Im Darwin-Jahr: Darwin widerlegt? |
Geschrieben von Jürgen Scheffler | |
Sonntag, 6. Dezember 2009 | |
In den letzten Jahren ist eine merkwürdige Zunahme der Kritik an Darwins Evolutionstheorie zu verzeichnen. War solches früher eher religiösen Fanatikern vorbehalten, scheint es inzwischen sogar eine wachsende Anzahl Stimmen aus der Wissenschaft zugeben, die an Darwins Theorien und ihren Nachfolgern zerren. Prinzipiell ist in solchen Fällen für den modernen Menschen zwar Gelassenheit angebracht, denn getreu dem naturwissenschaftlichen Prinzip war bislang davon auszugehen, dass einer überholten Theorie eine bessere, leistungsfähigere folgt. Leistungsfähiger deshalb, weil sie uns ein besseres Verständnis der uns umgebenden Welt und unseres Wirkens darin ermöglichen sollte. Dieses in den letzten 150 Jahren überaus bewährte Prinzip scheint nun ins Wanken zu geraten. Aber es steht nirgendwo geschrieben, dass Umstürze - wenn es auch "nur" wissenschaftliche sind - zwangsläufig zu Besserem führen. Für Kenner mag das Schicksal der antiken griechischen Philosophie und Naturwissenschaft um ca. 500-400 vor Christus als Mahnmal berufen sein. Schon einmal wurden selbst aus heutiger Sicht noch fortschrittliche Lehren im Interesse von ominösen Machtkulten umgestoßen. Stellvertretend für eine Vielzahl subtiler Zusammenhänge mag hier in den Raum gestellt sein, dass unsere zu damaliger Zeit bereits als sonnenumkreisender Ball erkannte Erde nur wenige Jahrhunderte danach in ein tumbes Zeitalter eintrat, wo sie für über anderthalb Jahrtausende zu einer vernunftwidrigen Scheibe mutierte, um die sich dann auch noch das gesamte Universum zu drehen hatte. Anlass genug, die aktuelle Entwicklung kritisch zu hinterfragen, gerade weil zu befürchten steht, dass hier selbst Wissenschaftler sich ohne ihr Wissen zum Erfüllungsgehilfen einer neuen, kranken Zeitgeistströmung machen. Intelligent Design - eine nachgewiesen aus einschlägiger Richtung inszenierte Neuauflage des noch deutlich erkennbar religiös motivierten Kreatonismus der 50er Jahre. Gut erkennbar auch daran, wem diese merkwürdige Strömung zuerst ans Bein pinkelt: Darwin und seine Theorien waren schon zu seinen Lebzeiten religiösen Gralshütern ein Dorn im Auge. Nach nun über hundertfünfzig Jahren erfolglosen Anbrandens gegen die bestechende Logik in Darwins Theorien und ihren Nachfahren will man die Gunst der Stunde im gegenwärtig rückwärtsgerichteten geistigen Klima für ein Rückschwingen des Pendels nun endlich beim Schopfe fassen. Anders als der noch stark biblisch angehauchte Kreatonismus kommt Intelligent Design scheinbar in streng wissenschaftlichem Gewande daher. Und macht dann so überaus sinnvolle Feststellungen wie diese: Darwins Theorie könne vielleicht erklären, wieso Galapagos-Finken unterschiedliche Schnabelarten haben, aber sie beantworte nicht die Frage, wieso der ganze Vogel überhaupt da sei… Toll - gemessen an so einer Aussage kann man jede naturwissenschaftliche Theorie gleich in den Mülleimer schmeißen. Am Liebsten möchte man entgegnen: Wie bitte mag denn Intelligent Design das ja so gar nicht ökonomische Vorhandensein verschiedener Schnabelformen bei nur einer Tierart in einem Mikro-Biotop erklären wollen? Aber "Intelligent Design" soll ja nicht erklären, sondern widerlegen… *Auch das gab schon reichlich: siehe Kirchengeschichte…* Die Prinzipien des scheinbar so wissenschaftlich daher kommenden "Intelligent Design" leisten im Kern denn auch absolut nichts anderes als die Auflösung jeglicher Erkenntnis. Nämlich in der Weise, dass für alles Unerklärliche sogleich eine anonyme "Intelligenz" auf den Plan gerufen wird, die das alles eben "irgenwie" so gemacht habe, dass es nun so sei. Die Protagonisten von ID indes vermeiden es geradezu ängstlich, das Wort "Gott" mit dieser von ihnen permanent strapazierten Intelligenz in Verbindung zu bringen. Diesen letzten von vielen Kurzschlüssen überlassen sie dann lieber ihrem von Jahrtausenden geistiger Umnachtung heute immer noch vorgeprägten Publikum. Und sie finden - wen mag es im Zeitalter der Wieder-Verblödung noch wundern - Zulauf dabei. In einer der wie stets professionell wie suggestiv aufgemotzen "Doku's" aus dem englischen Sprachraum widmete man gleich einen erheblichen Teil der Sendung einem uralten Brauch: nämlich dem aus längst vergangenen Jahrhunderten allerbestens bekannten "Gottesbeweis". Und der geht ungefähr so. Man klaubt neueste Forschungserkenntnisse zusammen, nach denen biologischer Aufbau und Funktionsweise der Geißel von Geißeltierchen sich als faszinierende biologische Maschine entpuppt. Wow - wirklich beeindruckend. Zwar strotzen unsere gesamte biologische Umwelt und nicht zuletzt wir selbst nur so von derartig genialen Konstruktionen, sodass das Geißeltierchen in dieser Hinsicht nicht im Geringsten irgendetwas Besonderes darstellt - aber darauf möchte man ja eher weniger hinaus. Stattdessen erzeugt man im Computer (wozu die alles gut sein können…) ein 3-D Modell des Geißel-Apparates, das sicherlich nicht zufällig einem Außenbordmotor ähnelt. Für einen Motor nämlich werden viele Zuseher zurecht beanspruchen, diesen primitiven mechanischen Apparat wenigstens ein bischen zu verstehen (was natürlich keineswegs für die Funktion der Geißel bei Flagellaten gilt…). Ist aber auch nicht wichtig - denn das Motorabbild kommt grad recht für eine völlig ohne jeden Nachweis in den Raum gestellte "Hilftstheorie": diese Geißel sei nicht nur genial konstruiert, auch verkörpere sie ein Minmalprinzip in dem Sinne, dass auch nicht das kleinste Bauteil an ihr fehlen könne, ohne dass sie ihre Funktion vollständig verlöre. Nun - frisch behauptet ist halb bewiesen. Den Beweis für diese Aussage, die so im übrigen für die meisten biologischen Mikrosysteme zutreffen dürfte, möchte ich jedenfalls nicht führen müssen. Vollkommen verschwiegen wird indes die Tatsache, dass höhere Lebensformen sehr wohl intensiv und überwiegend sogar nachweisbar Gebrauch von Redundanz als überlebensförderlichem Prinzip machen. Doch weiter mit der Hilfstheorie. Aus dieser leitet man nun nicht weniger unverfroren - und erneut logisch unzulässig - ab: es könne wegen der "Hilfstheorie" für diesen Geißelapparat keine Vorläufer gegeben haben, da es ja nichts mehr gebe, was an ihm fehlen könne. Sodann wird gefolgert (zur Abwechslung zumindest im Ansatz logisch): Wenn es keine Vorläufer gegeben haben kann, kann dieser Mechanismus auch nicht durch die Evolution hervorgebracht worden sein. Und nun folgt ein gänzlich bizarrer Kurzschluss: wenn es nicht die Evolution war, die diese Maschine schuf, dann MUSS Intelligent Design dahinter stecken. Dieses verbirgt sich in der "Sprache des Lebens", der DNA, denn aus ihr bauen sich die Organismen ja auf (was so auch nicht ganz zu stimmen scheint…). Und wenn dies beim Geißeltierchen so ist, dann MUSS es zwingend bei allen anderen Lebensformen auch so sein, denn sie alle sprechen ja in etwa die gleiche Sprache des Lebens. Und schwupps - fertig ist der Gottesbeweis, an dem nur noch die Gleichsetzung zwischen der anonymen Schöpfer-Intelligenz und eben dem althergebrachten großen Bärtigen fehlt. Wow - dem muss ein durchschnittlicher Schulabsolvent erst einmal was entgegen setzen können. Motoren kennen viele Menschen zumindest etwas. Es klingt einleuchtend: nimmt man da ein Bauteil raus, wird das Ding mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr funktionieren. Dass die Natur ihre Produkte nicht mit AutoCAD entwickelt, hat sich offenbar noch nicht bis zu den "Intelligenten Designern" rumgesprochen. Angesichts dieses simplifizierten - aber leider nicht unbedingt erkennbar - falschen - Bildes fügt sich doch tatsächlich eine auf den ersten Blick überzeugend wirkende Argumentationskette zusammen. Davon, dass in ihr nahezu jeder Schritt von Verfälschung, Unwissenschaftlichkeit und Verletzungen der Logik nur so strotzt, nimmt der Zuseher nichts wahr. Stattdessen wird er überrollt mit Aussagen von irgendwelchen daher gelaufenen Doktoren und Professoren und tollen Animationen aus dem Bereich der Mikrobiologie. All das soll dem ganzen jenen Anstrich verleihen, der der Kernargumentation so sehr abgeht: Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Doch wie ist es nun mit der Geißel der Flagellaten? Die Antwort ist einfach. Nirgendwo steht geschrieben, dass ein Einzeller unbedingt genau solche Apparate hervorbringen muss, wie wir sie auf unserem heutigen - keineswegs vollständigen - Wissensstand von unserer aktuellen biologischen Umwelt her kennen. Der Evolution selbst indes ist es vollkommen wurscht, auf welche Weise sich Mikroben bewegen oder Nahrung zufächeln können. Lediglich belohnt die Evolution solche, die eines oder beides können, mit verbesserten Überlebenschancen. Es gibt nun zahllose Lebensformen, die hierfür keinen "Außenbordmotor" entwickelten, sondern vollkommen anders geartete Apparate. Diese erfüllen aber die gleichen Funktionen und siehe da: auch diese Arten überlebten. Nun - ich bin kein "Darwin-Vertreter" und bekomme nicht mal Geld für meine Schreiberei. Doch ist Darwin - was immer auch kommen mag - ein Tribut zu zollen. Er fegte die Kochküche unserer Herkunft frei von all dem Schamott, der sich aus Jahrtausenden religiöser Wahnvorstellungen dort angesammelt hatte. Da er seinerzeit zur begüterten Elite gehörte konnte er diesen Weg gehen - wofür er zeitlebens, und wie wir nun leider erneut erleben müssen - aus eben genannter Richtung angefeindet wurde. Und er hat uns Menschen einen - auch nach 150 Jahren noch - faszinierenden und logisch überaus überzeugenden Wink hinterlassen, der weit über die Evolutionstheorie an sich hinausgeht. Der Wink ist: mach es niemals so dermaßen "intelligent" wie "Intelligent Design". Wenn Erklärung A aufgrund irgendwelcher neuen Erkenntnisse nicht mehr trägt, bedeutet dies auf gar keinen Fall, dass eine - in sich widersprüchliche und unlogische Erklärung B automatisch richtig sein muss. Es ist bekannt, dass Darwin zeitlebens von genau dieser Ahnung getrieben wurde - und letztlich brachte er Großes hervor. Er wies nach, dass selbst kleine oft unbeachtete Aspekte unserer Existenz auf lange Sicht stets einem Prinzip untergeordnet bleiben. Nämlich dem Prinzip des Überlebens einer Lebensform in ihrer jeweiligen Umwelt. Diese Erkenntnis bleibt für einen Menschen mit den damaligen Mitteln und im damaligen Geistesklima zumal, epochal. Und das muss im Darwin-Jahr auch mal gesagt sein. Das durch ihn mit bewirkte Geistesklima sollten wir uns bewahren und wenn irgendwann einmal hergeben - dann gewiss nur für etwas "Besseres". Intelligent Design ist dieses Bessere keineswegs, denn Intelligent Design erklärt uns nichts. Rein gar nichts - es schmückt sich lediglich mit Erkenntnissen aus der naturwissenschaftlichen Methode, die es aufgrund seiner eigenen Beschränktheit niemals hervorzubringen vermocht hätte, und die es in Wahrheit bekämpft. Ansonsten bereitet es nur den geistigen Nährboden für ein neuerliches finsteres Zeitalter, in dem es nämlich die Erkenntnis von Zusammenhängen zugunsten irgendeiner anonymen Macht auflöst. Unsere Lebensrealität und vor allem unsere durchgeknallte Wirtschaft bringt es mit sich, dass die Bewerber für die Übernahme dieser vakanten Macht längst Schlange stehen. "Schein-Wissenschaftlichkeit" solch unterirdischer Art wird in der gegenwärtig wirren Zeiten immer mehr zu einer ernst zu nehmenden Gefahr für jenen echten Fortschritt, auf den heute knapp 7 Mrd Menschen auf diesem Planeten existenziell angewiesen sind. Jeder Einzelne von uns hat es heute in der Hand. Nie zuvor gab es eine Zeit, in der einfache Menschen sich so wie heute informieren konnten, eine Zeit, in der sie so viel über die Welt, Sich und ihre Mitmenschen erfahren konnten. Man muss heute mit offenen Augen und kritischem Verstand durchs Leben gehen - auch wenn das Handwerkszeug dazu in Schulen und Universitäten leider immer weniger gelehrt wird. Wer ein gutes Leben für seine Kinder und Enkelkinder will, der muss nicht nur Geld anhäufen. Vielmehr muss er auch einen bewussten und schlauen Umgang der mit ihm zugänglichen Information entwickeln und so seinen Beitrag dazu liefern, dass Wege in eine richtige Richtung führen. Alles Geld nämlich wird nichts nutzen, wenn die eingeschlagenen Wege falsch sind… wofür Intelligent Design durchaus als leuchtendes Mahnmal gelten darf. Intelligent Design ist einfach bei Weitem nicht intelligent genug, um Darwin widerlegen zu können. Das liegt ganz entscheidend auch an den archaischen Prinzipien, die diesem geistigen Backflash zugrunde liegen. Lassen Sie sich nichts vormachen - für das Leben des Durchschnittsbürgers spielt es ohnehin kaum eine Rolle, ob Darwin nun ganz, halb oder gar nicht richtig lag. Aber was einmal als logisch gültig erkannt ist, sollte man niemals - insbesondere nicht zugunsten einer anonymen Intelligenz - wegschmeißen. Auch wenn die heutige Welt einem Anderes suggeriert: Schließlich hat man ja immer noch auch seine eigene Intelligenz! Es bleibt also dabei: Cogito - ergo sum. Ich denke - also bin ich. Nachtrag: falls sich wer fragt, worauf dieser Artikel sich bezieht... Hier der Link zum Film |