tut gerade hierzulande ein System für
Kindererziehung und Bildung not, dass die gesellschaftliche
Integration aller Bevölkerungsgruppen wieder deutlicher in den
Vordergrund stellt. Hierzu hat der Staat als - im Gegensatz zur
Kirche - legitimierte Struktur ein Recht und angesichts der aktuellen
Integrationslage in Deutschland sogar die Pflicht.
Es
ist höchst bedauerlich, dass die Führung der katholischen
Kirche nicht zu anderen Wegen findet, als den Rückfall in das
ewig Gestrige. Wo die Kirche im Ausbau von Kinderbetreuung und
Vorschuljahr Gefahr für ihre Pfründe wittert, muss sie
selbst wissen - als Beobachter nehmen wir dies mal so hin und dürfen
mit einiger Berechtigung vermuten, dass eine homogener strukturierte
Gesellschaft in Augen dieser Herrschaften offenbar eine Gefahr
darstellt.
Unsere
Gesellschaft besteht nun mal nicht nur aus katholischen und
evangelischen Menschen - und folglich darf sie ihre Sichtweise nicht
nur auf die Aspekte deren Amtskirchen verengen. Traditionalisten aber
tun sich gemeinhin schwer mit der Abkehr von Traditionellem. In
diesem für ehemalige Weltherren schmerzlichen Erkenntnisprozess
befindet sich auch die katholische Kirche - so sehr sich auch
sträuben mag.
Was
ist denn das für eine Kirche, die in den vergangenen Jahren
hinsichtlich der vor allem auch durch ihr nahestehenden Parteien
verursachte sozialen Verwerfungen den Mund als Sprachrohr der gewiss
nicht wenigen Armen und Ohnmächtigen nicht auf bekommt?
Erhebungen und Untersuchungen zur Entwicklung der sozialen
Integration in Deutschland belegen eindeutig massive Defizite - die
sich bis in das Schulsystem fortpflanzen und es in seinen Leistungen
inzwischen massiv behindern.
Dies
ist nicht Zufall sondern die Auswirkung genau jener
Gedankenlosigkeit, mit der Kirchenvertreter auf der Beibehaltung der
diffusen Prägung junger Menschen in unserer Gesellschaft
beharren. Verkannt wird bei diesem Ringen um den eigenen Einfluss,
dass dieselben Protagonisten völlig anders argumentieren würden,
ging es um die Frage inwieweit man der islamischen Familie
hierzulande die Prägung ihrer Nachkommenschaft - dann natürlich
im Interesse des Islam - zu übertragen bereit ist.
Vergleichbares gilt für die vielen andere Religionen und nicht
zuletzt auch für jene Menschen, die ein Leben ohne Religion
bevorzugen.
Die
moderne Gesellschaft ist darauf angewiesen, ihre legitimierten
Grundlagen Angehörigen aller Glaubensrichtungen zu vermitteln
und für alle gerechte Perspektiven und Teilhabe zu schaffen.
Hier könnte die Kirche gerade heute eine höchst positive
Rolle spielen, wenn sie sich denn zu jenem Grundsatz durchringen
könnte, der ihr eigentlich vom ihrem Religionsgründer
aufgegeben ist: Selbstlosigkeit im Dienst für die Menschen.
Unzweifelhaft
dient es den Menschen, wenn eine Gesellschaft zu besserer Integration
findet und es erhöht ihr kollektives Leistungspotential - etwas
worauf das ressourcenarme Deutschland an der Schwelle zum
Informationszeitalter und angesichts globaler Herausforderungen mehr
als manch anderes Land angewiesen ist. In derart für die Zukunft
der Gesellschaft entscheidenden Fragen treten jegliche Aspekte des
Macht- und Pfrunderhalt für hergebrachte Strukturen in den
Hintergrund. Der Überlebensplatz der Kirchen ist nicht auf jener
Seite, die den Weg in die Zukunft verstellt, sondern er wäre
eigentlich an der Spitze des Fortschritts, womit sie sich die Chance
erschlösse, ihre zentralen Werte auch weit in die Zukunft hinein
zu überliefern.
Zu
Recht beklagt die Kirche hin und wieder ja selbst die Auswüchse
kapitalistischer Lebensentwertung - denn auch diese bedroht ihren
Einfluss letztlich keineswegs weniger als der ohnehin theophobe
Sozialismus. Gerade hier aber liegt auch die große Chance der
Kirchen im Heute - nämlich sich zusammen mit den Menschen der
Gesellschaft massiv an der Erneuerung des Nachweises zu beteiligen,
dass eine gerechtere und bessere Gesellschaft nicht automatisch auch
eine sein muss, die auf sozialistischer Theorie beruht. Dieser
Nachweis lässt sich aber nicht an der Seite jener etablierten
Machtstrukturen führen, denen Religion und auch viele andere
Werte in Wahrheit völlig wurscht sind und die sozialistisches
Gedankengut ausschließlich nur deswegen ablehnen, weil es ihre
inzwischen aufgebauten Privilegien gefährdet.
Die
Aufgabe war und bleibt - der dritte Weg. Ein Weg, der jenseits der
Demarkationlinien von Kapitalismus und Kommunismus verläuft, die
beide - nur auf jeweils unterschiedlichen Wegen - zu Unterdrückung
und Ausbeutung von Menschen führen. In diesen Zeiten steht die
Kirche damit wie schon oft vor einer Wahl - die Wahl nämlich,
ihr "Überleben" wie stets in der Vergangenheit an der
Seite der Macht oder eben an der Seite der Menschen zu suchen.
Dafür,
dass man in der Vergangenheit stets die Nähe zur Macht wählte,
könnte man entschuldigend ins Feld führen, dass es zu
keiner der vergangenen Epochen demokratische und legitimierte
Gesellschaften gab, für die Kirchen sich seinerzeit hätten
entscheiden können. Dies ist heute grundlegend anders - und das
erweitert die Dimension der heute anstehenden Entscheidung seitens
der Kirche enorm. Hierbei gerät sie zudem unvermittelt in
Turbolenzen mit ihren eigenen - aus Jahrhunderten an der Seite der
Macht - entstandenen Strukturen, denen jene der verfassten
demokratischen Gesellschaft längst weit davon geeilt sind.
Und
es sind diese Strukturen, die der Kirche den Blick darauf verstellen,
dass ihr Platz diesmal an der Seite der Menschen ist. Denn auch eine
Gesellschaft, die zur Verbesserung ihrer Funktion via Staat mehr
Einfluss auf die Erziehung von Kindern nimmt, bedroht nicht
automatisch die Kernwerte christlichen Glaubens - im Gegenteil: sie
schafft und erhält die legitimierte Basis für die freie
Entscheidung von Menschen, sich der christlichen und nicht einer
anderen Weltanschauung anzuschließen.
Freiheit
aber bedeutet natürlich auch Wettbewerb - nicht zuletzt auch
Wettbewerb mit anderen Religionen, Wettbewerb mit gnostischen
oder rein materialistischen Lebensformen. Und genau davor hat man anscheinend Angst in den
Kirchen. Wie armselig aber müsste eine Religion in Wahrheit
eigentlich sein - wenn sie nur an der Seite der Macht überlebensfähig
wäre?
Zu
allen Zeiten argumentieren Herrscher gerne zugunsten ihres
Machterhalts, nach ihnen würde das Chaos folgen. Doch was der
Emanzipation der Gesellschaften von Feudalherrschaft folgte, war eine
Epoche des größten Fortschritts und Breitenwohlstands, den
die Menschheit je gesehen hat. Neues wird Altes immer in irgendeiner
Form bedrohen - doch das Entstehen von Neuem lässt sich nicht
aus der Welt schaffen (auch wenn es die katholische Kirche einst für
lange Zeit massiv versuchte...)
So
wurde die christliche Kirche schon kurz nach ihrer Entstehung nicht
Spitze, sondern Hinterhereilender der Entwicklung. Wäre es da
nicht einmal an der Zeit, die Tradition seiner Werte auch mal in der
aktiven Mitwirkung bei der Gestaltung von Neuem, statt in Bewahrung
von Gestrigem zu suchen? Wer, wenn nicht die christliche Kirche, wäre
berufen, mal etwas mehr Mut für Zuversicht aufzubringen - und
sich endlich wieder daran zu erinnern, dass sie selbst einmal Jenes
war, was vor Zeiten aus Neuem hervorgegangen ist.
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