Ende der Unschuld
Geschrieben von Jürgen Scheffler   
Sonntag, 6. August 2006

Japan - im Zweiten Weltkrieg am 6. August 2006 vor 61 Jahren: kurz nach 7 Uhr Ortszeit wird im hoch sommerlichen Hiroshima Luftalarm gegeben. Seit einiger Zeit machen Gerüchte über eine massive Bombardierung der bislang verschonten Stadt die Runde, und so mögen viele Menschen erleichtert gewesen sein, als der Alarm knapp eine halbe Stunde später wieder aufgehoben wird. Dass gegen 8 Uhr schon wieder das Brummen von Flugmotoren in der Luft liegt, ist nicht ungewöhnlich - seit einiger Zeit schon kreisen amerikanische Flugzeuge vereinzelt immer wieder über Hiroshima ohne dass je etwas Besonderes geschehen wäre. Was die Menschen der erwachenden Großstadt nicht ahnen - diesmal sollte das fast schon vertraut gewordene Geräusch Vorbote der Apokalypse sein.

Das geblendete Auge eines Hiroshima-Opfers

 

 

 

 

 

 

Um 08:13 meldet ein Armeeposten die erneute Sichtung dreier B29-Bomber, woraufhin das örtliche Armeekommando einen weiteren Luftalarm vorbereitet. Als um 08:15:50 die übliche Warnung über den Äther geht, kann diese ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Bereits vor 33 Sekunden hat ein Objekt auf etwa 9.000 Meter Flughöhe den Bombenschacht einer der B29-Bomber verlassen - es hört auf den verniedlichenden Namen "Little Boy". Nur 10 Sekunden vergehen noch, bis sich aus einer kleinen purpurnen Feuerkugel in rund 580 m Höhe ein riesiger Feuerball auf bläht und dann unter Ausstrahlung eines weithin sichtbaren grellen Lichtblitzes ein Inferno entfacht. Druck- und Hitzewelle folgen dem Lichtblitz weit ins umgebende Land - noch in etlichen Kilometern Entfernung fangen Bäume Feuer. Eine gigantische Rauchsäule aus Qualm, Staub und Ruß schießt geradewegs in den Himmel und verlangsamt ihren Aufstieg erst in über 10 km Höhe.

Die Atombombe Little Man

 

 Der B29 Bomber Enola Gay

 

 

 

 

Der Atompilz über Hiroshima
 


        

  Der Atompilz beim Aufsteigen












 

Nach rund 3 Minuten hat sich der charakteristische Atompilz herausgebildet. Zehntausende Einwohner von Hiroshima leben nicht mehr - viele sind einfach verdampft, andere bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Ein Feuersturm vervollständigt inzwischen das Zerstörungswerk auf dem Boden. Wie ein Mahnmal, dessen Mahnung zu diesem Zeitpunkt wohl niemand recht begreift, steht der Pilz noch immer hoch über Hiroshima als die ihn auslösende B29 schon längst im Abflug ist. Zwanzig Minuten nach der Zündung setzt am Ort des Entsetzens, wie zur Steigerung desselben, etwas Gespenstisches ein - schwarzer Regen!

Das Inferno


Was die Überlebenden - möglicherweise in dem Glauben, sie seien noch einmal davon gekommen - noch nicht wissen, ist, dass viele unter Ihnen die, die gleich verdampften, noch beneiden sollten. Als Rauch und Qualm sich lichten, wirkt jener Platz auf dem vor kurzem noch Großstadtleben pulsierte, mehr wie ein flüchtig ausgefegter Ballsaal. Kolonnen geschundener Gestalten flüchten sich aus einem Meer von Trümmern, Schutt und Asche in das umgebende Land: teilweise grauenhaft entstellt, schwer verletzt.

Leergefegt: der Platz wo zuvor eine Großstadt pulsierte...

 

 

 

Damit nicht genug - bald verlieren mehr und mehr ihre Haare, ihre Haut wird fleckig, beginnt scheinbar grundlos zu bluten, viele siechen - äußerlich fast unversehrt - mit schwersten inneren Blutungen dahin. Die Qualen, die von der tödlichen Fracht des schwarzen Regens künden, müssen entsetzlich gewesen sein. Ärzte und Helfer sind machtlos. Sie wissen nicht, dass der schwarze Regen als nuklearer Fallout hoch radioaktiv belastet war. Und selbst wenn sie gewusst hätten, hätten sie wohl kaum etwas ändern daran können, dass in den Folgemonaten nach 80.000 Sofortopfern weitere 60.000 Menschen unter unvorstellbaren Qualen sterben. Die Spätfolgen, die vereinzelt bis heute anhalten, erhöhen die Opferzahl seitdem noch einmal um 100.000.


 

Angesichts dieses Szenarios versagt die menschliche Vorstellungskraft - niemand der nicht direkt betroffen war, wird je auch nur eine ungefähre Vorstellung von dem Grauen bekommen, welches an diesem Ort geherrscht haben muss. Keine Worte, keine Bilder werden je einfangen können, wie sich ein Mensch gefühlt haben muss, wenn er - soeben dem Inferno entkommen - plötzlich bei sich selbst jene Symptome der damals vollkommen unbekannten Strahlenkrankheit entdeckt, an denen er schon so viele seiner Leidensgenossen hat sterben sehen.





Warum?

 

 

Auch Oberst Paul W.Tibbets, Staffelkapitän und Pilot des auf "Enola Gay" getauften Bombers, aus deren Bombenschacht das Grauen auf Hiroshima niederging, wird hiervon bis heute nicht wirklich Vorstellung haben - und allem Anschein nach auch nicht haben wollen. Man hatte seinen Job gemacht - alles hat wunderbar funktioniert - Feierstimmung! An Bord der B29 war man sich zu diesem Zeitpunkt angesichts des Beobachteten vermutlich sicher, einen entscheidenden Beitrag zu einem schnellen Ende des Krieges geleistet zu haben.

Die Crew der Enola Gay

 

 


Dabei belegen unzählige Quellen, dass Japan hinter den Kulissen schon längst über Kapitulation verhandelte. Marine und Luftwaffe Japans waren praktisch kaum noch existent. Militärstrategisch war Japan bereits geschlagen.

 Schatten an der Wand - mehr blieb von manchem nicht...

 

Allein um die Nachkriegsposition des Tennos und die Bedingungslosigkeit der Kapitulation wurde noch diplomatisch gerungen. Vermutlich aber brachten die jüngsten Fortschritte im konventionellen Krieg ein gigantisches Geheimprojekt in Bedrängnis, in das Milliarden von Dollar geflossen waren: das Manhattan-Projekt unter der Leitung von General Leslie R.Groves und dem amerikanischen Physiker J. Robert Oppenheimer. Dessen Ziel war die Entwicklung einer neuartigen Waffe, die Atombombe.

 

 

 

 

 

 

 

Obskure Umstände


 

Nur drei Wochen waren vergangen seit der ersten Zündung einer solchen Waffe überhaupt. Beim so genannten Trinity-Test in der Wüste des US-Staates New Mexiko zwischen Alamogordo und Albuquerque war am 16. Juli 1945 die erste Atombombe der Geschichte gezündet worden. Vor der Öffentlichkeit verborgen setzte sie dort eine Sprengkraft von 21 kT frei und überzog einen ganzen - allerdings kaum bewohnten - Landstrich mit radioaktiver Verseuchung.

 

Der erste Atombombentetest "Trinity" am 16.07.1945 in der Wüste von New Mexico


Die Hiroshima-Bombe "Little Boy" folgte einem anderen Konstruktionsprinzip als die beim Trinity-Test und später in Nagasaki verwendeten Bomben, dessen Handling als nicht unproblematisch galt. So groß war der Respekt vor der Unsicherheit dieses Designs, dass "Little Boy" erst im Anflug auf Hiroshima an Bord der Enola Gay fertig montiert wurde. Erfahrungen über Atmosphärenzündungen bestanden nicht, somit war nicht einmal die Sicherheit der abwerfenden Maschinen garantiert.


 

Aber die Auswertungen des Trinity-Tests konnten auch gar nicht allzu weit gediehen sein, als noch am selben Tag [ 1 ] der schwere Kreuzer CA-35 "Indianapolis" in geheimer Mission mit etwa 90% der Uranmasse für "Little Boy" an Bord in See sticht. Die gefährliche Fracht wird 10 Tage später auf Tinian, der Basis von Tibbets Staffel, gelöscht.

US-Navy Kreuzer Indianapolis - eine Geheimmission bedeutete den Tode für viele Schiffbrüchige

 

 

Episode am Rande: Die "Indianapolis" sinkt 4 Tage später durch Torpedotreffer des japanischen U-Boot I-58 in der philippinischen See. Der hohe Geheimhaltungsgrad behindert die Rettungsmaßnahmen. Von den etwa 900 der insgesamt 1.196 Besatzungsmitglieder, die den Untergang überleben, werden nur 317 gerettet. Noch schlimmer: der US-Navy war bekannt, dass japanische U-Boote in der Region kreuzten. Dennoch befiehlt man die Indianapolis ohne jede Eskorte zum Verband des Schlachtschiffs Idaho (ein einmaliger Akt im ganzen Krieg [ 2 ] ). Die "Indianapolis" wird für zwei Wochen - bis zum Tage der Bekanntgabe der japanischen Kapitulation - zu einem Geisterschiff. Erst dann wird ihr Verlust bekannt gegeben. Der Gipfel: der Kommandant der Indianapolis, Captain McVay (Filmtipp), wird nach Kriegsende vor einem Marinetribunal der Vernachlässigung seiner Dienstpflichten für schuldig befunden, weil er angeblich Ausweichmanöver nicht in der korrekten Form befohlen hätte.

Nagasaki


 

Doch zurück zum ganz großen Grauen: Ist im Falle "Little Boy" schon eine gewisse Hektik der Akteure fest zu stellen, so machen die Umstände des Abwurfs des Plutonium-Bruders "Fat Man" am 9. August 1945 erst recht stutzig. Ohne ausdrücklichen Befehl des Präsidenten befiehlt die US-Generalität trotz aufziehenden Sturmtiefs den Einsatz von "Fat Man". Nach drei erfolglosen Sichtanflügen auf das Primärziel Kokura wählt der Kommandant des B29-Bombers "Bockscar" aus Tibbets Staffel, Captain Charles Sweeney, den Radaranflug auf das Sekundärziel Nagasaki in der Hoffnung dort bessere Sichtverhältnisse vorzufinden.


Die Nagasaki Bombe Fat Man - niemand wird wohl die Autogramme des Leitwerks gelesen haben

 Wie die Zerstörungen sich gleichen - Nagasaki vor und nach der Bombe

 

  

 

 

 

 

 


 

 

 

 

Angeblich sei die Wolkendecke kurz vor dem Abwurf dann auch kurz aufgerissen, quasi um dem Befehl des Sichtanflugs genüge zu tun. Zweifel diesbezüglich dürfen bleiben - wahrscheinlicher klingt da die Version, dass man mit der schweren Fracht (4,5 Tonnen) langsam in Bedrängnis mit dem Kraftstoffvorrat für den Rückflug geriet.


Die B29 Bockscar aus Tibbetts Staffel auf Tinian

 

Erreichte "Little Boy" über Hiroshima mit 12,5 kT TNT-Äquivalent nur zweidrittel der erwarteten Sprengkraft, erfüllt "Fat Man" mit rund 22 kT entwickelter Sprengkraft voll die Erwartungen seiner Schöpfer. Die Schilderungen über das Ereignis in Nagasaki sowie die Opferzahlen unterscheiden sich letztlich nur wenig von denen aus Hiroshima. Ein neues Zeitalter hatte begonnen: Der Atompilz war zu Symbol und Mahnmal dafür geworden, dass es keine prinzipiellen Grenzen in jenem Leid zu geben scheint, dass der Mensch seinem Artgenossen anzutun imstande ist. Dieses Mahnmal steht heute noch - und noch heute leiden Menschen an den Spätfolgen dieser Barbarei.

 Der Atompilz über Nagasaki in voller Gestalt


Resultate


Zeit die Frage zu stellen, was haben die beiden Atombombenabwürfe gebracht? Abgesehen von zigtausendfachen Leiden und Qualen bleibt aus heutiger Sicht nur die erschütternde Antwort: Nichts - zumindest was den Krieg mit Japan angeht. In der nachher zusammen geflickten Legende der offiziellen Meinung ist zwar von dem entscheidenden Impuls für die Kapitulation Japans schlechthin die Rede, doch dürfte man dies getrost ins Märchenbuch heften.

Die Kriegslage im August 1945

 

 

Militärisch waren die beiden Einsätze fragwürdig - zwar beherbergte Hiroshima das Hauptquartier einer japanischen Armee - doch hätte dieses auch gezielter bekämpft werden können, ebenso wie das angebliche Ziel einer Marinewerft in Nagasaki, das zudem aufgrund der ungünstigen Wetterbedingungen um einiges verfehlt wurde. Beim ganz überwiegenden Teil der Opfer handelt es sich - in nahtloser Tradition zu den seit Jahren schon praktizierten konventionellen Terrorangriffen in Japan wie zuvor in Deutschland - um Zivilisten, vor allem Alte, Frauen und Kinder. Sowieso hatten die USA alle militärischen Trümpfe längst in der Hand. Völlige See- und Luftherrschaft hätten Japan auch ohne weitere groß angelegte Landemanöver kurz über lang in den Zusammenbruch getrieben - vor allem in Anbetracht des unmittelbar bevorstehenden Kriegseintritts der Sowjetunion, der sich allein wegen strittiger Zusagen an Stalin verzögerte.

Die Flugroute von Tinian nach Japan

 

 

Das Argument der amerikanischen Generalität für den Nagasaki-Abwurf nur 3 Tage nach Hiroshima steht auf tönernen Füßen: als Begründung wurde die japanische Nichtreaktion auf Hiroshima angegeben - doch muss den Generälen eigentlich auch klar gewesen sein, dass die japanische Führung zu diesem Zeitpunkt nicht einmal annähernd einen Überblick über das haben konnte, was in Hiroshima wirklich geschehen war. Fest steht weiter, dass offenbar auch Nagasaki Japans Führung nicht in die sofortige bedingungslose Kapitulation zwingt. Eher das Gegenteil tritt ein: Fanatisierte japanische Offiziere widersetzen sich zunehmend der Kapitulatonslinie der Politik. Viele von ihnen begehen rituellen Selbstmord, als der Tenno zugunsten einer Kapitulation eingreift. Zur Kapitulation Japans am 15. August 1945 kommt es schließlich, als die USA den Japanern verdeckte Zugeständnisse machen, die möglicherweise - wären sie zuvor gemacht worden - den Krieg schon vorher beendet hätten. Was sicher eine entscheidende Rolle spielte, dürfte eher der am 8. August 1945 erfolgte Kriegseintritt der Sowjetunion gewesen sein. Noch am selben Tag bricht eine lang vorbereitete Sowjet-Offensive gegen die von den Japan besetzte Mandschurei los - Stalin will auch von diesem Kuchen noch etwas abgekommen. Ein Blick auf die Karte weiter oben macht klar, dass die in kürzester Zeit zu erwartende Befreiung des japanischen Erzrivalen Korea dem Rest des großjapanischen Reches das Rückgrat gebrochen hätte.

 

Ein weiteres Indiz für erhebliche Ungereimtheiten ist sicher in den nachher bewusst lancierten Horrorszenarien von angeblich unvermeidlichen Landungen auf den japanischen Hauptinseln zu sehen, in denen von bis zu 1 Million Opfer unter den US-Soldaten fabuliert wurde. Führende Köpfe aus US-Militärs und Politik jedenfalls distanzierten sich in der öffentlichen Diskussion der Folgejahre vielfach von einer militärischen Notwendigkeit der beiden Atombombenabwürfe.


Die Frage nach dem Warum bleibt


Wenn militärische Gründe fraglich bleiben, war es denn wirklich - wie auch oft zu lesen - etwa ein geradezu prophetischer Schachzug Trumans, in Ahnung der aufziehenden Ost-West-Konfrontation Stalin einzuschüchtern, dass ihn die Atombombeneinsätze befehlen ließ? Auch hierfür spricht bei näherem Hinsehen nicht wirklich viel. Truman hätte sich aus heutiger Sicht weit verdienter machen können, hätte er alles daran gesetzt, die Sowjetunion ganz aus dem Krieg mit Japan herauszuhalten.


Schließlich sind nicht zuletzt diesem Kriegseintritt bis heute anhaltende Konsequenzen, wie die Spaltung Koreas oder der weitere Aufstieg Mao Tse Tung's mit der bis heute brisanten Lage um Taiwan verdanken. Schwer zu glauben, dass so gar nichts davon vorhersehbar gewesen sein soll - es sei denn man nennt das Kind beim Namen: politischer Dilettantismus.

  

Truman - Der US-Präsidente der die Verantwortung trug

 

Aber selbst dieses Argument vermag nicht zu erklären, woher diese ebenso ungewöhnliche wie eindeutig nachzuweisende Eile mit den beiden Atombombenabwürfen stammt. War es nicht eher so, dass nach dem aus Sicht der Manhattan-Leute vorzeitigen Zusammenbruch Hitler-Deutschlands nunmehr das zweite und vorläufig letzte Real-Testfeld wegzubrechen drohte, wenn Japan kapituliert?


 

War es nicht eher so, dass dort ein frisch gebackener Präsident Harry S. Truman stand, der über Jahre der Öffentlichkeit unbekannte Milliarden-Dollar-Ausgaben für das Manhattan-Projekt zu verantworten hatte? Ein Projekt, an dem zwischenzeitlich bis zu 300.000 Menschen mitwirkten? Über ein Jahr brauchten ganze Zentrifugen-Fabriken, um jene Mengen an Uran und Plutonium für die ersten drei Bomben anzureichern. Wäre das gewaltige Feuerwerk in der Wüste von New Mexiko allein hinreichende Rechtfertigung für diese gigantischen Ausgaben gewesen?


Der Befehl des Präsidenten - der vieles offen lässt...

 


 

 

 

 

Auch dass die verheerenden Folgen der Einsätze für die Entscheider nicht vorhersehbar waren, kann als Argument nicht gelten - es gälte ohnehin maximal für Hiroshima. Doch hatte der Trinity-Test sehr wohl eine grobe Abschätzung der Folgen erlaubt. Es ist überliefert, dass die der Spezialstaffel angehörenden Piloten sehr wohl wussten, dass sie hundert tausendfachen Tod ans Ziel transportieren. Die Zielauswahl weitgehend unzerstörter Städte spricht ebenfalls dafür, dass man das genaue Studium der Wirkung dieser neuen Waffe fest im Blick hatte.




In geradezu Zorn erregendem Ausmaß blockierte die US-Besatzung nach Kriegsende bis in die 50er Jahre hinein die weltöffentliche Untersuchung und teilweise auch die Hilfe für die Opfer von Hiroshima und Nagasaki. Noch viele weitere Jahre lang wurden vor allem die verheerenden Strahlungsfolgen vor der eigenen und der Weltöffentlichkeit geheim gehalten.


Fazit


Nach Jahrzehnten den moralischen Zeigefinger in die Wunden vergangener Epochen zu legen, mag wohlfeil erscheinen. Doch kann dies nicht die Frage nach dem Menschenbild der Mächtigen jener Zeit beiseite schieben - dies allein deswegen schon nicht, weil man sich gerade heute keinesfalls sicher sein kann, dass sich daran wirklich viel geändert hätte.


Wenn die zusammen rund ein halbe Million Menschen von Hiroshima und Nagasaki nicht vergebens ihr Leben gelassen haben sollen, dann geht es vor allem darum, den Menschen in unseren heutigen angeblichen Demokratien eines klar zu machen: die menschliche Zerstörungskraft hat ein Ausmaß erreicht, welches weder politischen Dilettantismus noch regierungsamtliche Geheimniskrämerei auf Dauer verzeihen wird.

Hollywood verarbeitete das Ganze auf seine Weise - Opfer fanden kaum statt

 

 

Wenn denn George W. Bush, der inzwischen 43. Präsident der USA, schon so gerne nach den wahren Erfindern modernen Terrors sucht, so sollte er unbedingt mal etwas eingehender in den ihm - und nicht der Öffentlichkeit - zugänglichen Geheimakten seiner Vorgänger stöbern. Was denn - wenn nicht Terror - ist es, wenn man Hunderttausende von Zivilisten hin schlachtet, nur um eine neue Waffe "auszuprobieren"? Hatte man denn nicht schon aus dem jahrelangen Dauerbombardement Deutschlands längst gelernt, dass solcherlei Akte der Barbarei einem straff organisierten Regime das Rückgrat nicht brechen, sondern es eher noch stärken? Eigentlich müsste es dem bekennenden "Christen" Bush heute noch eiskalt den Rücken her unterlaufen angesichts des Namens "Trinity" für den ersten Atombombentest, was auch Dreifaltigkeit bedeutet und damit auf eine der Grundlagen christlichen Glaubens hinweist. Auch wenn dies von den Bombenvätern dem Vernehmen nach nicht beabsichtigt war, wurde die Hiroshima-Bombe deswegen in Japan auch die "christliche Bombe" genannt.

 

Diese Briefmarke (1998) von den durch Atombombentest verwüsteten Marshall-Inseln kommt der Wahrheit näher

 

All das Vorangegangene zeigt mehr als deutlich: Hiroshima und Nagasaki waren keine Naturkatastrophen - sie waren menschgemacht und menschgewollt - und folglich sind es auch Menschen, die ihre unauslöschliche Schuld daran tragen. Allein der glimpfliche Ausgang des atomaren Wettrüstens und die Tatsache, dass über Nagasaki zum bislang letzten Mal diese verheerende Waffe gegen Menschen eingesetzt wurde, spenden noch einen Funken Hoffnung auf einen letzten Rest Vernunft in den Hirnen der Menschen und der von ihnen erkorenen oder geduldeten "Mächtigen".


 

Schaut man in diesen Tagen zu Atommächten wie USA, Nordkorea, Israel, Indien, Pakistan oder demnächst vielleicht auch noch zu Iran, ist ernste Sorge um diesen Funken wohl durchaus angebracht. Von dem unter geradezu chaotischen Verhältnissen frei liegenden Nuklear-Potential der ehemaligen Sowjetunion ganz zu schweigen. Ob und Wer als nächstes von der infernalischen Zerstörungskraft Gebrauch machen wird, ist nicht vorhersehbar - vorhersehbar aber ist, dass wieder nicht die wahren Schuldigen sondern - wie fast immer - unbeteiligte einfache Menschen die Leidtragenden sein werden.

Das Atombomben-Museum in Hiroshima - damals und heute

Dass der Miltärhegemon USA im Verein mit diesen anderen Mächten genannt wird, hat einen Grund. Wenn es dieser Nation nicht bald einmal gelingt, ihre eigene Vergangenheit aufzuarbeiten, könnte genau diese lange Schatten in unser aller Zukunft werfen. So gesehen kann man Hiroshima wohl wirklich als das Ende der Unschuld einer ganzen Nation verorten. Möglicherweise markieren die Vorgänge um das Manhattan-Projekt aber auch den Anfang obskurer Staat-im-Staat-Strukturen dort, die bis heute fort wirken.

Schier unfassbar: 50 Jahre danach gab es in den USA das Vorhaben, eine Briefmarke zum Gedenken an Hiroshima herauszugeben. Allerdings in einer ohne Umschweife pervers zu nennenden Interpretation: Der Atompilz quasi als Katalysator eines menschenfreundlichen Kriegsendes - und es erhebt sich die Frage, ob nationalistische Engstirnigkeit und Verhöhnung von Opfern noch steigerbar sein kann. Aufgrund massiver diplomatischer Intervention Japans verschwand dieses Vorhaben in der Versenkung. Der Wahrheit wäre die oben abgebildete Marke der von Atombombentests geplagten Marshall-Inseln aus dem Jahre 1998 ohnehin viel näher gekommen.

Fast 60 Millionen Menschen ließen in den sechs Jahren des Zweiten Weltkriegs ihr Leben. Welchen Sinn außer jenem, von der Geschichte zu lernen, könnte dies wohl haben? Hiervon ist in weiten Teilen der heutigen USA wenig und in regierungsamtlichen Stellen gar nichts festzustellen. Im Gegenteil: der heute propagierte High-Tech-Krieg minimiert militärische und maximiert zivile Verluste - und man ist sogar noch stolz darauf. So kann wohl nur ein Volk empfinden, dass noch nie in seiner Geschichte die Auswirkungen dieser Haltung am eigenen Leibe zu spüren bekommen hat. Und diese Nation mit ihrer fragwürdigen Demokratie sitzt an den Kontrollhebeln der gewaltigsten Militärmaschine aller Zeiten - der von ihm gewählte Präsident wirbt derzeit bereits wieder für einen Waffengang gegen ein 70 Millionen Volk.


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