Zukunft der Sozialsysteme (2) |
Geschrieben von Jürgen Scheffler | |
Samstag, 18. November 2006 | |
Dieser Beitrag ist eine Fortsetzung des ersten Teils unserer Betrachtung der Sozialsysteme. Über Diskussionsumgebung sowie Details der Abbildung in unserem Rechenschema informieren Sie sich bitte dort. Wir werden in den folgenden Kapiteln mit diesem Modell einige Variationen vornehmen - und dann die heute prognostizierten Verhältnisse im Jahr 2050 damit untersuchen sowie ein vorläufiges Fazit in Punkto Rentensystem ziehen. Das Szenario Krankenversicherung wurde bewusst ausgeklammert - möglicherweise erfolgt hierzu mittelfristig eine Fortsetzung dieser Artikelreihe. Wir nehmen jetzt also unsere Tabellen und variieren einige Parameter, um ein besseres Gefühl für bestehende Zusammenhänge zu bekommen. Das Thema Arbeitszeitverlängerung betrachten wir als bereits vollständig erledigt - aus Sicht unserer Rechnung ist es völlig uninteressant, mit wieviel Arbeitsstunden die in den Profilen angesetzten durchschnittlichen Einkommen erwirtschaftet werden. Wenn das Volumen bei gegebener Wochenarbeitszeit nicht mehr reicht, könnte man ohne unerträgliche Nebenwirkungen die Arbeit eben "umverteilen" - dies allerdings, und dies muss für unsere Freunde von der Gewerkschaft auch mal gesagt sein, ohne Lohnausgleich!
4. Variationsrechnungen
4.1 Grenzarbeitslosigkeit
Arbeitslosigkeit findet in unserem Model relativ unspektakulär statt - wir nehmen in der Summe der Arbeitsentgelte einen der Arbeitslosenquote entsprechenden Abschlag vor - die Abgabenquoten werden aus dem sich dann ergebenden Rest berechnet. Trotz dieses einfachen Ansatzes erhalten wir recht plausible Werte. Wie hoch kann eigentlich die Arbeitslosigkeit - basierend auf den aktutellen - Verhältnissen werden, bis der Gleichgewichtszustand nicht mehr erreicht wird?. Hierüber gibt die folgende Tabelle Auskunft:
Wir sehen - bei 40,4% Arbeitslosigkeit gelangt unser System an seine Grenze - alle Arbeitsentgelte gehen für den Grundbedarf der Menschen sowie die festgelegten Transferleistungen für Heranwachsende, Alte und Arbeitslose drauf. Übrigens - diese Grenzarbeitslosigkeit läge ohne die Frühverrentungsdeformation derzeit rund 8% höher.
Doch - die Wahrheit ist noch ein wenig schlimmer. Denn wir haben bislang als Transferleistung für Arbeitslose lediglich den Grundbedarf veranschlagt - also jeder Arbeitslose wird sofort auf Hartz IV Niveau gesetzt. Dies ist angesichts der Einkommens- und Rentenhöhen den Arbeitslosen gegenüber ungerecht - schließlich stellt Hartz IV die Armutsgrenze dar. Hiermit wollen wir uns im nächsten Unterkapitel näher beschäftigen.
4.2 Gerechteres Arbeitslosengeld
Unser gegenwärtiges System im realen Leben schafft zwei Klassen von Arbeitslosen - die einen bekommen immerhin 60-67% ihres letzten Einkommens - wobei Geringsverdiener auch hier schon mal schnell in den Bereich der Grundsicherung vorstoßen. Die hingegen, die vorher schon viel mehr hatten, haben auch weiterhin noch deutlich mehr. Dieser Luxus nutzt nur allein den Einkommenstarken - nicht einmal in Dänemark zahlt die Arbeitslosenversicherung horrende Monatsbeträge von bis über 3.000 € aus - der Arbeitslose erhält dort zwar 90% seines bisherigen Einkommens - allerdings ist bei 1.800 € Schluss mit der Wohltat - eine wesentlich gerechtere und modernere Lösung.
Wir wählen noch einen etwas anderen Ansatz - wir setzten das Arbeitslosengeld im Verhältnis zum Grundbedarf eines Menschen im Erwerbsalter an - schließlich soll jemand während der Arbeitslosigkeit auch weiter die Möglichkeit zur soziokulturellen Teilnahme an der Gesellschaft haben. Etwas was heute hierzulande selbst mit ALG 1 bei Geringsverdienern kaum noch - und für Hartz IV generell nicht mehr gegeben ist.
Ausschluss von soziokultureller Teilnahme aber stigmatisiert auf Dauer, was durch die hohe Undurchlässigkeit unseres Arbeitsmarktes zwischen den künstlich geschaffenen Klassen ALG 1 und ALG 2 recht gut untermauert sein dürfte. Die Hartzlinge werden praktisch zu den neuen Negern des 21. Jahrhundert umfunktioniert - etwas was sich mit erschreckend mit dem Inhalt der entsprechenden Gesetze deckt.
Wir schaffen diesen Unsinn in unserem Modell ab - es gibt nur noch einen Status: Arbeitslos - Basta! Als ALG setzten wir 150% des Grundbedarfs an. Dies ist nicht zu viel, wie viele vielleicht denken - denn auch der Gleichgewichtslohn lag mit über 13.000 € im Jahr schon deutlich oberhalb des nackten Grundbedarfs. Wir erhalten ein ALG von 1.200 € / Monat und schauen uns die sich daraus ergebende Tabelle an:
Wir sehen, der aktuell geplante Beitragsatz zur Arbeitslosenversicherung von 4,3% könnte fast ausreichen, dieses ALG allein aus den Beitragsmitteln aufzubringen - allerdings nicht mehr bei noch höherer Arbeitslosigkeit. Ansonsten ändert sich relativ wenig. Dies soll uns nicht darüber hinweg täuschen, dass wir uns bereits jetzt mit unserem Modell weit entfernt haben von den heutigen Verhältnissen - es gibt kein Hartz mehr - etwas was man heute als völlig unfinanzierbar geißeln würde (Die Dänen können sowas aber...) Nur die hohen Arbeitslosengelder sind in unserer Rechnung reduziert worden. Diesbezüglich besteht aber in unserem Modell noch mehr Potential - denn noch immer sind im Akademiker-Profil Ungerechtigkeiten verborgen - eine davon ist, dass dort die Rentenquote unnötig hoch liegt. in Tabelle 4-2-2 passen wir diese nun an:
Kein Pensionär mit 24.000 € im Jahr wird am Hungertuch nagen - nur weil er nun 4000 € weniger bekommt. Es wirkt sich im Modell aber ganz schön an - denn es stellt sich insgesamt sogar eine leichte Entlastung der Abgabenquote ein - bei gleichzeitig deutlich gesteigerter Gerechtigkeit und Armutsfestigkeit im System. Nun hätte in unserem Modell jeder Anspruch auf die neue staatliche Umlagenrente - und dies unabhängig von den Zahlungen während seiner Erwerbszeit.
Revolutionär sind ansonsten bis jetzt weniger die Maßnahmen im System selbst, als vielmehr die Änderungen in der Beitragserhebung - ALLE Erwerbspersonen sind einbezogen in das System - auch Selbstständige und Beamte. Hiermit wird auch erreicht, dass die Lage der Rentensystems künftig nicht mehr nur das Problem das einer beständig schwindenden Schar sozialversicherungspflichtig Beschäftigter ist - sondern eines der gesamten Erwerbsbevölkerung.
Andere Systemmerkmale, wie die paritätische Finanzierung sind nicht einmal angetastet worden. Allein die Frage, wer bei Selbstständigen den pariätischen Beitrag leistet, wäre offen - würde z.B. der Staat dies über Steuerverrechnung realisieren - könnten Menschen ohne Nachteile zwischen Arbeitnehmerschaft und Selbstständigkeit wechseln und wären dennoch stets auf gleiche Weise abgesichert. Alle Erwerbsformen stünden gleichberechtigt und bei hoher Durchlässigkeit nebeneinander - wohinter durchaus ein nicht zu unterschätzendes Potential für eine flexiblere und damit effektivere Organisation von Arbeit vermutet werden darf. Wie sich ziegt, wäre dies durchaus finanzierbar - denn die Eckwerte ändern sich nur wenig.
4.3 Gerechtere Lebenszeitprofile
Nun wagen wir noch einen größeren Schritt im System selbst. Wenn denn schon - wie unsere Betrachtungen eingangs nahelegen - nicht genug Arbeit für alle da ist - wie wäre es denn da, man würde zunächst einmal die Lebensarbeitzeit eines Menschen generell auf 40 Jahre auslegen? "Das ist unbezahlbar" werden viele sogleich wieder schreien - aber schauen wir doch erst einmal. Wir nehmen also diese 40 Jahre als Erwerbslebensphase für alle mal als gegeben an und schauen was sich tut:
Zunächst einmal stieg die theoretische Abgabenquote kräftig, d.h. ein Mensch im Arbeiterprofil gibt im Laufe seines Lebens einen größeren Teil seines Einkommens in das Rentensystem hinein - wofür er allerdings auch 6 Jahre länger Rente bezieht. Die Arbeitslosigkeit sinkt tendenziell - da viele ältere gerade im niedriger qualifizierten Bereich sowieso auf der Strasse stehen. Wegen der ohnehin vorhandenen Frühverrentungsdeformation gehen wir von nur max. 0,8 Mio Arbeitern aus, die zusätzlich zu verrenten wären - und kaum etwas sonst ist geschehen - der Weltuntergang blieb aus.
Die aktuelle Abgabenquote liegt sogar immer noch unter den Werten aus Tabelle 1 und 4-2-2. Die Grenzarbeitslosigkeit sinkt moderat auf 34,7%. Nun - ganz so ist es nicht - Zaubern können wir auch in unserem Modell nicht. Wir wollen nicht unterschlagen, dass der Arbeiter im Laufe seines Lebens über 200.000 € weniger erwirtschaftet - die eigentlich irgendwo fehlen müssten. Aber fehlen sie tatsächlich? Nur zum Teil - denn, wer mit über 50 in der Hartz IV Sackgasse landet, erwirtschaftet er sie nämlich auch nicht mehr. Es trifft zwar nicht alle, aber eben auch nicht gerade wenige - und erst schon gar nicht wenn wir erst einmal Rente 74 haben.
Recht deutlich wurde bisher der wahre gesellschaftliche Preis einer zu üppigen Altersversorgung, auch wenn es nur wenige betrifft - es ist die Magie der großen Zahlen, die hier zuschlägt. Man sieht quasi direkt, wie derzeit hohe Renten für kleinere Gruppen über Arbeitslosigkeit und Armutsrenten für Massen erkauft werden. Dass an diesen Umstand heran zu gehen, nicht gleich das Schreckgespenst "Einheitsrente" bedeutet, machen indes unsere beiden Profile deutlich. Auch innerhalb der Profile - sowie untereinander - wäre durchaus noch Spielraum für Gestaltung denkbar - immerhin beträgt die Rente im Arbeiterprofil fast das doppelte des Grundbedarfs.
Nun Volkswirtschaften stehen ja nicht still - die Frage ist, wie geht man mit weiteren Produktivitätssteigerungen und Veränderungen in der Arbeitswelt um? Hier kann es ja nur positiv sein, wenn man für hohe Durchlässigkeit zwischen allen Arbeitsformen sorgt. Wichtig wäre vielleicht noch, auch Kapitaleinkünfte steuer- und abgabenmäßig nicht besser zu stellen, als Erwerbsarbeit. Dann schlagen sich Arbeitsplatzverluste nicht gleich in den Aufkommen von Steuern und Sozialabgaben nieder. Es verbliebe mehr Geld in öffentlicher Hand, um Schwankungen aufzufangen.
Doch bleiben wir hier beim Rententhema. Mit unserem System haben wir uns inzwischen sehr weit vom heutigen Zustand entfernt. Gerade die volksweite Ausdehnung des Rentensystems und die Umgestaltung der Umstände für Arbeitslose hat die Erwerbsformen untereinander gleichberechtigter und leichter durchlässig gemacht. So wird einerseits eine "Flucht" aus der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wirksam unterbunden - andererseits aber können Menschen flexibel die Erwerbsformen wechseln - ohne sich lebenslange Nachteile einzuhandeln oder große Vorteile aufgeben zu müssen.
Nicht wenig spricht dafür, dass ein solches Vorgehen für eine erhebliche Freisetzung von Marktkräften sorgen könnte - auf jeden Fall schon mal auf dem Binnenmarkt. Die Gesellschaft und ihre Menschen können sich wieder besser darauf konzentrieren, die Entwicklung voran zu treiben - der neu verfasste Lebensentwurf der Gesellschaft ohne alte Zöpfe schafft wieder bessere Wachstumsbedingungen, da Armutsfestigkeit Planungssicherheit schafft. Zukunftsfragen und Zukunftsprobleme stehen genügend an - und auch hier lässt sich Geld verdienen. Nachhaltiges Wirtschaften mit langlebigen Produkten, statt sich immer schneller umschlagender Überproduktion von Ramsch wäre beispielsweise ein Weg in eine verträglichere Zukunft. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie Raumfahrt - Katastrophenabwehr etc. könnten steuerfinanziert sein, die unsinnigen Militärausgaben stünden hierfür außerdem noch in reichem Ausmaß als Reserve bereit.
4.4 Vision 2012 - 2015: Profilausgleich und Wachstum
Betrachten wir mit unserem umgestalteten System einmal eine Vision auf vielleicht 2012 oder 2015. Da nun das Akademiker-Profil aus Sicht des Individuums ohnehin das wesentlich einträglichere ist und stupide Produktionsarbeit immer weiter abnehmen dürfte, setzen wir an: einen Ausgleich der Profilverteilung - also mehr Akademiker und weniger Arbeiter verbunden mit einem über die Jahre kumulierten Lohnanstieg von 20%. Das stellt sich dann so dar:
Wow - eine solche Gesellschaft kann sich bereits wieder eine Menge leisten - vielleicht sogar auch mal eine wirklich sinnvolle Entwicklungsarbeit in den armen Ländern? Satte 500 Mrd mehr an Arbeitsentgelten stehen dem Binnenmarkt zur Verfügung. Menschen sehen sich weder im Alter noch sonst beklemmenden Existenznöten gegenüber. Eigentlich könnte da auch die Arbeitslosenzahl noch weiter sinken - denn es kursiert ja viel Geld in den Händen aller und nicht nur weniger. Die Abgabenquote insgesamt indes sinkt - auch wenn der Rentenbeitrag moderat steigt und sie wird mit jedem weiterem Wachstum weiter sinken. Das letzte Kapitel zeigte ja schon: Lohnsenkungen können kein sinnvoller Weg sein - denn sie entziehen durch Erwerbsarbeit finanzierten Sozialsystemen stets Geld.
Ich denke so langsam wird eines klar: ein kapitalistisches Wirtschaftsystem ist eigentlich äußerst flexibel - weit flexibler als heute zugegeben wird. Es sind (und es waren schon immer) lediglich die Macht- und Eigentumsansprüche einiger Weniger, die dies nicht sind. Dass Kapitalismus nur nach Kriterien von Spekulanten-Pack und Hedgefonds funktionieren kann - wird heute zwar gerne behauptet, ist aber durch nichts bewiesen. Der durch die bipolare Welt erzwungene moderate Kapitalismus aber hat auch enorme Leistungen frei setzen können - etwas was nach heutiger Lehrmeinung, wäre sie wirklich richtig - nie und nimmer hätte funktionieren können.
Moderne Gesellschaften mit ihren ebenso hochentwickelten wie hochsensiblen Informations- und Wissensstrukturen bedürfen eines modernen und flexiblen Sozialsystems, welches gerade zugunsten eines freien Feldes für das kapitalistische Wirtschaftssystem möglichst staatlich organisiert sein sollte. Sozialaufgaben aller Art werden dem Kapitalismus sowieso immer wesensfremd bleiben - jene Gesellschaften aber, in denen Menschen nicht um ihre berechtigten Lebensinteressen fürchten müssen, waren bisher immer die stabileren und Dauer leistungsfähigeren.
Unsere derzeitigen Sozialsysteme sind alles mögliche - nur nicht flexibel. Sie sind in die Jahre gekommen - und passen nicht mehr so recht in die heutige Welt. Ein vermurkstes "Umlagesystem" zu dem bei weiter sinkender Tendenz nicht einmal mehr 2/3 aller Erwerbstätigen beitragen, in dem aber wacker weiter vor allem Besitzstände gewahrt werden, ist nicht viel mehr als ein Stück real exitierendes Absurdistan. Wer Arbeitsplätze möglichst erhalten will, der muss die hierzulande bestehende Benachteiligung des Faktors Arbeit abbauen - dass dies nicht zwingend mit dem Einstampfen staatlicher Sozialsysteme einher gehen muss, sollte aus unseren bisherigen Rechnungen klar und deutlich hervor gegangen sein.
Bei aller Panik nämlich sollten wir eines nicht vergessen - auch andere Länder, andere Gesellschaften, müssen ihre soziale Aufgaben lösen, wenn sie ihrer Wirtschaft auf Dauer stabile Verhältnisse bieten wollen. Und manche von ihnen tun dies schon, und andere werden noch tun - und diese werden dann übermorgen die Gewinner sein. Noch können wir uns entscheiden - zu welcher Kategorie unser Land gehören soll. Soweit zur Diskussion der aktuellen Verhältnisse - im nächsten Kapitel wollen wir uns nun näher mit der demographische Herausforderung befassen. 5. Demographie und 2050
Zunächst einmal die gute Botschaft - unsere Lebenszeitrechnung in Verbindung mit der Generationenabfolge ist ihrer Natur nach ein Gleichgewichtsmodell - will heißen - selbst aus empfindlich gestörten Zuständen (wie z.B. durch die Ära Kohl) strebt dieses System zwingend wieder seinem Gleichgewicht zu. Dies zumindest solange - und dies ist allerdings notwendige Randbedingung - wie Gesellschaften ihren Anspruch nicht aufgeben, das kollektive Leistungspotential ALLER Mitglieder weitestmöglich auszuschöpfen - d.h. Vollbeschäftigung wird zumindest angestrebt.
Unter dieser Voraussetzung KANN es auf Dauer gar keine Generationenkonflikte geben - Dass Kinder nicht mit 6 Jahren schon arbeiten müssen und Alte mit 80 nicht immer noch, ist nicht Anspruchsdenken, sondern ein Gebot schlichter Vernunft vor allem auch in Anbetracht der Tatsache, dass Arbeitsmärkte - entgegen aller neoliberalen Theorie - nicht unendlich Arbeitskraft aufnehmen können.
Hiermit ist die Grundstruktur möglicher Lebensentwürfe eigentlich geklärt - es bleibt die Frage, was steht uns für jene Phase bevor, wenn unsere geburtenstarke Jahrgänge in Rente ziehen und den Rest ihrer Lebensspanne nicht in Existenznot verbringen sollen?
Hierzu übertragen wir die heutigen Verhältnisse von Tabelle 1 fast unverändert auf eine für 2050 erwartete Bevölkerung von 70 Mio Menschen in Deutschland. Wir gehen von einer Parität in den Profiltypen aus - die sich bis dahin durch den Wandel in der Arbeitswelt eingestellt haben dürfte. Die Folgen der fehlgeleiteten Frühverrentungspolitik hingegen spielen in diesen Zeiten keine Rolle mehr. Das Durchschnittsalter setzen wir auf 90 Jahre herauf (zu erwarten wären nach den heutigen Studien einige Jahre weniger) um auf der sicheren Seite zu sein. Es ergibt sich folgendes Bild mit diesen gewiss nicht zu optimistischen Parametern:
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Ein eher trauriges Bild - satte 51,6% fallen für den Rentenbeitrag allein an - der BIP-Beitrag der Löhne ist kräftig um 300 Mrd. geschrumpft. Nur noch knapp 15% mehr als das wird erwirtschaftet, was für das Gleichgewichtszustand mindestns nötig ist. Bei nur 21,6% schon wäre die Grenzarbeitslosigkeit bereits erreicht. Das Ganze ist geradezu ein Fanal in Richtung Lohnsenkungspolitik - denn wären zuvor die Löhne gesenkt worden, wäre die Aufgabe überhaupt nicht mehr schultern.
Das ist erstaunlich - wenn ebenfalls auch alles andere als rosig, so stellen sich die Verhältnisse trotz reichlich eingearbeiteter sozialer Wohltaten sogar immer noch besser dar, als im vorigen Fall - der Grund: die über 50 Mrd, die bei der Rentensumme durch die Anpassung des Akademiker-Profils eingespart wurden. Tendenziell könnte hier die Arbeitslosigkeit sogar noch etwas niedriger sein.
Doch nun gehen wir her - und da wir Optimisten sind, nehmen wir mal an - irgendwie gelänge es, in den verbleibenden 44 Jahren ein kumuliertes Lohnwachstum von insgesamt 50% irgendwie zustande zu bringen. Diese gewaltige Reallohnsteigerung hätte nach unserer Modellstruktur natürlich entsprechende Steigerungen der Renten zur Folge - die dann doch wieder relativ weit über dem lebensnotwendigen lägen. Diese kann man also - ohne Verbrechen zu begehen - locker auf 40% absenken. Damit sehen die Ergebnisse folgendermaßen aus:
Man reibt sich fast die Augen - unter dieser moderaten Wachstumsannahme ergeben sich trotz aller demographischen Probleme keine nennenswerten Probleme - nirgendwo Blut, Schweiß oder Tränen. Das Umlagesystem steckt die Herausforderung recht locker weg, auch wenn Rentenbeiträge von 36,2% anfallen - schließlich ist vorrübergehend auch eine eine sehr hohe Rentnerzahl zu bewältigen. Weder Rente mit 74, noch Armutsrenten scheinen nötig für dieses kleine Wunder. Eigentlich wurde von nahezu allen heute so angepriesenen Heilmitteln gradewegs das Gegenteil angewendet - dennoch: die Menschen erwerben im Laufe ihres Lebens mehr Überschuss, die Renten sind trotz Quotensenkung auskömmlich - im Vergleich zu jenen Perspektiven wie sich bei Lohnsenkungen ergeben allemal. Breiter Wohlstand ist gegeben und setzt sich - mit leichten Abstrichen - im Alter fort.
Jetzt wird deutlich, wie sehr die heute gerne propagierte Maxime - Hauptsache Arbeit, egal zu welchem Preis - gesamtgesellschaftlich und auf längere Zeit gesehen ein Spiel mit dem Feuer ist. Es kommt sowieso nicht darauf an, dass Horden von Arbeitslosen den Park fegen oder dem Prof. Sinn als Hausangestellte die Schuhe polieren, sondern es kommt darauf an, dass die Volkswirtschaft erstens ein genügend hohes Werteaufkommen schafft und dass zweitens von diesem Aufkommen auch genügend in unserer Gesellschaft hängen bleibt.
Jetzt wollen wir diese Vision noch um eine letzte durchaus interessante Variante bereichern - nämlich um die, dass die Geburtenraten verschiedener Jahre in etwa gleichbleiben. Dies nämlich führt zu einer anderen Verteilung der Erwerbstätigenzahlen - zudem wollen wir die Profiverteilung noch weiter anpassen: nur noch 1 Drittel Arbeiter und 2 Drittel Akademiker. Damit ergibt sich eine Bevölkerung von nochmals rund 5 Mio weniger Menschen - also 65 Mio. Was sich hier zeigt - ist der ungestörte Fernzustand, dem das System nach Überwindung der demographischen Beule vermutlich schon ab den Jahren nach 2040 mehr und mehr zustreben wird.
Hier ist von den Schreckensszenarien der Tabellen mit Grundbedarf und Mindestgleichgewicht nichts mehr übrig - eine solche Gesellschaft löst all ihre wichtigen Aufgaben praktisch optimal. Fast das Doppelte des Gleichgewichtsbedarfs wird erwirtschaftet. Die Wirtschaft kann trotz rückläufiger Bevölkerungszahl auf die Kraft eines breiten Binnenmarktes aus unabhängigen und sich sicher fühlenden Marktteilnehmern bauen. Die Mehrheit der Arbeitnehmer gehen Tätigkeiten nach, die eine akademische Bildung voraussetzen - aber auch Arbeiter wird es weiterhin geben. Denen geht es auch in dieser Gesellschaft nicht wirklich schlecht - selbst im Alter nicht, volle 31 Jahre verbringen sie in der Rentenphase ihres Profils - und dennoch rechnete sich jeder Mensch für diese Gesellschaft. Weder war Kindermachen fürs Vaterland nötig, noch Rente mit 74, noch 70 Std Wochen oder Armutslöhne, um dort anzugelangen. Trotz hoher theoretischer Abgabenquote hält sich die reale Belastung in Grenzen. So könnte eine menschenwürdige und gerechte Zukunft ruhig kommen - finden Sie nicht auch?
Dabei haben wir in Steuer-Strukturen praktisch überhaupt nicht eingegriffen - kein Kommunismus, kein Sozialismus - allein eine entschlossene und vernunftorientierte Umgestaltung in den Sozialsystemen für Rente und Arbeitslosigkeit schaffte schon Spielraum für ein solches Ergebnis. Entscheidend war: die konsequente Abkehr von der Politik der Interessenklüngelei, die unser Land heute so dermaßen an die Kette legt, dass es kaum noch atmen kann.
Findige Propagandisten könnten nun aus diesem überaus überzeugenden Ergebnis auch machen: "Rentnerbetrug! Renten auf 40% gesenkt.... " oder "Die Wirtschaft geht an den Renten zugrunde - 29% Rentenabgaben!" oder ähnlich kurzdenkende Unsinns-Schlagzeilen. In Wahrheit kommt es nur darauf an, was überhaupt zu verteilen ist und dass dieses halbwegs sinnvoll und gerecht verteilt wird. Mehr braucht es nicht, in unserer reichen Gesellschaft zumal - dass alle Menschen ihr Auskommen finden - und ich denke, jedem ist klar, dass Menschen in einem solchen System auch gerne etwas dafür tun. Wenn aber für einen Lohn gearbeitet werden soll, von dem man noch nicht einmal das tägliche Leben ordentlich bestreiten kann, so schafft dies Apathie und Hoffnungslosigkeit - erst recht, wenn jedem klar ist, dass sich diese absurde Ungerechtigkeit noch bis an die Bahre fortsetzen wird.
Niemand heutzutage kann sich wirklich vorstellen, was ein solches Gesamtkonzept an kreativer Energie in Menschen freizusetzen vermag - sie können sich, ihr Leben lang von Zwängen existenzieller Not befreit - allen möglichen wichtigen oder auch weniger wichtigeren Dingen widmen. 40 Jahre lang wird halt gearbeitet - ob nun 30 Std oder 50 Std die Woche - mit viel oder wenig Urlaub ist relativ nebensächlich.
Der beständige Produktivitätsfortschritt indes legt nahe dass es vernünftiger wohl eher weniger sein wird als mehr - vielleicht ist bis dahin die Versorgung der Welt mit Gütern und Dienstleistungen längst zu einer Marginalie geworden, die höchstautomatisierte Produktionsstätten quasi nebenbei erledigen und völlig andere Aufgaben prägen das Leben der Menschen. Vielleicht sind dann auch 80% der Bevölkerung selbstständig und versehen ihre Aufgaben in den Informations- und Wissensstrukturen dieser Gesellschaften.
Möglicherwiese zieht der Mensch dann wirklich in den Weltraum und verfügt über effektive Mittel für den Katastrophenschutz auf dem Heimatplaneten... der Phantasie sind da wenig Grenzen gesteckt - solange man die Vernunft gegen Wahnvorstellungen aller Art verteidigt - seien es nun Eliten, Kapital- oder Rassenwahn. Wer Gesellschaften spaltet, führt nie etwas Gutes für Menschen im Schilde, sondern er will sie zerstören und ihre Menschen undemokratischer Herrschaft und Ausbeutung zuführen. Dies ist eine der uralten und unumstößlichen Erkenntnisse aus tausenden von Jahren geschriebener Menschheitsgeschichte - und es wird Zeit, dass man sich auch hierzulande daran erinnert.
6. Fazit
Mit unserem groben Rechenmodell haben wir eine Reise fast durch ein Jahrhundert unternommen. Wir analysierten die Ausgangslage und schauten dann nach vorn. Die heute propagierten Zukunftsstrategien demaskierten wir schnell als das, was sie in Wahrheit auch sind: interessengeleitete Konstrukte diverser Partialinteressen, die hier jede für sich nur stets ihren eigenen Vorteil zumeist auf Kosten des Gemeinwohls suchen.
Zu einer vernünftigen Konstruktion des einer Gesellschaft zugrundeliegenden Lebensentwurfs jedoch gibt es keine Alternative - in einer Gesellschaft ohne sozialen Frieden sowie zwischen solchen herrscht kurz über lang Krieg - und der ist nicht Vater von irgendetwas Brauchbarem, sondern vor allem Totengräber enormer Mengen gesellschaftlichen Potentials.
Wir vernetzten eine Rechnung aus individueller Sicht mit ihren Auswirkungen auf die üblichen Jahresrechnungen für das BIP - ein sicherlich sehr ungewöhnlicher aber auch kein falscher Schritt, denn die Plausibilität der Ergebnisse scheint erdrückend. Erstmals wird eine grobe Beurteilung der Gesamtlage möglich - man kann wohl sagen dass es Zustände oberhalb von 150% Gleichgewicht braucht, um prosperierende Gesellschaften mit den daraus nicht weg zu denkenden Sozialsystemen zu schaffen und zu erhalten.
Es wurde deutlich, dass die derzeitige Form der betrachteten Sozialsysteme in die Jahre gekommen ist - scheint doch inzwischen ihr Hauptzweck, vor allem zu garantieren, dass es Menschen, denen es vor ihrer Arbeitslosigkeit oder ihrer Rente schon gut ging, auch weiter gut geht. Dabei werden die Kriterien für eine ordentliche Gesellschaftkonstruktion heute hierzulande schon noch erfüllt - nur - man, also irgendwer müsste dies machen, bzw. dies erst einmal politisch wollen - und DA ist auf breiter Front in der politischen Landschaft von heute FEHLANZEIGE.
Das alte System hat so oder so ausgedient, wie auch unsere Rechnungen ergaben - Was, wenn nicht dies wäre ein deutliches Zeichen, dass NEUE POLITISCHE ALTERNATIVEN überfällig sind. Das alte System indes ist als erledigt anzusehen. Sein Spielraum ist nahezu erschöpft - und so erkauft man sich bereits in diesen Tagen jede weitere Besitzstandswahrung mit Armut am unteren Ende der Systeme. Hierfür gibt es einen klaren Namen: Ungerechtigkeit.
Fatalerweise können gerade die Leidtragenden diesem ungerechten System nicht entrinnen - gesetzlich sind sie zusammen mit den schrumpfenden Resten der Mittelschicht zur Teilnahme gezwungen - während einkommenstarke "Gewinner" sich komplett daraus verabschieden. Ungerechtigkeit aber ist seit jeher der natürliche Feind einer jeder legitimierten Gesellschaft und damit in letzter Konsequenz auch der Feind von Demokratie.
Schon vor zwei Jahrzehnten - und verschärft durch die Wiedervereinigung - geriet das System unter den Druck eines durch fortwährenden Produktivitätszuwachs bedingten rückläufigen Arbeitsvolumens. Nacheinander wurden zwei Technologieschübe - die Computerisierung der Gesellschaft und die "New Economy" (Web und Mobile) verschlissen, ohne dass die strukturellen Mängel unseres Arbeitsmarktes und unserer Sozialsysteme auch nur angerührt worden wären.
Dieser epochale Fehler unserer Politik und unserer Eliten wird heute hinter einer Unzahl von wirklichkeitsfernen Leit- und Lügenbildern verborgen - die unfähigen und unwilligen Arbeitslosen, die nichtsnutzigen, gierigen Rentner, die faule und blöde Jugend, und nicht zuletzt das Märchen von den für die heutige Zeit angeblich nicht mehr tauglichen Sozialsystemen. Diese Propagandawelle verhindert eine wichtige Erkenntnis - nämlich jene, dass die heutigen Probleme nicht dem Konstrukt Sozialsystem grundsätzlich, sondern vor allem jenen strukturellen Mängeln in ihrer gegenwärtigen Realisierung anzulasten sind und an denen man in absurder Weise festzuhalten gedenkt, bis man sie dem Kapitalismus ganz zum Fraß vorwerfen wird.
Wer die Ursachen von Fehlern nicht sehen will, kann auch keine Politik hervorbringen, die zu deren Behebung geeignet ist. Und genau so schauen die derzeitigen Konzepte in der Politik und der inzwischen offen mit regierenden Wirtschaft auch aus - wie aus unseren Rechnungen recht einleuchtend hervor ging. In der Jetztzeit steht sehr viel wenn nicht alles auf dem Spiel, liebe Leser - eine Gesellschaft, die ihrer Jugend das Wissen um die positive Kraft gesellschaftlicher Solidarität förmlich exorziert, dabei aber nicht auch nur eines der sozialen Probleme löst, ist längst dabei, als Gesellschaft Selbstmord auf Raten zu begehen.
Die demographische Herausforderung der Jahre ab etwa 2020 ist eine solche Rate die uns todsicher ins Haus steht, aber beileibe nicht die einzige. Keine der reichen Industriegesellschaften in der westlichen Welt hat sich derart entgleist entwickelt wie die hierzulande - gemessen an ihren jeweiligen eigenen Geschichten. Stagnierende Nettoeinkommen und ein verwüsteter Binnenmarkt aber werden auch hierzulande nicht durch die höchst instabile Ehre als Exportweltmeister nicht wett gemacht.
Die Herausforderung der Zukunft liegt in der mutigen und konzertierten Umgestaltung von Arbeitswelt und Sozialsystemen unter Akzeptanz von zwei Tatsachen - erstens, dass die Produktionsprozesse mit immer weniger Arbeit auskommen und zweitens, dass Arbeitsmärkte nicht unbegrenzt Arbeit aufnehmen können.
Wir konnten recht eindrucksvoll vorrechnen, dass es auch hierfür durchaus Lösungen zu einer vernunftgeleiteten Konstruktion von gerechten und armutsfesten Sozialsystemen gibt. Das gegenwärtige Schisma allerdings wird erst noch aufzulösen sein - solange der Wahrung jedweden irgendwann einmal erreichten Besitzstandes in der Gesellschaft absoluter Vorrang vor einer zukunftsorientieren und solidarischen Gesellschaft eingeräumt wird, werden keine Probleme gelöst, sondern fortwährend noch neue zu den bereits schon nicht gelösten hinzu gesäät.
Ordentliche Sozialssysteme in einer Gesellschaft indes schaffen nicht unbedingt aus sich selbst heraus Wachstum und Wohlstand - dies ist und bleibt der Job der Wirtschaft - aber sie schaffen die Voraussetzung dafür, dass diese Gesellschaft kontinuierlich einen höchstmöglichen Anteil der ihr möglichen Gesamtleistung zu mobilisieren vermag - etwas was uns insbesondere die skandinavischen Staaten, die in keiner anderen Situation stecken als wir, schon heute Tag für Tag in nahezu jeder Hinsicht vormachen - und diese Länder sowie die Menschen in ihnen fahren gut damit.
In gewisser Hinsicht haben wir heute in Deutschland tatsächlich so etwas wie eine Rentenfalle - jene Falle nämlich, die skrupellose Kreise den Menschen hier aufstellen, wenn sie von von Eigenverantwortung, Generationenkonflikten u.ä schwatzen - aber in Wahrheit nichts anderes verfolgen, als der Finanzwirtschaft das Geschäft des Jahrhunderts in die Fänge zu treiben. Eine Falle ist es deshalb, weil die privatwirtschaftliche Organisation einer so gewaltigen Aufgabe, wie sie sich aus dem "Generationenvertrag" ergibt, überhaupt nicht zu leisten sein wird - schon gar nicht wenn es dabei halbwegs gerecht zu gehen soll.
Zur Abschätzung, wie das nur ausgehen kann, reicht ein Blick in die USA - wobei wir allerdings nicht vergessen wollen, dass man dort seit Jahrzehnten auf Kosten der restlichen Welt lebt. Diese Möglichkeit werden wir hier in Deutschland und auch Europa nicht mehr haben, wenn denn die wirklich großen Herausforderungen dereinst zur Lösung heranstehen. Also werden Sie achtsam und vorsichtig, liebe LeserInnen - tappen Sie nicht in diese Falle hinein und lassen Sie sich auch nicht dort hinein schubsen. Nicht Sie - sondern andere nämlich werden von ihrer Bauchlandung in der Grube profitieren.
CogitoSum
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