Herbstrally in Absurdistan...
Geschrieben von Jürgen Scheffler   
Dienstag, 7. Oktober 2008

Es wird wohl nichts - mit einem ruhigen Hinübergleiten in einen gemütlichen Winter. Krisen- und Katastrophenmeldungen scheinen sich zu überschlagen - wie zum Beispiel diese hier. In was für einer Welt leben wir eigentlich, wenn der Umstand, dass ein Unternehmen geplante Zuwachsraten („nur“ 16 statt 24%) nicht erreicht, bereits zum Krisenphantom aufgestylt wird? Haben wir eigentlich keine anderen Sorgen? Legt der gesunde Menschenverstand nicht nahe, dass in wohl unbestreitbar schwierigen Zeiten ein Unternehmen selbst dann noch gut da steht, wenn es Zuwachs Null und beim Gewinn eine schwarze Null vorweisen kann? Und davon erscheint SAP noch beachtlich weit entfernt - dennoch verlieren die Aktien zwischenzeitlich zweistellig. Ohne jeden Grund - wenn wir einmal annehmen wollen, dass da alles in Ordnung ist mit der Rechnungslegung. Genau dies aber kann natürlich auch durchaus bezweifelt werden, wie Beispiele aus dem wohl eher nur hemd- und krawattenmäßig ach so blitzsauberen Bankbereich - zuletzt bei HRE - erschütternd demonstrieren. Dagegen dürfte SAP selbst bei Vermutung recht kreativer Bilanzierung immer noch als gradezu grundsolide gelten. Offenbar scheint die ins ganze Dilemma mitverwickelte Elite von Politik und Journalie trotz alledem finster entschlossen, so weiter machen zu wollen, wie bisher. Und so ganz besonders schwer scheint ihnen die Unterlassung der Volksverblödung zu fallen.

Offenbar gedenkt der Rest der Hyänenmeute, dem Volk ein paar Bauernopfer zum Fraß vorzuwerfen und sich auf diese Weise aus der eigenen Verantwortung zu stehlen. Fast wäre sie amüsant - die Einvernahme Richard Fulds (Ex-Chef von Lehmans) vor einem Ausschuss des amerikanischen Kongresses. Zusammengefasst stellt er sich achzelzuckend hin und gibt zu Protokoll, bei Lehmann habe man lediglich das gemacht, was alle anderen auch gemacht hatten. Hat wohl nicht ganz Unrecht damit. Sein Unternehmen fiel womöglich nur rein zufällig durch den Rost - nämlich jene Lücke, die sich zwischen Präsident G.W. Bush denkwürdigem Satz „...kurzfristig mögen diese Anpassungen schmerzhaft sein...“ (13.09.2008) und dem 700 Mrd $ schweren Rettungspaket wenige Tage später aufspannte. Dieser kleine Fauxpas brachte zwar eine Lawine ins Rollen. Aber wen juckt das schon, wenn man sein Schäfchen bereits im Trocknen hat.

Stirnrunzeln müssen die Vorgänge bei HRE hervorrufen. Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzender sollten auf allgemeinen Druck ihren Hut nehmen. Da wollte die Politik nach den - gemäß Spiegel so auffällig oft klar genannten - Worten unserer Kanzlerette hart durchgreifen. Hat sie auch. Aufsichtsratvorsitzender Kurt Viermetz hat seine Deaktivierung mal gleich verweigert. Naja - er will halt nicht, was kann man da schon tun? Aber es kommt noch besser. Kollege Georg Funke, Vorstandsvorsitzender, tritt zwar brav zurück - und sogleich ist klar: natürlich hat dieser das Debakel vollkommen auf sich allein gestellt durch den Laden gepeitscht. Die erkorene Nachfolge indes MUSS aufhorchen lassen: hierzu folgendes Zitat von FTD-Online: „... Funkes Nachfolger Wieandt kommt aus einer prominenten Bankenfamilie: Seine Schwester Dorothee ist Managing Director bei Goldman Sachs und verheiratet mit Commerzbank-Chef Martin Blessing. Ihr Vater Paul Wieandt war einer der bekanntesten Banker Deutschlands: 1984 bis 1990 war er Vorstandsvorsitzender der Landesbank Rheinland-Pfalz, anschließend sanierte er die Bank für Gemeinwirtschaft. Zudem war er Chef der SchmidtBank, später auch Verwaltungsratsvorsitzender der Frankfurter Sparkasse...“.

Tja Leute - vergesst Eurer Ökonomie-Studium und werdet lieber gleich Taxifahrer, sofern ihr nicht die Gnade der richtigen Geburt - oder wenigstens die richtige Heiratspolitik - mitbringt. Es muss natürlich außerordentlich Vertrauen wecken, wenn man hier munter weiter Böcke zu Gärtnern macht. Hoch leben die Netzwerke - Dallas und Denver sollten unbedingt mal wieder wiederholt werden! Und damit will man uns verkaufen, nun würde alles anders und vor allem besser? Ja - wir sollen dieser Entschlossenheit sogar vertrauen? Vorher recherieren wir aber lieber erst noch mal ein wenig zur BfG-Sanierung... (da sind mir doch glatt noch ein paar Dinge im Gedächtnis).

Was den Verantwortlichen in Politik und Journalie nun zunehmend auf die Füsse fallen wird, ist die gradezu absurde Desinformationspolitik der Bevölkerung. Und das nicht erst seit der Immobilienkrise. Wohin man schaut - Kriegsgründe frei erfunden, Arbeitslosenzahlen getürkt, Politikfolgen diametral verdeutet, Wirtschaftsprobleme verschwiegen oder klein geredet, Globalisierung erfunden, Unternehmensperformance vorgespiegelt und noch vieles andere mehr - seit Jahren feiert der Hype des Absurden fröhlich Urständ, Tag für Tag. Wer nun glaubt, mit dem nicht-mehr-leugnen-können des Krise würde dieser Ungeist endlich weichen, wird verdattert feststellen, dass es im Prinzip immer noch so weiter geht. Nur die ganz beinharten Propheten des Neoliberalismus befinden sich derzeit auf Tauchstation - aber die Leere, die sie in den Medien hinterlassen, wurde, obwohl sie kaum auffällt, ersetzt durch nicht minder Dummes wie Belangloses aus so überaus „wichtigen“ Bereichen wie Society, Starkult und Sport.

Die Krönung des Irrsinns ist der oft zu lesende unterschwellige Vorwurf an die abhängig arbeitende Masse, zumindest soweit sie überhaupt noch „anlagefähig“ ist - ihr „Vertrauensverlust“ sei schuld an dem Drama. Dabei steht wohl fest wie ein Fels in der Brandung, dass die Massen sich schon gerne weiter einlullen ließen - denn nicht sie bescherten der Welt die Krise, sondern die feinen Herren in den schnieken Anzügen sind es. Deren zumindest behauptetes „Misstrauen untereinander“ soll ja die Lawine ins Rollen gebracht haben - wird wenigstens gebetsmühlenartig gesendet und geschrieben. Und da darf man sich wohl denken, die Krawattenträger werden schon verdammt gute Gründe für ihr Misstrauen haben - da braucht sich ja nur jeder die Leichen im eigenen Keller zu begucken, um schlagartig eine Idee davon zu entwickeln, wie es wohl beim Nachbarn ausschauen könnte.

Okay - Island steht vor dem (eigentlich ja nicht möglichen...) Staatsbankrott - naja was solls. Dass die Russen Island aufkaufen wollten, wurde sogleich wieder dementiert. Hierüber, dass der sogenannte Staatsbankrott auf lange Sicht unter den obwaltenden Bedingungen praktisch unvermeidlich ist - wohl nicht nur für Island - kein Wort. Wers nicht glaubt und 40 min Zeit hat: einfach mal hier reinschauen. Fiel halt bei dem 300.000 Einwohner Inselstaat mit seiner Mini-Währung nur etwas früher auf, das ist alles. Dafür aber konnten die Astronomen erstmals einen Astereoideneinschlag vorhersagen (toll - echt - huch - sind wir schon soooo weit?) und Klinsmann macht ja nun doch alles richtig. Das sollte es doch nun wirklich mehr als ausgleichen - oder?

Wer will, findet im Rauschen der Meldungen allerhand Kleinigkeiten, wie z.B. dass die deutsche Industrie sich besorgt zeigt, ausreichend Kredite zu erhalten. Doch schon? Und so frühzeitig? Hierzu passt zwar nicht so recht, dass VW-Aktien heute zeitweilig die Kleinigkeit von 55% im Plus standen (innerhalb weniger Stunden... ). Mit VW wurde heute ein Börsenvolumen von fast 4 Mrd € bewegt - und VW endete dennoch bei 1,8% im Minus. Der Name dafür ist auch schon gefunden: VW-Mysterium. Wenn da nicht noch bald das „Wunder von Wolfsburg“ draus wird. Man kann sagen was man will - nachdem sich immer weniger Menschen von der Glotze unterhalten lassen wollen - tut man wirklich was für unsere Unterhaltung. Im Realen.

Am „Wunder von Wolfsburg“ jedenfalls wird deutlich wie selten, welchen Nutzen und welchen Zweck die Errungeschaften des Casinokapitalismus erfüllen - nämlich gar keinen, zumindest keinen, der irgendetwas mit wirtschaftlich relevanten Zusammenhängen zu tun hat. Niemand, der noch bei Trost ist, würde heute groß in Autoaktien einsteigen - gleichwohl aber bleibt: es sind solche Prozesse, die jeden Tag auf Neue über Wohl und Wehe ganzer Unternehmen und Wirtschaften entscheiden.

Zum Beweis: Opel, Daimler, BMW und Ford verkünden, dass sie sich gezwungen sehen, ihre Produktion zu drosseln. Auch von milliardenschweren Kreditwünschen der Branche an die Regierung wird berichtet, um die Investionen in die für sie - natürlich so gar nicht vorhersehbaren - höheren Umweltauflagen zu finanzieren. Sowas nennt sich eben „freier Markt“. Man ist so frei, sich fortwährend bei der Allgemeinheit zu bedienen - während man zeitgleich bei der Minirente der Oma durch die Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrages gleich nochmal ein paar Euro Fuffzig abzockt.

Keine Panik, so das wie gewohnt klare Wort aus Berlin - zum Ausgleich soll ja der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinken. Angesichts der zu erwartenden Wirtschaftsturbolenzen sicher eine ganz besonders sinnvolle und nahe liegende Maßnahme - oder etwa nicht? Nur eben die Oma - die hat halt Pech - denn sie zahlt (noch) keine Arbeitslosenversicherung. Selber schuld die Oma - warum iss sie nicht vorher groß bei AIG eingestiegen und hat sich dort gleich in erster Reihe über den Löffel barbieren lassen? Private Vorsorge heißt eben das Modell der Zukunft - na und wenn mal 95% flöten gehen - ned so anstellen, schließlich brauchen unsere Leistungsträger ja auch ein bischen Geld. Sind schon taff drauf, die Jungs der New Economy - hier vielleicht der Prototyp eines Zukunftmodells für wohlverstandene Eigenverantwortung?

Am Nachmittag ringt die EU sich dann - wer hätte es je zu fürchten gewagt - zu einer kollektiven Garantie für das Überleben der großen „systemrelevanten“ Banken (was auch immer man darunter verstehen mag...) durch - hinsichtlich der Sparer jedoch wurde man sich nicht einig, dort schien nicht mal eine Garantie von 100.000 € einigungsfähig (20.000 € sind es jetzt schon...). Hatte die Kanzlerette nicht grade erst...? Ja schon - aber wir müssen Verständnis haben - sie ist halt Politikerin. Wie wäre denn der Vorschlag, bis 20.000 € gar nichts - und erst darüber dann Alles zu garantieren? Nehmt Leute - greift zu... man muss auch mal gönnen können. Käme auf alle Fälle deutlich billiger und Leistung würde sich hier auch wieder so richtig lohnen.

Gespannt darf man sein, wie die Überlebensgarantie für all die weniger Vermögenden oder gar Armen angesichts der zur erwartenden Verwerfungen denn aussehen mag - oder die für die vielen Kleinrentner, deren Rente da vor gut 10 Jahren ja schon sowas von „sicher“ war. Und wie die Garantie für die Arbeitslosen erst aussehen wird. Hier bin ich persönlich besonders auf die neue Dimension der Kreativität gespannt, mit der man uns in Bälde die aktuellen Zahlen „nahe bringen“ wird. Aber hier gehts ja auch nur um Menschen - da sind doch systemrelevante Großbanken, die durch unsere Wirtschaft brettern wie Bulldozer, was völlig anderes... Am Rande von Interesse sicher auch noch die Geschwindigkeit, mit der die Buchstaben bei Finanzminister Peer Steinbrücks Plänen so durchrasseln werden. Bis heute wissen wir: Plan A gab es nicht , wie Plan B ausschaut, weiß keiner. Oder vielleicht doch lieber gleich zwei Buchstaben? Plan AA, Plan AB usw...

Dann ist da noch der Mehdorn. Der sieht in Allem nun überhaupt kein Problem - solange der Fahrplan zur Verschleuderung öffentlichen Eigentums nur ja eingehalten werde. Zur Not geht die Bahn eben auch für die Hälfte über den Ladentisch... spielt doch keine Rolex, es ist Sommerschlussverkauf und wir habens ja. Unsere Kanzlerette kaum anders - da garantiert sie doch en passant sozusagen gleich mal Alles (bis zu 1.400 Mrd € werden da geschätzt...). Nur damit die Menschen ja nicht aufwachen, und womöglich noch „ungesteuert“ aktiv werden.

Doch auch hier zeigt man weitsichtige Aktivität - inmitten sich deutlich abzeichnender Krisensymptome versuchen unsere gewählten „Elite-Vertreter“ nun noch schnell von ihrer Möglichkeit zur Grundgesetzänderung in einem besonders heiklen Punkt Gebrauch zu machen. Denn ob sie nach der Wahl 2009 selbst als große Koalition noch mal die Chance dazu haben werden, dürfte angesichts der sich für 2009 abzeichnenden Perspektiven langsam fraglich werden. Eines der ewigen Streitthemen in der großen Koalition findet so plötzlich ein nahezu geräuschloses Ende. Die Bundeswehr soll im Rahmen von „Terrorabwehr“ künftig auch im Inneren und zwar mit durchaus militärischen Mitteln Amtshilfe leisten dürfen. Immerhin viel billiger als die langen Anreisewege und Auslandsvergütungen für Bosnien, Östliches Mittelmeer und Afghanistan - wo man doch aufstocken musste, weil die Generäle sonst keine Chance zum Endsieg mehr sehen. Vielleicht können wir die Krise ja durch Ausbeutung von Afghanistan bereinigen?

Mangels konkreter Bedrohung aber wird sich vortrefflich streiten lassen, ob und was nun als Terrorbedrohung einzuordnen ist. Den Plänen nach soll die Entscheidungskompetenz beim Innen- und Verteidigungsministerium angesiedelt werden - wobei „Kompetenz“ da schon ein irgendwie mulmiges Gefühl zurück lässt. Immerhin - demnächst besteht immerhin die Möglichkeit, die eigenen Streitkräfte zu Hilfe zu rufen. Naja - irgendwo muss halt eine Terrorgefahr herbei generiert werden - aber diesbezüglich übt man ja bereits seit Längerem kräftig (Link). Dazu ein Beispiel aus dem Höhepunkt des US-Wahlkampfes: der zunehmend abdriftende Kandidat der Konservativen McCain glaubt den Terrorismus plötzlich ganz nah - nämlich im Dunstkreis des Konkurrenten Obama, mit dem gemeinsam man letzte Woche noch das Rettungspaket durchdrückte. Chapeau - Feuerzeug an - Laola - Zugabe... die Show wird immer besser. Womöglich wird dann in nicht allzu ferner Zukunft unsere Bundeswehr den dann gewählten Obama an einer Ansprache am Brandenburger Tor hindern?