Medienwahl Frankreich...
Geschrieben von Jürgen Scheffler   
Samstag, 12. Mai 2007

Der vergangene Sonntag war kein guter Tag für die Gesellschaften Europas. Das traditionsreiche Volk der Franzosen ging den neoliberalen Versprechungen des Ex-Innenministers und Präsidentschaftskanditaten Sarkozy von der Chirac-Partei UMP letztlich doch auf den Leim. Dieser hat als Innenminister bereits bewiesen, dass er weder über geeignete Konzepte noch hinreichendes Geschick verfügt, die nunmehr auch in Frankreich verschärft zu erwartenden sozialen Konflikte vernunftorientiert aufzulösen. Hätten die Franzosen vor ihrem Urnengang doch lieber ein paar Blicke mehr auf das Nachbarland Deutschland geworfen. Allein schon, weil sich hinter Sarkozy die Wirtschaft und die kommerziellen Medien versammelt haben, lässt dieser Wahlausgang für die "Grande Nation" nichts wirklich Gutes ahnen. Aber allzu hastig gestrickt war er, der durchaus nicht marginale Gegenentwurf der unterlegenen Kandidatin Segolene Royal von der PS, die ihr Ziel am Ende aber um gute 3% verfehlte. Immerhin machte dies diese Wahl in Frankreich anders - dort stand wenigstens überhaupt noch eine politische Alternative zur Wahl. Ob dies auch in Zukunft noch gute französische Tradition bleiben wird, ist nach diesem Wahlausgang allerdings fraglicher denn je.

In der kommenden Zeit wird die Auffassungsgabe der Franzosen stärker gefragt sein, als diese sich mit ihrer Wahl wohl je haben träumen lassen. Zumindest brachte es der frisch gewählte Sarkozy gleich mal fertig, für seinen Kurzurlaub die Gastfreundschaft des französischen Milliardärs Vincent Bolloré in Anspruch zu nehmen - was auch unabhängig von Bestechungsvorwürfen einen schalen Beigeschmack hervorruft. Sollten die bald folgenden Parlamentswahlen auch diesem Trend folgen, stehen der "Grande Nation" höchst schwere Zeiten bevor. Sarkozy's Programm ist ein Sammelsurium von neoliberalen Reformen, das Frankreich dem weltweit galoppierenden neoliberalen Wahn ein kräftiges Stück näher rücken wird. Neues ist nicht zu erwarten - eher das, was aus vielen anderen Ländern bereits sattsam bekannt ist: Weiter rapide wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, wachsende soziale Spannungen, Entdemokratisierung, Entstaatlichung, Förderung der Reichen und Elitären und der Niedergang politischen Gestaltungswillens überhaupt.

Wir Deutschen und manch andere Völker haben es längst erfahren: Neoliberale Reformen lösen kein einziges Problem, ebensowenig wie eine allzu enge Anlehnung an die US-Politik - dafür aber werden jede Menge neue zusätzlich geschaffen. Die Ursache für die derzeit europaweit festzustellende Konzeptlosigkeit des zukunftsorientierten Politikflügels sitzt tief - besorgniserregend tief. Tumbe Schreiberlinge hier wie dort gefallen sich noch immer darin, den Niedergang des Sozialismus zu feiern, ohne dass sie genügend Intelligenz besitzen, die fatalen Folgen des Prozesses zu erkennen, dem sie mit ihrem Tun da zu arbeiten. Der politische Wettbewerb findet sein Optimum im Widerstreit verschiedener politischer Konzepte, von denen jedes für sich die ungeschminkte Realität mit aufrichtigem politischen Gestaltungswillen verknüpft. Eine allzu lange und einseitige Vorherrschaft nur eines Konzeptes - aktuell des Konservativen - könnte Frankreich und letztlich auch Europa schaden. Ohnehin ist der Konservativismus prinzipiell eher weniger geeignet, moderne leistungsfähige Gesellschaften im Zeitalter der Information zu bilden. Seine Tendenz hingegen, Macht- und Ausbeutungsstrukturen aus vergangenen Jahrhunderten wieder zu beleben, ist fester Bestandteil seiner Erbmasse und dies ist es auch, was ihn zum Partner der Wahl für den Neoliberalismus machte.

Sarkozys Sieg war kein Sieg eines politischen Konzeptes - was da in Frankreich Präsident wurde, können Sie, verehrte Leserinnen und Leser hier nachlesen. Es war denn auch nichts weiter als das übliche Vorgehen, das diesen Wahlausgang hervorrief. Eine nahezu allumfassende Macht über Wirtschaft und Medien versetzt eben kleine Gruppen in die Lage, Weltbilder und Überzeugungen bei Menschen zu schaffen. In den Medien regieren in Frankreich nicht anders wie in Deutschland die Lügen und think-tank-optimierte NLP-Strategien. Hierin und in Sarkozys widerlicher Annäherung an den dummen Nationalismus liegen die Ursachen für seinen Sieg - hinter ihm versammelten sich jene Leute, die sowohl über die Medien, die Strategie, die finanziellen Mittel sowie das nötige Maß an Skrupellosigkeit verfügen. Viele Franzosen glauben vermutlich heute noch, sie hätten gut gewählt... die Erkenntnis des Gegenteils wird nun der Lernprozess sein, in den die Franzosen jetzt eintreten werden - und der gleich mal mit einem Milliardär-gesponserten Urlaub des frisch Gewählten begann.

Schon von seiner Natur her hat das Konservative eher wenig zur Zukunft beizusteuern und zur Lösung neu auftretender Probleme gleich gar nichts. Und die Probleme sind mindestens ebenso neu wie bedeutend - noch nie lebten 6,5 Mrd. Menschen auf diesem Planeten - noch nie nahm die Menschheit insgesamt derart viel Einfluss auf all das, was an seiner Oberfläche und in seiner Atmosphäre geschieht - noch nie in der Moderne stand die Menschheit vor einem derart erbitterten Ringen um knapper werdende Ressourcen und Lebensräume.

Die ihm immanente Visionslosigkeit trieb das Konservative in die Fänge des Neoliberalismus - der bewusst die Lüge vorspiegelt, all diese Probleme seien durch das angeblich freie Spiel der Kräfte der lösen. Die einzige wahre Tatsache dahinter jedoch bleibt, dass dort, wo keine bewusste Gestaltung stattfindet, wird sich vor allem nur eines breit machen: bereits vorhandene Macht. Dies ist die dominierende Lehre aus der Geschichte aller Zeiten.

Es ist keinesweg unangemessen, die noch unfertige EU von ihrer schieren Masse her als Weltmacht einzustufen - doch zu einer Weltmacht gehört auch der Anspruch, eigene politische Wege zu entwickeln und im Bedarfsfall auch beschreiten zu wollen. Hierfür ist der Wahlausgang in Frankreich ein klarer Rückschlag. Die Unterwanderung der EU durch US-Interessen ist ein weiteres Stück vorangekommen - heute bereits deutlich sichtbar: Technologische Paradeprojekte, die ursprünglich mal Europas Spitzenplatz in der Zukunftstechnologie absichern sollten, werden mittlerweile gleich in Serie an die Wand gefahren. Europas Tafelsilber befindet sich längst im Ausverkauf gegen wertlose Dollar. Europas reiche und mächtige Eliten "globalisieren" wohlwissend, dass sie ihre Völker auf diesem Weg nicht mitnehmen können. In der Entwicklung zukunftsweisender Lebens- und Wirtschaftsformen indes herrscht seit vielen Jahren Stillstand - ja schlimmer noch: inzwischen ist offener Rückschritt zu verzeichnen.

Die mit enormem Zoll an Blut und Mühe geschaffenen Wohlstandsdemokratien Europas sind in ihre eigene Falle getreten - nun auch in Frankreich. Menschen, die seit Generationen in solchen Gesellschaften leben, verlieren offenbar den Instinkt dafür, dass ihre Gesellschaft nicht von selbst entstanden ist - sie musste dereinst schwer erkämpft und ab da fortwährend verteidigt werden. Und wir wollen nicht vergessen - die undemokratische und reinrassig neoliberale EU-Verfassung lauert bereits, um den Souverän der meisten Demokratien - nämlich die Völker - ganz von der Macht zu drängen.

Zur Zeit erleben wir eine Schein-Symbiose zwischen Konservativismus und Neoliberalismus, die sich wie ein zäher Brei auf die Zukunftsperspektiven der Gesellschaften legt. Doch diese Schein-Symbiose wird nur tragen, bis alternative politische Konzepte auch in Europa weit genug an den Rand gedrängt sind. Danach steht dann das konservative Konzept, bzw. die Politik selbst, zur Disposition. Der Staatsfeindlichkeit des Neoliberalismus liegt nicht, wie so gerne behauptet, etwas Natürliches zugrunde - Sie stand immer schon ausschließlich im Dienste von nichts anderem als der Mehrung von Macht der Reichen und schon Mächtigen und ist so in Wahrheit Ausdruck der generellen Demokratie- und Gesellschaftsfeindlichkeit neoliberaler Ideologie.

So ist mit dem Wahlergebnis vom 6. Mai auch der Abtritt eines europäischen Weges vom Markt der Zukunft auf der Weltbühne leider wieder ein Stück konkreter geworden. Es ist ein unfertiges Europa, das sich da nunmehr anschickt, all seine Kraft beim Dauerrennen in den Hundekurven neoliberaler Schein-Segnungen zu verschwenden - bis es dann an dem in seinen Ländern wieder aufkeimenden dummen Nationalismus möglicherweise ganz zerbröselt. Genau dies ist es, wofür sich die Franzosen am Sonntag mit knapper Mehrheit ihre Stimme gaben. Frankreich ist in den "Wettbewerb" um immer noch niedrigere Steuern und immer noch niedrigere Sozialstandards eingetreten. Ein Rennen indes, bei dem Gewinner und Verlierer schon feststehen, bevor überhaupt der Startschuss fiel: Gewinner - die Reichen und Mächtigen in allen Ländern - Verlierer: der Rest.

Dennoch gebürt dem franzöischen Volk Achtung - Achtung dafür, dass es in Form von Royales Programm eine politische Alternative überhaupt hervorbrachte (anders als hier...) - und auch Achtung dafür, dass immerhin 47% der Franzosen sich mit dieser - trotz eines überwältigenden neoliberalen Propaganda-Schwalls - identifizieren konnten. Im Vergleich dazu herrscht hierzulande längst förmlich braches Ödland vor, in dem drittklassige Schreiberlinge und Politiker sich an nahezu allen maßgeblichen Stellen der Gesellschaft wie von einer unsichtbaren Hand gleich Schachfiguren mal hier-, mal dorthin schubsen lassen. Schade, dass die Franzosen unseren jämmerlichen Zustand in nicht ausreichendem Maße als das erkennen konnten, was er in Wahrheit ist: das Abbild der nun auch ihnen konkret bevorstehenden Zukunft.

Die Phrasen Sarkozys vom Stolz auf Frankreich werden schnell verhallt sein - bleiben dagegen werden neoliberale Irrsinnsreformen, Staatsabbau und die Zersetzung von kollektivem Wohlstand und Intellekt. Ob der linken Notgemeinschaft um Segolene Royale und ihrer Parti Socialiste Francaise hierbei der Kraftakt gelingt, ihren Aufstieg über die Niederlage hinaus zu verstetigen, ist indes mehr als fraglich - Royale jedenfalls will sich offenbar in die Regionalpolitik zurückziehen, sich allerdings weiter in der Spitzenarbeit ihrer Partei engagieren.

Betrachtet man alles zusammen, wird eines deutlich: Neue und wieder vernünftige Politk wird damit beginnen müssen, dass man den Medienkartellen das Rückgrat bricht. Wie unverfroren die inzwischen hierzulande schon vorgehen, lässt sich wunderbar beim öffentlich-rechtlichen ZDF beobachten - in der Regel entfallen dort in letzter Zeit locker 20 bis 30% einer Nachrichtensendung auf irgendwelche Beiträge mit CDU-Personal - der Name der gleichstarken Regierungspartei SPD hingegen fällt bestenfalls eher mal in einem Nebensatz. Der sonntägliche "Bericht aus Berlin" ist gleich komplett zu einem Hardcore-Progandainstrument von CDU und Neoliberalen verkommen...

Wieso eigentlich gibt es in diesem Land Gesetze, die Bürger zwingen, der Partei CDU ihre Öffentlichkeitsarbeit zu bezahlen? Beim ZDF von Ausgewogenheit sprechen zu wollen, kommt einer Lachtablette gleich. - hier wird Tag für Tag härteste neoliberale Propaganda auf die Mattscheibe gedrückt und - mit fortwährend steigender Tendenz - solche zugunsten der CDU und des politischen Katholizismus. Die anderen Parteien - inkl. der im Bundestag gleichstarken SPD finden da kaum noch, die Linkspartei gar nicht statt. Und bei den Privatsendern sieht das keineswegs besser aus. Auch in allen bedeutenden Printmedien ist der Stallgeruch von Bertelsmann-Stiftung und neoliberalen Thinktanks über alle Maßen eindringlich, wobei sich hier allerdings der Bürger mit seiner Kaufentscheidung zur Wehr setzen könnte. Dass ein Mensch, der politisch umfassend informiert sein will, noch den Spiegel abonniert, ist indes bereits seit Längerem nicht mehr so recht nachvollziehbar.

Wie auch immer - es ist schön gesagt: Medienkartellen das Rückgrat brechen - doch bloss: wie? Wiedereinführung der Zensur? Sicher keine Lösung... Zensur bedeutet schließlich nur Macht in Händen von Zensoren, womit sich bestenfalls Personen ändern aber nichts daran, dass Geld bestimmt, wer Karriere macht und was in den Beiträgen auftaucht. Die rechtliche Stärkung des Redakteurs wäre sicherlich ein erster Schritt - erfährt er hausintern Nachteile wegen seiner Überzeugung, sollte er sehr weitgehende Rechte haben, sich zur Wehr setzen zu können. Dann könnte man Medien generell auferlegen, zumindest einen fest vorgegebenen Anteil an Eigenredaktion zu unterhalten, bevor sie überhaupt als Presse akkreditiert werden - der Rest sind dann Werbeblätter.

Dann könnte es sinnvoll sein, aus den Gebühren und über Abgaben auf Werbeschaltungen aller Art ein freies Non-Profit-Medienunternehmen - eine Art Gesellschaftsmedium - zu schaffen. Selbst ohne jede Werbung und Quotenauflagen ist diesem Medium allein dem "Recht auf Wahrheit" verpflichtet und weist einen hohen Anteil an geprüft propagandafreier Bildungskommunikation auf. Für NGO/Non-Profit-Organisationen besteht Anspruch auf kostenlosen Redaktionsplatz. Die Kontrolle erfolgt über in Bund und Ländern gewählte unabhängige Kommissionsstruktur, deren Mitglieder nach öffentlichem Tarif bezahlt werden und die keiner Partei oder weiteren Organisation angehören und keinen Nebenerwerb haben dürfen. Arbeiten kann dort ebenfalls streng nach öffentlichem Tarif jeder - und in allen Workflows ist eine bestimmte Quote (z.B.30%) für Jugendarbeit, Arbeitslose, Rentner und andere große Betroffenengruppen vorzusehen. Am Markt für Sport-Milliarden beteiligt sich dieses Medium nicht - hingegen könnte der Regional-, Nischen-, und Amateursport mehr betont werden. Hollywood und schrottige Konserven-Serien werden ebenfalls nicht eingekauft - hingegen mehr Platz für avangardistische Medienarbeit und für freie Musik und freies Theater. Alle Kanal- und Netzwerkanbieter sind gesetztlich gezwungen dieses Programm kostenlos anzubieten.

Auf diese Weise würde ein Medium entstehen, dass dem wirtschaftlichen Wettbewerb komplett entzogen ist - und mithin weder aufgekauft noch durch Druck auf die Insertion manipuliert werden kann. Starkult wird dort schon strukturell in engen Grenzen gehalten. Dort wird nur normal verdient - wem das zu wenig ist, der kann ja gerne weiter seine Haut bei Bertelsmann etc. zu Markte tragen. Durch Privilegisierung dieses Mediums im Hinblick auf öffentliche Dokumentations- und Archivstrukturen sollte so mit der Zeit auch ein durchaus ebenso buntes wie interessantes Kommunikationsangebot entstehen, das Menschen zunehmend gerne nutzen werden. Daneben wirkte dieser Schritt natürlich auf die kommerziellen Medien - fortgesetzten Schwachsinn wie im heutigen Ausmaß werden die sich dann nämlich nicht mehr lange leisten können.

Gesellschaftlich wären durchaus wünschenswerte Auswirkungen zu erwarten, vor allem weil die großen - und nicht die reichen - Gruppen hier Zugang in den Informations- und Medienbereich erhalten. Dies dürfte langfristig sowohl in der Arbeit des Mediums selbst wie auch durch die Verbreitung seiner Produkte zur Hebung der allgemeinen Bildung und gesellschaftlichen Integration beitragen - und ein überaus sinnvoller Beschäftigungseffekt wäre auch noch gegeben.

Um es noch einmal deutlich hervorzuheben - diese Idee zielt nicht auf "Staatsfernsehen" und auch nicht auf "Parteifernsehen" - es geht um die nüchterne Wahrheit und um die Vernunft, der hier im so wichtigen Bereich gesellschaftlicher Information und Kultur zu wieder mehr Geltung und demokratischer Struktur verholfen werden könnte - etwas, was seit Langem schon überfällig ist. Denn allzu lange werden wir es uns nicht mehr leisten können, hier weiterhin der Hochfinanz 100% Einfluss zu geben - es sei denn man ist sehr neugierig darauf, wie mittelalterlicher Feudalismus sich alltäglich so anfühlt.


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