Beck's Taliban-Debatte |
Geschrieben von Jürgen Scheffler | |
Samstag, 7. April 2007 | |
Ewig Gestrige tun sich immer schwer, wenn Ihnen die Dinge zu entgleiten drohen - wie kürzlich geschehen durch den Vorschlag von SPD-Chef Kurt Beck, der im Zuge seines Afghanistanbesuchs zu Gesprächen mit gemäßigten Taliban aufrief. Es muss verwundern, dass die Aufregung über diesen unbestreitbar vernünftigen Vorschlag hierzulande derart groß ist, z.B. nicht nur bei der CDU, sondern auch bei den anerkannten SPD-Transatlantikern wie Hans Ulrich Klose (link) und seinem Mitstreiter Karsten Voigt. Letzterer sitzt sogar im Kuratorium der erlesenen Atlantikbrücke e.V. - einem dubiosen Verein zur Förderung des deutsch-amerikanischen Verständnisses (was immer das auch bedeuten mag...) und offenbar überreichlich Einfluss. Dieser merkwürdige Umstand indes wird überhaupt erst verständlich im Lichte des hierzulande längst herrschenden Meinungskartells. Dass so viele in den etablierten Medien und Politik diesem anhängen, verrät durchaus einiges über die den Zustand unserer Gesellschaft und die geistige Windstille in diesen Kreisen, die sie auch so unfähig zur Lösung anderer Probleme macht. Dabei ist doch unbestreitbar klar, dass Friedenskonferenzen ohne die Beteilung der wesentlichen Kontrahenten praktisch keinen SInn machen. Im Disput um Becks Vorschlag geht es aber nicht primär um diesen Zusammenhang - sondern darum, dass unsere heutige Meinungsführerschaft Gespäche mit "den Taliban" (was auch immer sie darunter verstehen...) generell ablehnt. Diese Haltung ist kurzsichtig und dumm - denn ein Sieg gegen "die Taliban" in der Gesamtheit wird man angesichts der Verhältnisse in Afghanistan wohl kaum davon tragen können.
Afghanistan ist eine bunte Mischung von Völkern, unter denen die Paschtunen mit rund 40% das größte und auch das traditionell staatstragende Volk bilden. Im 19. Jahrhundert überzogen allein die Briten im Zuge der Kolonialisierung das Khorazan-Gebiet gleich mehrmals mit Krieg, was 1919 schließlich darin mündet, dass der nördliche Teil des ehemaligen Khorasan-Gebietes als Afghanistan selbstständig wird (beträchtliche Restgebiete gehören heute zu Pakistan). Das unwirtliche Land besteht im wesentichen aus Hochgebirge - nur 6% seiner Fläche sind landwirtschaftlich nutzbar. Seine zentrale Lage macht das vollständig islamische Land seit jeher zu einem Durchgangsland für strategische Interessen aller Provenienz. Afghanistan wird 1973 Republik, in der 1978 die Kommunisten an die Macht kommen - sich aber gegen die formierende islamische Guerilla kaum behaupten können. 1979 marschieren Sowjetruppen ein und für 10 Jahre tobt dort einer der aus der bilateralen Welt sattsam bekannten "Stellvertreterkriege". Sowjet-Truppen ringen mit vom Westen massiv unterstützten islamischen Widerstand, bis sich die Sowjets 1989 zurückziehen. Doch dies bringt dem Land keine Ruhe - im Gegenteil: Es folgt ein verheerender Bürgerkrieg unter verschiedenen islamischen Guerillas, Drogenbaronen und ethnischen Gruppen, der erst mit dem Vormarsch der von Pakistan unterstützten Taliban wieder abebbt. Die Taliban unterwerfen das Land nach der Einnahme der Hauptstadt Kabul 1996 mit dem Ausruf des Islamischen Emirat Afghanistan einer rückständigen Religionsdiktatur, während im Norden Drogenbarone und Minderheiten (die sogenannte Nordallianz) weiter massiv Widerstand leisten. Wenige Wochen nach dem Anschlag auf das WTC greifen im Zuge der Operation Enduring Freedom Streitkräfte der USA und Großbritanniens massiv ein - und innerhalb kürzester Zeit gelingt es zusammen mit der Nordallianz, das Talibanregime zu beseitigen. Nur kurz darauf zeigen sich bereits Zerfallsprozesse in der Nordallianz - und auch die in die folgende ISAF-Mission gesetzten Hoffnungen auf einen raschen Wideraufbau des Landes erfüllen sich nicht im erhofften Ausmaß. Der Aufbau und die Neuformierung einer staatlichen Macht überhaupt kommen eher schleppend voran. Kaum einer der Nachbarn hat ein besonderes Interesse an einem stabilen und unabhängigen Afghanistan - Pakistan am allerwenigsten, da der dortigen Militärdiktatur sonst in ihren paschtunischen Nordgebieten ein unangenehmer Gegenspieler erwachsen könnte. So ist Afghanistan bis heute Opfer seiner strategisch wichtigen Lage - zu der bis heute auch solche Interessen wie Pipelinedurchleitung gehören. Ein weiteres Problem dürfte dem seit Beseitigung der Taliban wieder sprunghaft angewachsenen Opiumanbau entspringen (über 90% des Weltproduktion stammt von dort...), dessen Nutznießer ebenfalls keinerlei Interesse am Wiedererstarken einer ordnenden Staatsmacht in Afghanistan haben können. Mit diesem nur flüchtigen Blick auf die Verhältnisse in Afghanistan wird schnell klar, dass den Problemen im Land mit der hier üblichen Schwarz-Weiß-Malerei nicht beizukommen ist. Es ist also keineswegs so, dass nur die Taliban die "Bösen" sind - während das restliche Land nach einer freiheitlich-westlich - am besten noch christlich - orientierten Demokratie vor sich hin lechzt. In Afghanistan ist nichts nach unseren Maßstäben "normal" - sowohl Präsidentschafts- wie auch Parlamentswahlen waren begleitet von erheblichen Ungereimtheiten (Link, Link) und dem Vernehmen nach befinden sich auch unter den derzeitigen Abgeordneten des Parlaments eine Vielzahl, die den Taliban oder den kriminellen Machenschaften der Drogenmafia nahe stehen. Die kolportierte Äußerung des afghanischen Außenminister Rangin Dadfar Spanta wird angesichts dieser Situation gänzlich unverständlich - es sei denn man weiß, dass der Gute allerbestens "eingedeutscht" ist und 1999 sogar hierzulande in Aachen für die Grünen kandidierte (hier ein Link zur "grünen" Sicht der Welt und Afghanistans, die angesichts des oben gesagten nur noch für Stirnrunzeln sorgen kann....) Die Tonart seiner Vorhaltung an Beck (... Ahnungslosigkeit usw... ) indes - und das als afghanischer Außenminister (!) - disqualifizieren diesen Mann sowie die Spiegel-Online-Autoren Sebastian Fischer und Jan Friedmann, die dieses Geschwafel des Omar Sharif's für Jamaika-Fans uns auch noch als "Abfuhr aus Afghanistan" verkaufen wollen. Was natürlich nicht bedeutet, dass sich der gleiche Unsinn nicht auch noch in anderen Medienschwergewichten, wie z.B. hier in der FTD wieder findet. Beide - Medien und Spanta - sind inzwischen widerlegt, wie man hier auf Spiegel-Online selbst nachlesen kann. Wer eine Lösung für Afghanistan sucht, kommt an den mächtigen Gruppen im Lande nicht vorbei - und zu denen zählen nun mal eben auch die Taliban. In einer islamischen Republik mit Scharia-Recht (und eine solche ist Afghanistan auch jetzt...) schon gar nicht. Taliban bedeutet dem Wortsinn nach "Student" (..in diesem Fall Student im Umfeld des islamisch-sunnitischen Fundamentalismus). Hier wird auch klar, wieso das Emirat seinerzeit nur von drei Staaten anerkannt wurde: Pakistan, Saudi-Arabien und die Vereinten Arabischen Emirate (allesamt sunnitisch). Die schiitische Minderheit (ca. 20%) im Lande zählt eher zu den verfolgten Gruppen der Bevölkerung - blutige Familien-Fehden zwischen Sunniten und Schiiten indes zählen in Afghanistan ähnlich wie im Irak fast zum Alltag. Der Iran selbst - als Stammland der Schiiten - spielt momentan eine eher stabilisierende Rolle und versucht vor allem seine wirtschaftlichen Interessen beim Wiederaufbau des Landes zu fördern. Hier wird erkenntlich, dass gerade in Punkto Afghanistan von einer - hier meist stillschweigend vorausgesetzten - Interessengemeinschaft zwischen Taliban und Iran nicht im Geringsten die Rede sein kann. Der Iran ist im Vergleich zur Vision der Taliban ein geradezu hochmoderner Staat, der völlig andere Interessen in Afghanistan hat (z.B. Handels- und Pipelineverbindungen in die zentralasiatischen Wirtschaftsräume) als die Wiedererrichtung des Emirats. Natürlich kann der Bushmania genau an Solchem für den Iran so gar nicht gelegen sein... Afghanistan zählt inzwischen zu den ärmsten Ländern der Welt - 70% der Bevölkerung sind Analphabeten und haben seit Generation nichts als Krieg, Mord und Totschlag erfahren. Mit militärischen Mitteln ist hier absolut nichts mehr zu gewinnen - die derzeitige Gegenwart der ISAF vermochte es immerhin, halbwegs geordnete Verhältnisse zu schaffen. Doch diese Phase wird nicht von unbegrenzter Dauer sein können - und diese Zeit sollte man bestmöglich für den Aufbau von Infrastruktur und Wirtschaft nutzen, statt das Gebirgsland wieder und wieder umzupflügen. Die politische Gestaltung indes kann nur aus dem Land selbst kommen - und man muss kein Prophet sein, um festzustellen dass es da kurz über lang zu Konflikten nicht nur mit den Resten der Taliban, sondern vor allem auch mit den Drogenbaronen kommen muss. Das Talibanproblem indes könnte allein schon durch mehr Druck auf Pakistan sicher um einiges entschärft werden. Ein Verlust ihrer Rückzugsräume nach dort nämlich würde sie in ziemliche Bedrängnis bringen - wenngleich dies für den Diktatur des Pervez Musharraf in Pakistan keine ganz einfache Aufgabe darstellt. Präsident Hamid Karzai jedenfalls hat zu einer Politik der Einbeziehung aller gesellschaftlichen Kräfte in Afghanistan keine Alternative - und es bleibt für Afghanistan nur zu hoffen, dass er seine Politik nicht zu sehr auf das paschtunische Partialinteresse zurück drängen lässt. Dieses ist nämlich unter den Taliban auch kräftig vertreten - und der einzig gangbare Weg kann nur der klug und nachhaltig angelegte Versuch sein, zumindest erhebliche Teile auch der Talibanbewegung für die Schaffung einer geordneten staatlichen Macht in Afghanistan zu gewinnen. Wer hier blinde und kurzgedachte Hetzreden gegen diesen Weg hält, will Afghanistan damit die vielleicht einzige mickrige Chance drauf absprechen, den Teufelskreis von Elend und Bürgerkrieg jemals zu durchbrechen. Trotz vieler Rückschläge und mancher Ungereimtheit scheint hier Hamid Karzai wohl noch eher eine Art Glücksfall für Afghanistan - in völligem Gegensatz zu seinem derzeitigen Außenminister. Dass man Kurt Beck vorwirft, "..wie kann er nur einen solchen Vorschlag machen, wo gerade deutsche Tornados in Afghanistan ankommen...", zeugt in Anbetracht des Ganzen von außerordentlicher Blödheit und muss mehr als verwundern. Erstens spielen die Tornados ob nun mit oder ohne Kampfauftrag bei dem ganzen Drama praktisch keine Rolle (weswegen sich auch die Frage nach dem Sinn dieses Einsatzes so massiv stellt...) und zweitens sollten diejenigen, die sich da so aufregen erst einmal selbst eine Vision vorlegen, die über Mord und Totschlag hinaus weist... Wer Afghanistan indes für das geeignete Feld hält, den islamischen Fundamentalismus zurückzudrängen, der will nicht Hoffnung auf Frieden sondern weiter die Konfrontation in Richtung Kampf der Kulturen vorantreiben - und es sind hierzulande in vielen Fällen interessanterweise dieselben Kreise, die auch so fieberhaft daran arbeiten, die Türkei aus der EU heraus zu drängen. Afghanistan war, ist und bleibt vorläufig ein streng muslimisches Land, dass sich unglücklicherweise in einem strategischen Brennpunkt auch der künftigen Konflikte befinden wird. Irgendeine Option auf kurzfristige Änderung gibt es nicht - worin sich nicht zuletzt auch das Versagen von rund 150 Jahren imperialer Politik manifestiert. Wir bei CogitoSum sehen jedenfalls nicht den allergeringsten Anlass, von unserem Applaus für Kurt Beck's mutigen Vorstoß gegen das hiesige Meinungskartell abzurücken. Niemandem auf der Welt ist durch Kurzdenken und Schwarzweißmalerei geholfen - und erst recht nicht mit einer Politik, die sich auf Eingreiftruppen, Cruise Missiles und Trägerverbände reduziert. Es geht hier nicht um "Pro-" oder "Anti-"Amerikanismus - man muss nicht einmal das Geringste gegen das amerikanische Volk haben, um sich an der Politik der durchgeknallten Bush-Administration zu reiben, die ja auch in den USA selbst auf zunehmend massiven Widerstand stößt.
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