Wahl in Berlin
Geschrieben von Jürgen Scheffler   
Montag, 18. September 2006

Berlin. Zum Zweiten Male in ihrem erst einjährigen Bestehen nun schon stand die große Koalition zwischen CDU und SPD im Bund auf dem Landtagswahl-Prüfstand. Setzte es in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sowie in der Kommunalwahl in Hessen bereits heftige Watschen für die große Politik, kann man angesichts der gestrigen Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern nur feststellen, dass dieser Trend sich ungebrochen fortgesetzt hat. Auch wenn in unübersehbar vielen Sendungen Parteipolitiker, Parteien- und Wahlforscher, Größen der Journalie und Statistik-Akrobaten das Mikro kreisen lassen bis es glüht - Der deutsche Bürger scheint alles andere als zufrieden mit der heutigen Politik. Hier bei CogitoSum mal die etwas andere Analyse zur Abgeordnetenhauswahl in Berlin.

Fast ist es ein Ritual - nahezu sämtliche Vertreter teilnehmender Parteien ziehen, gewissermaßen an den Schamhaaren, Argumente herbei um sich doch noch irgendwie zu dem - oder wenigstens einem der - Wahlsieger zu erklären. Zu aller erst ein Blick auf die nüchternen Zahlen aus Berlin: Die meisten Parteien in der Tabelle sind übrigens als Link ausgeführt, sodass unsere Leser schnell mal einen Blick auf die Internet-Kommunikation der betreffenden Partei werfen können (bisweilen überaus interessant...)










Berlin




Abgeordnetenhauswahl
20012006

Wahlberechtigte
2.417.5742.425.457

Wähler
1.645.6731.407.779

ungültige Stimmen
21.35928.902

gültige Stimmen
1.623.3381.377.078

Abweichung im vorl. amtl. Ergenbis 2006

1.799







Gültige Zweitstimmen für Parteien




SPD
481.772423.912

CDU
385.692293.976

PDS
366.292185.086

ödp
3.304994

FDP
160.953104.595

Grüne
148.066180.902

Statt-Partei
13.396


NPD
15.11035.162

Rep
21.83611.916

Offensive D

1.838

Pogo (APPD)

3.484

WASG

40.459

AGFG

2.402

PASS

2.567

BüSo
1.8892.341

Tierschutz

11.743

Die Grauen
22.09352.892

Eltern

10.061

Bildungspartei

4.589

Die Frauen

3.796

Sonst
2.9354.363






 

Anscheinend hat sich ein mysteriöser Fehler im vorläufigen amtlichen Endergebnis eingeschlichen, denn die Zahl der gültigen abgegebenen Stimmen fällt um 1799 niedriger aus, als sich nach der Differenz aus Abgebenen Stimmen insgesamt minus der Ungültige Stimmen ergeben sollte. Hierfür wird es sicher bald eine Erklärung geben. Merkwürdig nur, dass dies Niemandem - vor allem nicht den hochrangigen Wahlwissenschaftlern - aufzufallen scheint.


Des weiteren wäre die Frage zu stellen, wieso man bei Wahlanalysen in dieser Republik so gerne über Prozentzahlen diskutiert, was eher die halbe Wahrheit widerspiegelt. Die Antwort liegt auf der Hand - würde man die absoluten Zahlen betrachten, müsste Herr Pofalla (CDU) sowie auch die FDP sich doch weit mehr mit der Bewertung ihrer Berlin-Ergebnisse zurückhalten.


Ich möchte dem Leser die Interpretation der Zahlen weitgehend selbst überlassen, einige Anmerkungen aber doch noch vorweg stellen.


Fast 238.000 Wähler in Berlin haben sozusagen mit den Füßen abgestimmt, indem sie überhaupt nicht zur Wahl gegangen sind. Selbst in Anbetracht der Tatsache, dass die Rechten wenigstens in Berlin keine Schnitte bekommen haben, sollte dieser Umstand allein schon eher Sorge statt lautstarker Tatsachenverschleierung bei den großen staatstragenden Parteien hervorrufen.

 

Dem regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), ist angesichts des Gesamttrends wohl trotz der Stimmenverluste zu bescheinigen, dass er sich einigermaßen wacker geschlagen hat. Der Union fiel es sowohl wegen großkoaltionärer Einflüsse wie auch wegen ihres Kandidaten Friedbert Pflüger schwer, eigene Akzente zu setzen. Sie fuhr ihr schlechtestes Berlin-Wahlergebnis seit Langem ein, was ihr Kandidat nun wohl unter Aufgabe seines Staatssekretär-Postens im Bundesministerium der Verteidigung künftig auszubügeln haben dürfte.


Auch die FDP musste - entgegen dem Bundestrend - empfindliche Einbußen hinnehmen. Offenbar war es ihr im sozialen Brennpunkt Berlin nicht möglich, vom Strom der Wähler hin zu kleineren Parteien zu profitieren.


Wenn eine der etablierten Parteien, dann kann man wohl die Grünen zum Wahlsieger in Berlin küren. Ihr relativ gesehen gutes Ergebnis qualifiziert sie zu einem möglichen Koalitionspartner für Klaus Wowereit, der dafür dankbar sein dürfte.


Denn sein bisheriger - die Linkspartei.PDS - erlebte geradezu ein Wahldebakel, dass in seiner Auswirkung nicht zu unterschätzen ist. Es ist schon beachtenswert, wenn gerade in Zeiten schwelender sozialer Konflikte eine linke Partei derart "abstürzt". Für die kommende Amtsperiode hätte Wowereit auf jeden Fall damit rechnen müssen, dass die Linkspartei.PDS alles daran setzt, ihr soziales Profil zu schärfen. Wahrlich weit weniger angenehme Aussichten als bei einer künftigen Koalition mit den Grünen, deren soziales Profil weitgehend unverbraucht (weil nicht vorhanden) ist. Daher tippe ich persönlich auch auf das Zustandekommen dieser Konstellation. Auf jeden Fall ist Wowereit in der komfortablen Lage, zwischen gleich drei Regierungskonstellationen wählen zu können, denn rechnerisch könnte er natürlich auch mit der Union weiter regieren.


In Berlin gab es mit dem konkurrierenden Antritt von PDS und WASG einen Sonderfall (wie auch in Mecklenburg-Vorpommern). Immerhin verbuchte die WASG in Berlin 40.459 Stimmen für sich, was zwar nicht zum Einzug in das Abgeordnetenhaus langt, aber doch als Achtungserfolg für diese Partei ohne Zukunft zu werten ist. Ohne Zukunft ist sie deshalb, weil Ende April 2006 die WASG auf Bundesebene eine Fusion mit der Linkspartei.PDS beschloss. Es wird eine spannende Frage der nächsten Monate werden, wie dieser Fusionsprozess sich nach der neuerlichen Schlappe (denn auch bei den Landtagswahlen des Frühjahrs erreichte das Fusionsprojekt nur höchst mäßige Ergebnisse) weiter gestalten wird.


Sehr interessant ist auch noch ein Blick auf die kleineren Parteien in Berlin, die sich zumeist über Zulauf freuen konnten. Eine Gruppe von Mini-Parteien inkl. der WASG, die sich dem Thema Soziale Gerechtigkeit verschrieben hatte erreicht rund 48.000 Stimmen und eine andere Gruppe von Parteien, die offen für Partialinteressen eintreten, konnte gar 83.000 Stimmen verbuchen, wobei die Partei der Grauen ihre Wählerzahl auf mehr als 50.000 verdoppeln konnte. Die Rechten haben zumindest in Berlin auch zusammen genommen keine Schnitte bekommen, konnten aber trotz sinkender Wahlbeteiligung ihre Wähleranzahl in etwa halten.


Zusammenfassend kann man sagen, der Wahlverlierer von gestern lautet eindeutig Linkspartei.PDS, die nicht nur rund 50% ihrer Stimmen in Berlin sondern sehr wahrscheinlich auch ihre Regierungsbeteiligung einbüßt. Der Großtrend zur Entdemokratisierung der Gesellschaft wurde jedoch auch in Berlin nicht gebrochen, die Wahlbeteiligung war dort, wie andernorts auch, weiter im freien Fall.

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