Krise ON Krise OFF |
Geschrieben von Jürgen Scheffler | |
Mittwoch, 15. Oktober 2008 | |
Die einzige Konstante neben dem "O" ist hier: "Krise"! Hinter uns liegen verwirrende wie sorgenvolle Tage - und leider stehen die Zeichen gut, dass noch etliche folgen werden. Doch wer sich aufmerksam umhörte und umsah, konnte in diesen Tagen Etliches über unser Finanz- und Geldsystem erfahren und lernen. Um es mit den Sonntagstalkworten Volker Kauders (CDU) zu sagen: ...gespürt habe er schon länger, dass da was nicht in Ordnung sei. Nun - damit ist er gewiss nicht allein. Allerdings sollte er - besonders als Spitzenpolitiker - es eigentlich viel besser und vor allem genauer wissen. So genau zumindest, dass er nicht bis vor kurzem noch so viele der neoliberalen Phrasen von ausufernder Staatsverschuldung und Notwendigkeit zu immer noch mehr Deregulierung hätte nachplappern müssen. Ausnahmsweise war sogar der Sonntagsabendtalk bei Anne Will informativ. Doch dass Volksparteien ihren wirtschaftpolitischen Katechismus quasi übernacht austauschen, dass Banker aber auf einmal so kleinlaut sind - sich gar unter die Fittiche der ehemals von ihnen selbst verspotteten Staatsmacht begeben, muss nachdenklich machen. Solche Polsprünge in der öffentlichen Kommunikation und synchron dazu auch im konkreten Handeln verheißen meist wenig Gutes, vor allem in Anbetracht der Unsummen, mit denen da hantiert wird. Am glaubhaftesten an Allem mag vielleicht noch der Willen der Politik sein, die Öffentlichkeit zu ihrem eigenen Schutz nicht mehr als unumgänglich zu beunruhigen. Doch wohnt diesem Signal konstruktionsbedingt Mehrwertigkeit inne - aus wohlmeinender „Schonung“ kann unversehens auch Vertuschung oder gar Schlimmeres werden. Bevor wir uns nun der Krise und ihren Hintergründen nähern, sei dieser Link all Jenen empfohlen, die sich unter unserem gegenwärtigen Geldsystem nicht wirklich etwas Konkretes vorstellen können. „Klar weiß ich, was Geld ist..“ mögen Viele spontan sagen. Tatsache aber ist, dass es wohl auf kaum einem sonstigen Gebiet des alltäglichen Lebens derart viel Mangel an zutreffendem Wissen in der Bevölkerung gibt, wie auf dem Sektor Geld - obgleich wir wir mehr oder weniger täglich mit ihm umgehen. Dies wird auch gar nicht so ungern aufrecht erhalten - vor allem von Politikern und Experten. Eben, weil es sich auf der Ebene wertgesicherten Geldes von anno dunnemals so wunderbar einfach und auch für „Laien“ verständlich „argumentieren“ lässt - wobei wirkliches Verständnis wohl eher weniger das Argumentationsziel sein dürfte... Zur Krise selbst: angesichts hektischer Bemühungen der Wochenend-Diplomatie weltweit scheint es gelungen, zumindest die Börsen für den Moment mal an weiterer Talfahrt zu hindern. Die im Verlauf der letzten Woche arg gebeutelten Aktienmärkte erholten sich - der DAX und andere Indizes machten einen Freudenhupfer. Das muss bei einigen Predigern des Neoliberalismus wohl so eine Art Orgasmus ausgelöst haben, zumindest gemessen an dem was da so in der Presse zu finden war. Demonstriert am Beispiel Reinhard Mohr (wie manche vielleicht wissen, einer meiner „Lieblingsautoren“) im Spiegel anlässlich einer Fernsehkritik zu Friedrich Merzens „optimal“ getimter Buchvorstellung: „Mehr Kapitalismus wagen. Wege zu einer gerechten Gesellschaft“. Zitat aus Mohrs journalistischem "Prunkstück": „Binnen Stunden ist gestern der Dax, die Ausgeburt des Finanzkapitalismus, derart raketenhaft auferstanden, als sei ihm gerade der heilige Geist des unbefleckten Kapitals erschienen.“ oder „ ... ,dass der Kapitalismus... beinah immun scheint gegen Krisen aller Art, aus denen er stets gestärkt hervorgeht“. Trotz all der Anleihen beim Allmächtigen diagnostiziere ich da: klarer Fall für Zewa Wisch und Weg. Ist es denn nun geschafft? Ist die akute Brandgefahr in Weltfinanz und Weltwirtschaft abgewendet? Eigentlich ist es zu früh und die Wirksamkeit des ganzen Experimentes ohnhin nicht gesichert. Die koordinierten Planungen der führenden Industriestaaten scheinen - vorsichtig formuliert - höchst ehrgeizig. Weltweit werden schwindelerregende Unsummen „angefasst“ um vor allem im Bankenbereich wieder für Ruhe zu sorgen - angeblich. Der Kurshüpfer an den Börsen bedeutet zunächst einmal nicht mehr und nicht weniger, als dass es Menschen gibt, die der dargebotenen Show Glauben schenken und vielleicht noch welche, die mal eben - rein zufällig natürlich - plötzlich und ausgerechnet jetzt ihre tiefe Liebe zu Finanztiteln wieder entdecken. Doch es gilt zweierlei: erstens ist die Börse nicht unbedingt ein verlässlicher Indikator für den Ernst einer Lage und zweitens hat der DAX trotz mächtigen Spurts nicht einmal das Mindestniveau der Vorzeit erreicht. Doch auch ganz ohne Marder-Autopsie bestehen erhebliche Risiken. Die Zeichen in der Realwirtschaft stehen alles andere als günstig - so standen sie auch schon bereits vor dem Börsencrash. Weiter erhebt sich die Frage, ob es gelingt, die international abgestimmten Maßnahmen auch genügend schnell umzusetzen. Selbst wenn entsprechende Gesetze die Parlamente passiert haben, einige Zeit wird verstreichen, bis sie ihre reale Wirkung entfalten werden. Welche Belastungen im Gefolge des globalen Banken „Bail-Outs“ (Rettungsaktion) da nun auf die Staatshaushalte förmlich zurollen werden, steht indes in den Sternen. Allein für Deutschland liegt das beschlossene Volumen deutlich über dem eines jährlichen Bundeshaushalts. Doch nutzten Einige die kurze Verschnaufpause in den Katastrophenmeldungen sogleich. Als ob wir nicht drauf verzichten könnten, wagen sich die ersten neoliberalen Propagandisten bereits wieder aus den Löchern und entblöden sich nicht, ein altbekanntes Einsparpotential - oh Wunder - bei den Sozialkosten zu entdecken. Außer bei der Welt-Hungerhilfe könnte man ja z.B. bei 45 Mrd € für Hartz IV sicher noch so richtig was zur Beseitigung jenes Schlamassels einsparen, den Bank- und Finanzscharlatane da angerichtet haben. Immerhin geht es dabei um „Leistungsträger“ - das andere sind ja nur Menschen. Andere Facette heute im Spiegel: (der Fairness wegen wollen wir dazu sagen, dies ist eine Presseagentur-Meldung): man meldet nüchtern Umsatzplus im Einzelhandel trotz Finanzkrise. Toll - man darf schon gespannt sein, was daraus erst wird, wenn Reinhard Mohrs Feder darüber gegangen ist. Die Sinnhaftigkeit der Beitrags indes liegt schon der Logik nach auf dem Rücken - Zitat: „Wir spüren nicht, dass sich die Verbraucher durch die Krise stärker zurückhalten als sonst". Ja - warum auch um alles in der Welt sollten sie denn nun ausgerechnet gerade DAS tun? Da wird doch der Eine oder Andere sein Geld vielleicht doch eher noch schnell für etwas ausgeben, was er gerade oder bald brauchen könnte. Nun - nutzen auch wir die Verschnaufpause, um ein paar Aspekte näher unter die Lupe zu nehmen. Nach dem von den Medien seinerzeit kaum bekannt gemachten Brandbrief der „Elder Statesmen“ an die EU-Führung vom Mai (!) diesen Jahres, decken Finanztitel derzeit etwa das 15-fache des Welt-Jahres-BIP ab. Lassen Sie uns mit dieser Information mal eine kleine Betrachtung für Deutschland anstellen - es ist einfacher und übersichtlicher als man denkt. Unser Jahres-BIP liegt derzeit bei rund 2.700 Mrd €. Dies ergibt - mal 15 - astronomische 40.500 Mrd €! Selbst wenn wir sämtliche Vermögenswerte hierzulande zusammenkratzen und auch noch Oma ihr klein Häuschen sowie den mickrigen Rest verbliebenen öffentlichen Eigentums oben drauf legten: mehr als bestenfalls 12.000 bis 15.000 Mrd € würden kaum zusammen kommen. Deutlich wird - irgendwie fehlen da so um die 25.000 Mrd € - anteilig allein auf Deutschland bezogen. Die früher so oft als künftige Generationen ach so schwer belastend kritisierte Staatsverschuldung von 1.600 Mrd € macht im Vergleich dazu kaum mehr aus, als eine Wanne voll Wasser in einem Swimmingpool - zumal davon in Mehrheit Sinnvolles geschaffen und erhalten wurde. Der denkbare Einwand, möglicherweise könne dieser irre Fehlbetrag irgendwie im Ausland gedeckt sein, verfängt auch nicht so recht, denn dort bestehen ganz offensichtlich vergleichbare Verhältnisse. Der Brandbrief der „Elder Statesmen“ verrät aber noch mehr - und auch dies scheint nicht gerade beruhigend. Denn die von Statesmen skizzierten Gegenmaßnahmen geben dem unbefangenen Leser einen Fingerzeig darauf, wie die politische Bewältigung dieser Krise „gedacht“ wird. Und da ist angesichts der Zahlen zu befürchten: es mögen Ansätze sein, die früher einmal vielleicht noch etwas hätten bewirken können - inzwischen aber greifen sie wohl eher reichlich zu kurz. Und das ist es auch, was alle bisherigen „Rettungsaktionen“ kennzeichnet. Seit 2007 verpufften nicht gerade wenig Milliarden mehr oder weniger wirkungslos. Gesagt werden muss auch, dass mitnichten die Immobilienkrise und mithin ein paar Millionen zu sorgloser Hauskäufer in USA wirklich Ursache der Krise gewesen sein können. Etwas nachrechnen ergibt schnell - selbst wenn sich 1 Mio Amerikaner mit ihrer Hütte übernommen haben und Banken die beliehene Immobilie weitgehend abschreiben müssten - mehr als 200 Mrd $ / Million Fälle kann das kaum ausmachen. Die Immoblienkrise war somit wohl eher ein nicht mehr retuschierbares Symptom und nicht Krisenursache. Das Rad was da gedreht wird, ist um Einiges größer. Die Ursachen hierfür dürften eher in den - seit Jahren wider alle Vernunft hochgehaltenen - Mantras der Finanzelite und dem was da sonst noch alles so verbrochen wurde, zu suchen sein. Diese ungezählten Derivate und Zockerpapiere - vor allem die CDS (Credit Default Swaps) - scheinen Risiken in schier unkontrollierbarem Ausmaß in sich zu bergen - und insgesamt hat dieser Virus wohl die Finanzsysteme weltweit infiziert. So wird aus der in der Medienpropaganda seltsam oft zitierten „Vertrauenskrise der Banken untereinander“ da wohl eher ein ähnlicher Hoax wie die „Immobilienkrise als Ursache“ - wozu wir schon mal (nicht ohne Staunen) feststellen mussten, dass der Preisverfall auf dem US-Immobilienmarkt bereits Ende 2005 einsetzte. Dem feinsinnigen Beobachter indes mag noch in Erinnerung sein, dass man uns erst über die Auswirkung hierzulande bis hin zum HRE-Drama stets zu täuschen versuchte. Anfangs sprach man noch gern und oft in verharmlosendem Duktus von kurzfristigen Liquiditätsengpässen. Gelogen im strengen Wortsinn hat man wohl nicht - denn Liquiditätsengpässe waren ja da - man unterschlug aber, dass sie stets Anzeichen eines tiefer liegenden Problems sind. Und wenn diese Probleme nun plötzlich alle Banken haben, na - was kann das wohl bedeuten? Womöglich geht es nicht und ging es nie um kurzfristige Probleme - weder bei HRE, bei Lehmans oder sonst wo, sondern eher um systemische, die mit den vielen oben erwähnten Luft-Milliarden zusammenhängen, die sich da irgendwo in den Büchern der Banken verstecken. Somit haben wir in Wahrheit da vielleicht weniger eine Vertrauenskrise - der steile Abgrund wird es sein, in den man da bei manchen - vor allem großen - Banken blicken könnte, während der Boden unter den Füßen bereits zu bröckeln beginnt. Hier und da waren ja selbst in etablierteren Medien Warnungen zu vernehmen - so beispielsweise hier oder hier. (beachten sie das Datum beim zweiten Link...). Der Medien-Rummel aber scherte sich darum wie um so vieles andere Wichtige auch nicht und Politik samt Experten ergingen sich in Valium-Gequassel. Es ist leider eine Tatsache, dass die in den Rettungsmaßnahmen enthaltenen Änderungen zur Bilanzierung genau diesen Verdacht untermauern - denn nur damit könnte man das Ausmaß des Dramas weiter vertuschen. Doch - wovor hat man denn wohl Angst, wenn man uns so lange immer noch derart haarsträubend belügt? Ja - da gibt es etwas, und das ist gewaltiger als alle Rettungspakete und stärker als jegliches Gekungel zwischen Finanz- und Politikwelt. Käme es zu einem allgemeinen Bankenansturm, dürften das Finanzcasino - samt Macht und Einfluss - von einem auf den anderen Tag geschlossen sein. Insgesamt erhärtet sich so der Verdacht, das „Rettungspaket“ zielt also gar nicht auf geplagte Bänker, die wegen ihres Klimakteriums o.ä. in irgendwelche anfallartigen Vertrauenskrisen geraten sind. Welch ein Blödsinn auch - das sind beinharte Profis und keinesfalls zartbesaitete Pastorentöchter. Und vor allem - sie nahmen bisher auch sonst nichts wahr, was sich nicht irgendwie direkt in einer Bankbilanz widerspiegelte. Eine Position „Vertrauen“ gibt es dort ebenso wenig, wie eine namens "Umwelt" oder "Soziale Verantwortung". Worum es hier wohl eher geht, scheint, der Öffentlichkeit sowohl das wahre Ausmaß der Katastrophe sowie deren Zusammenhänge, Akteure und Profiteure zu verschleiern. Wenn Sie also in diesen Tagen „Vertrauenskrise unter den Banken“ lesen - nehmen Sie es mehr als Prophetie. Wirklich damit gemeint sein könnte vermutlich eher das, was eintreten könnte, wenn jemals heraus käme, was da wirklich gerade abgeht. Denn das so viel thematisierte „Vertrauen“ ist die Archillesferse des gesamten Molochs, der da vor sich hinwuchert. Eine Krise hier bedeutet eine Krise des Vertrauens der Bevölkerung in ihr Geld, in die Banken - und angesichts der frischen „Traumhochzeit“ - am Ende womöglich auch noch in ihre Politiker. Grund zu Panik besteht für normale Menschen noch nicht unbedingt. Entschieden wird unsere Wirtschaftszukunft ohnehin in den Realwirtschaften der Staaten. Die aus den Fugen geratene Finanzwirtschaft samt all ihrer „innovativen Produkte“ gibt grad halt mal die „Titanic“ und scheint gar nicht mehr in der Lage, überhaupt noch einen Beitrag zu irgendetwas Brauchbarem zu liefern. Hardliner Roland Koch indes hielt es letzte Woche noch für nötig, in einem Interview darauf zu beharren, es sei ohne jeden Zweifel richtig gewesen, Risiken handelbar zu machen... Soso - da kann man Frau Ypsilanti wirklich nur noch die Daumen drücken. Mir persönlich ist es ohnehin völlig Schnuppe wieviel Vermögen Kochs Freunde (seine eigenen Worte...), also die Multi-Millionäre und Multi-Milliardäre, verlieren - Es kratzt mich nicht die Bohne. Letztlich bleibt auch ihnen: sie können immer noch ALG2 beantragen - aber bitte erst hübsch die Kontoauszüge der letzten drei Monate vorlegen!
Was
mich in der Gesamtschau eher bedrückt, ist indes, dass ich mir
so überhaupt nicht mehr sicher bin, ob die uns präsentierte
Show vom Wiedererstarken der Politik und der neuen Bescheidenheit der
Banken auch wirklich den Tatsachen entspricht. Mein Unbehagen mag
vielleicht mit meiner persönlichen Vertrauenskrise zu unseren
Medien zusammenhängen, aus der ich seit Jahren immer nur
Eines lerne: Think the opposite! Und damit stellt sich die
Frage - Was, wenn momentan nicht die Staaten die Banken
übernehmen, sondern umgekehrt: die
Banken übernehmen die Staaten?
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