Rund
drei Monate ist es her, als wir in unserem Beitrag "Quo
vadis - Europa" mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn auf
die Entwicklung der Prozesse rund um den europäischen
Verfassungsvertrag blicken mussten. Inzwischen kann man behaupten,
dass man einen guten Schritt vorankam - wenngleich auch in die
falsche Richtung. Etwas anderes war und ist von Merkel ja auch nicht
zu erwarten. Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen sich am
kommenden Sonntag in Berlin feierlich darauf verpflichten, die Union
bis 2009 auf eine "erneuerte gemeinsame Grundlage" zu
stellen. Da die Aktivitäten zur Umgestaltung des Entwurfes des
"Vertrag für eine Verfassung für Europa" sich in
Grenzen halten, darf gemutmaßt werden, dass damit das "alte"
und leider relativ untaugliche Machwerk gemeint ist. Die heute schon
Mächtigen halten sich indes anscheinend für bereits so
mächtig, dass sie es nicht mehr nötig haben, die Botschaft
aus Frankreich und den Niederlanden verstehen zu müssen. In
diesem unterirdischen Artikel
hat Aspen-Institute-Kurator Josef Joffe denn auch schon mal seine
Maske ein wenig gelupft...
Er
scheibt dort: "...Europa strotzt vor Vitalität, obwohl
(oder gerade weil) die Bürger in der Union wenig mitreden. ..."
Sicher - Vitalität bekommen Machtstrukturen immer nur dann, wenn
die Bürger wenig mitreden; insofern ist ihm vollumfänglich
zuzustimmen. Das kann man deswegen so unbekümmert tun, weil
genau dies Kondensat vieler Jahrhunderte Geschichte vor der
französischen Revolution ist: das Volk hat die Schnautze zu
halten und alles wichtige bitteschön jenen Leuten zu überlassen,
die sich damit auskennen - sich ansonsten aber dafür
abzurackern, dass es diesen gut geht. Insofern lohnt es sich aus Sicht der überwiegenden Masse der Menschen in der EU heute, stets und immer nachzufragen, warum etwas "funktioniert" - da würde so manchen nämlich das Entsetzen packen.
Das
Einzige womit sich die Mehrzahl der heute aus allen möglichen
Löchern und Ecken kriechenden Freunde des ewig Gestrigen
wirklich auskennen, ist indes, wie sie aus derlei Verwerfungen für
sich und ihr Umfeld Kapital schlagen können. Schaden an
Gesellschaft oder willkürlich ausgegrenzten Gruppen
interessieren niemanden dieser Schmeißfliegen. Hierzulande
dürfte es nur wenige Zeiten gegeben haben, während derer
Machenschaften, Korruption und Günstlingswirtschaft unser Land
so sehr gelähmt haben wie heute.
Josef
Joffe feiert in seinem Artikel nicht nur eine Vitalität, die es
nicht gibt - er legt auch sein unzureichendes Demokratieverständnis
dar und offenbart zudem auch noch seinen völligen
Realitätverlust. Die Mehrzahl armer Menschen in Deutschland und
in der EU spüren längst schon, wohin die Reise geht. Von
wegen Erfolgsgeschichte! Zur Zeit wird all das, was an Europa einmal
Hoffnung und Zukunftperspektive für die Masse der Menschen
ausmachte, bis auf die Grundmauern heruntergeschliffen, wie einst der
Hohentwiel von Napoleons Truppen.
Man
könnte meinen, es ist ja nur ein Schreiberling, der sich da ein
wenig vergalloppiert - doch weit gefehlt. Immer deutlicher zeichnet
sich ab, dass uns ein verdammt finsteres Zeitalter bevorsteht, wenn
diese Prozesse sich so fortsetzten. Heute laufen Napoleons Soldaten
nicht mehr in grellbunten Uniformen mit hübschen Federbüschchen
auf dem hohen Hut herum. Sie sitzen in Redaktionen, Sendestudios,
Partei- Verband- und Wirtschaftszentralen und reißen Stück
für Stück die Kontrolle über alle Macht an sich - und
der EU-Verfassungsvertrag soll es nun vollenden, die Demokratie an
sich zu aus den Angeln zu heben.
Längst
ist es an der Tagesordnung, Karrierewege als Repräsentant
eigentlich gesellschaftlicher Interessen mit jenen in der
undemokratischen Wirtschaft unzulässig miteinander zu vermengen
- Empfänger kollektiver Macht nutzen diese vor allem, um auf den
Sprossen mal dieser mal jener Karriereleiter ja immer noch ein
Stückchen höher zu steigen - auf das die Luxus-Treterchen
trocken bleiben, während die von allen Seiten hereinbrechende
Sturzflut sozialer Katastrophen die unteren Gassen ins offene Elend
spült.
Parteien
sind nicht mehr der Ort des Wettbewerb um klügere und bessere
Politik, sondern nur mehr noch Verschiebebahnhöfe persönlicher
Karrierezüge. Wer da noch einen Platz ergattern will, darf nicht
wirklich so genau hinsehen, von welcher Lokomotive der gerade
abgehende Zug gezogen wird. Vernunft und Solidarität stehen
derweil als leere und demolierte Waggons ganz ohne Lokomotive auf dem
Abstellgleis - zertrampelt von jenen, die hofften von hier aus
woanders noch aufspringen zu können.
Ich
kann verstehen, dass Menschen mitunter Vorbehalte gegen manches
entwickeln, was hier und in anderen unabhängigen
Internetplattformen zu lesen ist. Es ist eben so viel anders als das,
was uns unsere längst mundtod "gekauften" Medien
unablässig verbreiten. Dennoch - spätestens bei Joffes
offener Häme über den Gedanken des Volkssouverän muss
jedem Menschen klar werden, dass es höchste Zeit wird,
Bundesliga und Prommiklatsch als achso "wichtiges" Thema
mal beiseite zu legen und sich eine Reihe sehr ernsthafter Gedanken
darüber zu machen, in welcher Welt er demnächst zu leben
und in welchem Zustand er sie an seine Kinder zu übergeben
gedenkt.
Ich
selbst möchte nicht, dass meine alte Mutter, meine Partnerin,
ich selbst und mein Kind bald in einer Welt leben, in der nur noch
die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Menschen und seiner Leistung
von Bedeutung ist. Und Pfaffen, die mir erzählen, wie ich zu
leben haben, will ich erst recht nicht. Auch will ich nicht meine
netten Nachbarn sehen müssen, wie sie um ihr Kind trauern, das
aus irgendwelchen aus von Niemandem wirklich gewollten Kriegen nicht
zurück gekehrt ist.
Europa
blickt auf eine lange Tradition zurück - man machte viele
Fehler, beschritt entsetzliche Irrwege, aber letztlich kam man auch
voran. Mithin sollte Europa sich, seinen Menschen und den anderen
Menschen auf der Welt Eines ersparen: all diese Fehler noch einmal zu
wiederholen! Joffes "leuchtende" Zukunft ist nicht das, was
einem Europa nach seinem Wahn blüht - eher kommt da schon jene
Zukunft in Frage, die uns eine sich verdeckt haltende Clique schon
einmal anhand eines verwirrten Braunen aus Braunau untergejubelt
hat...
Die
dummen Sprüche Joffes über den Wert von Demokratie heute
unterscheiden sich jedenfalls nicht mehr nennenswert von jenen
damaliger Zeit - und doch war es nie wirklich die Demokratie, die in
der Geschichte scheiterte - sondern immer nur jene, die dem Wahn
aufsassen, sie könnten alles und jedes besser als die
Demokratie.
Wacht
endlich auf - Ihr trägen und um Eurer lächerliches bischen
Wohlstand besorgten Bürger Deutschlands. Längst sind hier
Strukturen der allerfinstersten Sorte dabei, Euch - noch während
ihr verzweifelt versucht, Euer bischen Wohlstand fest zu halten -
voll den Boden unter den Füssen wegzureißen. Ja - lernt
endlich - Menschen sind nicht gut, sie sind auch nicht schlecht -
alles was es braucht, ist kluge Vorkehr gegen das weniger Gute im Menschen -
und das bedeutet, stetige und immer währende Beschränkung
und Kontrolle von Macht, egal wo und wie sie auftritt.
Unzulässige
Wirkung von Macht bedeutet, einmal zugelassen, immer nur eines: noch
mehr unzulässige Macht. Das ist eine historisch unabweisbare
Tatsache. Es gibt hier mehr zu verlieren, als nur billige
Handygespäche nach sonstwohin oder sonst irgendeinen belanglosen
Schnullikram - es geht ganz konkret um die Gestaltung der Welt von
morgen. Die Züge heute wären nur dann auf dem richtigen
Gleis und die richtigen Leute darin - wenn diese Zukunft
Wirtschaftsdiktatur heißen soll. Ansonsten wird es hohe Zeit
für eine Umstellung der Weichen...
Das
Ganze geht - anders als früher - offen vor sich, für jeden
erkennbar - der dies hinter all dem grotesken Müll, mit dem man
uns tagtäglich zukippt, noch zu sehen bereit und in der Lage
ist. Neu ist an Joffes Traktat lediglich, dass er bereits dazu über
geht, sich über dieses Trauerspiel auch noch lustig zu machen.
Was wenn nicht dies zeigt, wie sicher sich die Herrschaften im schon
rollenden Zug bereits fühlen - und all uns anderen sollte es
zeigen, dass der Zeiger der Weltenuhr so langsam auf fünf vor
Zwölf vorgerückt ist.
Nach
Joffes Worten ist die EU st ein freiheitliches, freundliches und
fürsorgliches Gebilde. Hierzu sollte er vielleicht mal jene
Menschen im Irak oder in Afghanistan befragen, oder auch einfache
Bauern und Arbeiter in armen Ländern oder Renter und Hartzling
hier in Deutschland, der neuen Sperrspitze des Neoliberalismus in
Europa - Herr Joffe würde staunen... Aber - wen wundert's -
Herr Joffe war ja auch begeisterter Befürworter des Irakkrieges,
seinerzeit für ihn vermutlich der Inbegriff der Freiheit,
Freundlichkeit und Fürsorge.
Heute
aber ruft hier Josef Joffe, mitten in Deutschland in der
Online-Präsenz jener Zeitung, bei der unser Ex-Bundeskanzler
Schmidt wie Joffe ebenfalls Mitherausgeber ist, stattdessen lieber
die "Postdemokratie" aus. Ein schier unglaublicher Akt.
Denn das, was er dort als »Geschäftsführer-« oder
»Postdemokratie« auslobt, ..Zitat: "...in
der die Bürger das Herrschen den Räten und Kommissionen
überlassen. Und zwar freiwillig..." ist so neu
nicht, wie Herr Joffe hier glauben machen will. Es ist vielmehr jener
uralte Hut, der Menschen jahrhundertelang nichts als Leid und Elend
beschert hat, während irgendwelche debilen und unfähigen
Eliten sich ein Leben in Saus und Braus auf dem Rücken jener
bescherten, die sie entrechteten und ausbeuteten. Hierzu im folgenden
Bild ein Text aus dem Jahre 1838:
Sie
kennen Karl Ernst Jarcke nicht, verehrte Leserinnen und Leser? Macht
nix - da haben sie auch nicht viel versäumt. Man könnte ihn
aber als so eine Art Vormodell zu den Joffes & Co. KG von heute
bezeichnen. Interessanter indes das Umfeld: Anfangs des 19.
Jahrhunderts setzte nach der französischen Revolution und der
Neuformierung der Gesellschaften ebenfalls ein Kulturkampf ein.
Jarckes Hintergrund war ein anderer, nämlich dieser hier:
Anfang
des 19. Jahrhunderts setzte eine katholische Kulturbewegung ein, die
sich zunächst in einigen wenigen Zentren entwickelte. In München
war dieses Zentrum der Kreis um Joseph Görres und Franz von
Baader. Das Sprachrohr des Görreskreises waren die 1838
gegründeten Historisch-politischen Blätter. Ihre Artikel
umspannen ein weites Spektrum, wobei ein deutlicher Schwerpunkt im
Bereich der Geschichte, der Kultur und Politik, insbesondere dem
Verhältnis von Staat und Kirche, liegt. Die Gründer und
ersten Herausgeber der Zeitschrift waren Karl Ernst Jarcke und
Georg Philipps. Jarcke, neben Joseph Görres der wichtigste
Mitarbeiter, prägte das Blatt vor allem durch seine Beiträge,
meist »Zeitläufte« oder »Glossen zur
Tagesgeschichte« betitelt.
Der
Inhalt des vorgenannten Textes indes muss stutzig machen - ist nicht
dort schon von "gleicher Gerechtigkeit" statt "gleicher
Rechte" die Rede? Nehmen wir sie doch endlich mal bei dem was
sie absondern - also beim Worte: Wie war das denn noch mal gleich mit
"Sozial ist, was Arbeit schafft..." ? Okay - der Slogan der
maßgeblichen Zeit lautete geringfügig anders - nämlich
"Sozial ist, wer Arbeit schafft.." Es war der Slogan der
Deutsch
Nationalen Volkspartei, jener Steigbügelhalter-Partei, der
die Nazis seinerzeit unter manch anderem das weitere Vorankommen
verdankten. Hierzu das nächste Bild:
Und
- wie war das noch mal - mit "... Du bist Deutschland...?
Tatsächlich nutzten die Nationalsozialisten bereits die Parole „Denn Du bist Deutschland“ - wie hier auf einem Plakat während einer Kundgebung 1935 auf dem Ludwigsplatz in Ludwigshafen. Abgebildet ist dies in dem Buch „Ludwigshafen – Ein Jahrhundert in Bildern“ des Stadtarchivs Ludwigshafen am Rhein von 1999 (ISBN 3-924667-29-2)
All
dies kennen wir heute aktuell aus den Mündern von Kanzlerin und
CDU besonders, aber keineswegs nur von dort. Und doch ist es nichts
mehr, als die simple und primitive Wiederholung der Geschichte. Ich
an dieser Stelle wiederhole einen Spruch aus dem Kommentar
zur Raketenabwehr: "...Geschichte
pflegt sich vor allem dann zu wiederholen, wenn Menschen das Lernen
aus ihr verweigern..."
Dies
trifft auch für Jarckes Text weiter oben zu. War es damals nicht
auch schon eine Almosenpolitik, die von all dem was man sich aus der
kollektiven Leistung gestohlen hat, lediglich ein paar belanglose
Almosen an die Ärmsten zurückgab? War es nicht auch das
Zeitalter einer - für damalige Verhältnisse -
Unterhaltungsgesellschaft? Angefüllt mir den achso fürchterlich
bewundernswerten Werken obskur privililegierter Unterhaltungsprofis
wie Wagner, Goethe und Konsorten? Wurden damals denn nicht wie heute
eifrigst Legenden geschaffen und gepflegt wie z.B. die von der
Annette von Droste-Hülshoff? Die Nazis jedenfalls hatten Null
Probleme damit, ihre eigene widerwärtige Kultur auf diesem
vortrefflich bereiteten Acker zu bestellen, abgesehen von ein paar
der Stars, die man halt als "entartete Kunst" ausmustern
musste...
Das
Ergebnis dieser Zeiten ist bekannt - zwei Weltkriege, die alles,
was die Menschheit bis dahin an Grauen erlebt hatte, weitaus in den
Schatten stellen sollten. Zwei Weltkriege, die einige unermesslich
reich machten und andere, die man schon längst abgeschrieben
glaubte, wieder zu neuer Geltung verhelfen sollten. Allein das Volk
trauert um Millionen toter Landser und Zivilisten, die
ihr Leben für eine Sache hingaben, die es schon vom Ansatz her
nicht wert war. Es sind solche Strukturen, denen Tausende von Joffes
heute dienen - und das was diese Strukturen auf gar keinen Fall
gebrauchen können, nennt sich: Demokratie und mitquatschende
Bürger. Daran hat sich zwischen den 1830er, 1920er und den
heutigen Jahren nichts - aber auch gar nichts - geändert. Es
wird Zeit, dass die Bürger dies ändern...
Der
Artikel Joffes müsste ihm eigentlich seine Überwachung
durch unseren Verfassungsschutz einbringen - schon allein seiner
fragwürdigen Ziele wegen. Seine EU-Vision indes beantwortet die
Frage, wieso die Elitenkaste hierzulande heute so besonders ängstlich
davor zurück schreckt, das Volk mal wirklich zu befragen - was
es denn bevorzugen würde. Jenes ebenso grandiose wie
zweifelhafte 500-Seiten-Machwerk namens "Vertrag über eine
Verfassung für Europa" oder unser Grundgesetz mit
übersichtlichen 146 klar formulierten Artikeln.
Unsere
146 Artikel besitzen wir schon - sie sind unser, d.h. eines jeden
Eigentum in diesem Staat. Dieses bei näherem Hinsehen offenbar
höchst wertvolle Gut sollten wir uns keineswegs derart billig
abschachern lassen, wie uns jene ermuntern wollen, die vorgeben,
unsere Interessen zu vertreten.
Merkelchen
hat die Parole ausgegeben, in Zusammenhang mit dem
EU-Verfassungsvertrag das Wort "Verfassung" nach
Möglichkeit nicht mehr zu verwenden, womit ihre Sicht der Dinge
- nebenbei bemerkt - auch recht deutlich klar wird. Doch selbst wenn
man das Gesetz "Schnulli-Pulli" nennt, wird dies immer noch
nichts daran ändern, dass es für uns Bundesdeutsche keinen
Fortschritt sondern Rückschritt bedeutet. Wieso eigentlich
sollte der Deutsche Bürger dies ohne jeden Gegenwert
akzeptieren? Billige Handygespräche fallen da bei mir als
Argument schlicht durch... Im Gegenteil: Im Austausch für eine
ordentliche, menschenwürdige Gesellschaft würde ich heute
schon gerne das 10-fache für ein Handygespräch hinblättern.
Und für ein Buch von Josef Joffe hingegen wäre mir ein Cent
noch bei weitem zu viel...
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